Postkapitalistischer Streamingdienst Links von Netflix

Disney, Apple, Amazon, Netflix: Videostreaming ist fest in den Händen einiger weniger Großkonzerne. Der neue, linke Streamingdienst Means TV hingegen soll aus einer Graswurzelbewegung wachsen.
Ist der postkapitalistische Streamingdienst eine echte Konkurrenz für Netflix und Co.?

Ist der postkapitalistische Streamingdienst eine echte Konkurrenz für Netflix und Co.?

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Means TV

Der neue Streamingdienst Means TV  kostet zehn US-Dollar pro Monat und damit in etwa so viel wie die Angebote von Disney, Apple, Amazon und Netflix - aber davon abgesehen soll hier alles etwas anders ablaufen: Der Regisseur und Kameramann Nick Hayes und die PR-Expertin Naomi Burton haben nach eigenen Angaben einen "postkapitalistischen Streamingdienst" gegründet, der seit dem 26. Februar weltweit über eigene Apps und Apple TV sowie Fire TV verfügbar ist.

Die Idee entstand während ihrer Arbeit an einem Werbeclip für die US-Kongressabgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez, genannt AOC. Der trug mit dazu bei, dass die New Yorkerin über Nacht zum neuen Stern am Himmel des progressiven Flügels der Demokraten wurde und dass sich Hayes und Burton im Sommer 2018 vor Anfragen von linken Politikerinnen kaum retten können.

Rückenwind von links

"Wir haben schon mit AOC über die Idee gesprochen, als wir in ihrem Apartment drehten", erzählt Burton. "Wir waren frustriert, dass die politisch am weitesten links stehende Person im Mainstream-Fernsehen Bill Maher von HBO ist, ein zutiefst antikommunistischer und xenophober Mensch." Angespornt durch Cortez‘ Erfolg kündigt Burton ihren lukrativen PR-Job und Hayes fokussiert sich auf den Aufbau eines YouTube-Kanals, anstatt weiter an kommerziellen Produktionen für einen der großen Autohersteller Detroits zu arbeiten. Das Ziel: Die laut einer von Burton zitierten Studie "50 Prozent der jungen Menschen, die Sozialismus dem Kapitalismus vorziehen" für linksgerichtete Unterhaltung zu sensibilisieren.

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Means TV: Die Macher und ihr Programm

Foto: Flo

Obwohl sich auf YouTube mittlerweile 166.000 Abonnenten und mehr als 130 kurze Videos zwischen Comedy und politischem Kommentar angesammelt haben, dienen die Inhalte nur als Appetithäppchen für den eigenständigen Streamingdienst. Das erste Jahr an exklusiven Produktionen, Lizenz- und Personalkosten sollte eigentlich mittels Crowdfunding finanziert werden, da Means TV komplett auf Werbung und Sponsoren verzichtet - ebenso wie auf eine klassische Unternehmenshierarchie. "Wir sind keine große Organisation, bei uns arbeiten nur ein paar Menschen in Vollzeit", sagt Hayes. "Da wären Naomi und ich, die Comedienne Sara June, die von Los Angeles aus Inhalte für uns produziert, und unser Vorstandsmitglied Brett Payne."

Doch trotz der Rückendeckung durch die politischen Graswurzelbewegungen um Senator Bernie Sanders und einer aktiven Social-Media-Präsenz verfehlte Means TV das eigentliche Ziel deutlich und nahm zum Ende der Spendenperiode nur 200.000 US-Dollar ein. "Das, was wir eingenommen haben, haben wir von 10.000 Einzelspendern bekommen. Wir sind also quasi mitten zwischen dem, was wir befürchteten - nämlich viel zu wenig zur Verfügung zu haben – und was wir uns erhofft hatten", sagt Hayes. "Wir haben nicht einen Cent Rücklagen, aber wir ziehen es trotzdem durch." Burton ergänzt: "Wir verkaufen auch T-Shirts, um uns zu finanzieren. Aber wir hoffen, dass die geringen Fixkosten dazu beitragen, dass wir uns allein durch Abos über Wasser halten können."

Der steile Weg zum Streaming-Olymp

Das könnte schwierig werden. Abgesehen von einer Parodie auf den konservativen Journalisten Ben Shapiro, die rund 110.000 Mal angesehen wurde, liegen die Abrufzahlen zumindest auf YouTube in der Regel nur zwischen 10.000 bis 15.000 pro Clip. Im Alltag heißt das: Im Akkord telefonieren und Mails schreiben, Inhalte überprüfen, Live-Shows produzieren. Ein Delegieren lässt weder die finanzielle Situation, noch die in drei Stufen gegliederte Organisationsform von Means TV zu. Die stellt selbst die beiden Gründer auf dieselbe Stufe wie die anderen Vollzeitangestellten. Diese haben nicht nur den größten Anteil an den Einnahmen, sondern auch als einzige direktes Mitbestimmungsrecht und sind damit allesamt für den Erfolg oder Misserfolg des Projekts verantwortlich.

Hayes und Burton sind jedoch davon überzeugt, eine Nachfrage zu bedienen, die aufgrund der immer stärkeren Aufsplitterung der unterschiedlichen Streaminganbieter wie Amazon, Netflix oder Disney steigt; eine Nachfrage nach Nischeninhalten. "Zum Start werden wir über ein Dutzend Filme, eine Handvoll Live-Shows wie das Nachrichtenformat Means Morning News und unsere Videospielshow Left Trigger zur Verfügung stellen, ergänzt durch Serienformate", erklärt Hayes. "Wir hoffen, dass wir jede Woche neuen Content bereitstellen können."

Unterhaltung für Occupy-Sympathisanten

Bisher gibt es unter anderem die Doku "Gaza Fights For Freedom" der Filmemacherinnen Abby Martin und Mike Prysner. Diese begleitet den "Great March Of Return", die 2018 und 2019 stattfindenden freitäglichen Proteste von Palästinenserinnen an der Grenze des Gazastreifens, in eindringlichen Bildern. "The Winds That Scatter" hingegen porträtiert den Syrer Ahmad Chahrour, der sein eigenes Taxiunternehmen in den USA gründen will, und seine Irrwege durch das bürokratische System.

Neben diesen stark dramatisierenden Filmen bietet Means TV allerdings auch leichtere Kost, wie beispielsweise die Mockumentary "Brooklyn: For Real". Die erste Folge parodiert einen frisch nach New York gezogenen Straßenkünstler, der sich schon nach 14 Monaten in der Großstadt als Einheimischer und Szenekenner aufspielt. Die Animationsserie "Wrinkles & Sprinkles" wiederum folgt den namensgebenden Hauskatzen, die sich zwischen Besitzerinnenliebe und sozialistischer Ideologie entscheiden müssen. Die Qualität der Produktionen ist dabei enorm unterschiedlich; "Wrinkles & Sprinkles" wirkt amateurhaft, während "Gaza Fights For Freedom" auf technischer und erzählerischer Ebene sehr ausgereift ist.

Neutrale oder gar konservative Beiträge sucht man auf Means TV vergeblich; sämtliche Formate sind politisch am linken Rand zu verorten. "Bewegungen wie Occupy und die Kampagne von Bernie Sanders haben die Öffentlichkeit auf Probleme wie Ungleichheit und den Kapitalismus aufmerksam gemacht", sagt Burton. "Wir werden da sein, um diesen Menschen Unterhaltung zu bieten, mit der sie sich identifizieren können."

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