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iPhone Apps: Das Bikini-Problem

Medien auf dem iPhone Aufstand gegen Apples App-Zensur

Mit rigiden Methoden zensiert Apple Erotik in Applikationen fürs iPhone - nun trifft es auch die nackten Mädchen von "Bild". Springer schlägt Alarm, fürchtet eine Einschränkung der Pressefreiheit und sucht die Solidarität anderer Verlage.

Berlin - In der Zentrale von Europas größter Boulevardzeitung geht die Angst um. Besorgt sind Redaktionsleitung um Chefredakteur Kai Diekmann und Vermarkter der Online-Angebote um eines ihrer neusten Produkte: das "Bild-Girl zum Schütteln", das sich für die User der iPhone-Anwendung der Zeitung durch heftiges Rütteln des Smartphones Schritt für Schritt entblättert. Die Idee sollte der Clou sein, als "Bild" im Dezember 2009 mit seiner App für das iPhone auf den Markt kam, gut 100.000 iPhone-User haben das Programm runtergeladen.

Mit den sexy Bildern allerdings, das befürchtet die "Bild"-Führung, könnte es bald vorbei sein. Aus dem Verlag ist zu hören, dass die neue Software-Version der App, die für den Verlag auch Geld einspielen soll, von der US-Firma Apple nicht abgesegnet wird. Sex, so die Devise des sich sonst so locker gerierenden Konzerns, hat auf dem iPhone nichts zu suchen. Wie an vielen anderen Apps stößt sich Apple an den nackten Mädchen von "Bild".

Beim Axel-Springer-Verlag will man nun auf die Barrikaden gehen, der Großverlag sucht den Schulterschluss der Medien gegen die Nacktbilder-Zensur. Deshalb wandte sich die Geschäftsführerin der Digital-Abteilung von "Bild", Donata Hopfen, am Montag leicht entrüstet an den Zeitungsverlegerverband, sie moniert die "Richtlinien zu erotischen Inhalten", die "mit einer Zensur gleichzusetzen" sind. Zwar habe "Bild" das Schüttelmädchen bereits entschärft, seit kurzem entblättert sich die Frau nur bis auf den Bikini.

"Heute sind es nackte Brüste, morgen womöglich redaktionelle Artikel"

Doch damit nicht genug: Apple verschärfe die Richtlinien "willkürlich" Tag für Tag, so Geschäftsführerin Hopfen. Die rigide Politik bedeute für deutsche und europäische Medienhäuser "eine Einschränkung der redaktionellen Freiheit". Der Zeitungsverband müsse schnell die "Verlagsinteressen" bündeln und "gemeinschaftlich im Sinne der Pressefreiheit" vertreten, heißt es in der E-Mail. "Heute sind es nackte Brüste", schreibt Hopfen, "morgen womöglich redaktionelle Artikel".

Auch wenn der Springer-Appell für die Pressefreiheit angesichts der Gefahr, in Zukunft auf die nackten Mädchen verzichten zu müssen, arg hergeholt wirkt, steckt hinter der Beschwerde ein heikles Phänomen des iPhone-Booms. Zwar werden das Gerät und die vielen Applikationen weltweit geliebt und gelobt. Apple aber versteht es wie kein anderes Unternehmen, mit einer geschickt ausbalancierten Strategie Soft- und Hardware zu verbinden, Freiheiten zu erlauben und einzuschränken und damit ein Optimum an Profit zu erwirtschaften.

Die aus europäischer Sicht prüde wirkende Haltung gegen erotische Inhalte eskalierte in den vergangenen Wochen. Mehrere tausend Anwendungen wurden von Apple schnurstracks aus dem Angebot geworfen, nach eigenen Angaben reagierte der Konzern damit auf Beschwerden seiner User. "Es kam zu dem Punkt, dass wir Kundenbeschwerden bekamen, meist von Frauen, welche die erotischen Inhalte herabsetzend fanden, oder von Eltern, die sich darüber aufregten, was ihre Kinder zu sehen bekamen", so ein Unternehmenssprecher.

Die "Stern"-App verschwand ohne Vorankündigung

Die Politik von Apple betrifft mittlerweile einen Riesenmarkt. Erst im September 2009 meldete Apple, dass 100.000 Apps über den Store zu haben waren. Zugleich konnte die Firma mehr als zwei Milliarden Downloads melden - im Schnitt kommt also eine App auf 20.000 Downloads. Vier Monate später, im Januar 2010, sollen es schon 140.000 Apps gewesen sein - und mehr als drei Milliarden Downloads. Millionen werden mit den kleinen Programmen verdient, 30 Prozent der Erlöse gehen grundsätzlich an Apple.

Opfer der Anti-Sex-Kampagne ist nicht nur "Bild", zuvor machte der "Stern" Erfahrung mit den Methoden von Apple. Unangekündigt wurde im Januar die App der Illustrierten wegen einer Erotikgalerie gelöscht. Der "Stern" protestierte zuerst, dann einigte man sich. Auch "Bild" ließ sich zuerst auf die Zensur ein. So tauchen nackte Mädchen in der PDF-Version der Zeitung für das iPhone bereits stets mit verpixelten Brustwarzen auf, "no nipples"-Politik nennt man das.

Nun aber will Apple noch, dass die Brüste per Bildbearbeitungsprogramm überdeckt werden. Das geht dem Verlag zu weit.

Apples Reinheitsgebot stellt die Verlage vor grundsätzliche Fragen. Wie viel Einschränkungen kann man sich von Apple gefallen lassen und wie weit wird die Zensur noch gehen? Besonders vor der Einführung des iPad, von dem sich viele einen Innovationssprung bei der Nutzung digitaler Medien versprechen, verschärft sich die Diskussion, wie sehr man sich von einer Firma abhängig machen darf, die so vehement in die Inhalte eingreift.

Mit seiner restriktiven Politik hat Apple den Ärger von App-Anbietern provoziert. Viele Entwickler stoßen sich daran, dass die Richtlinien, die Apple für seine Bewertungen zugrunde legt, nicht transparent sind. Zwar veröffentlichte Apple zur Eröffnung des App Stores ein Software Developer Kit (SDK), mit dem jeder passende Software für das iPhone programmieren konnte. Der Haken: Ob man die Software dann auch für das iPhone anbieten und im App Store verkaufen kann, entscheidet allein Apple - der Entwickler erfährt das oft erst im Nachhinein.

Willkür im Hause Jobs

Denn die Veröffentlichung ist an Bedingungen gebunden, die man oft nur indirekt erschließen kann: Es gibt nur grobe Kriterien, an die sich Programmierer zu halten haben, daneben aber Apples Geschäftspraxis, die nicht immer mit diesen Kriterien konsistent ist. Die eine App wird akzeptiert, eine inhaltlich verwandte nicht. So wie im aktuellen Fall: Während diverse Bikini-Apps kleinerer Anbieter aus dem Shop fliegen sollen, will Apple die erotischen Apps etablierter, entsprechend konnotierter Marken weiter akzeptieren - die von "Playboy" und Co. also.

Im Internet hagelt es seit den ersten Tagen des App Stores Kritik: Apple agiere nach Gutsherrenart, es herrsche Willkür. Apps von Fremdanbietern wurden aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt oder aus dem Shop entfernt. Manchmal geschieht das, um Apples Geschäftsinteressen zu schützen: Wenn etwa Telefonie-Apps entfernt werden, soll dies die Interessen der Mobilfunkbetreiber, mit denen Apple Verträge hält, schützen. Das kann man unfair finden - geschäftlich ist es zumindest nachvollziehbar.

Meist aber sind Apples autokratische Entscheidungen wenig verständlich. Ein Grundsatzproblem hat das Unternehmen mit sogenannten anstößigen Inhalten, denn die Ansichten darüber, was damit gemeint sein könnte, unterscheiden sich regional und kulturell stark. Dass ein deutscher Entwickler mit "Me so holy" im vergangenen Jahr eine E-Postkarten-App anbieten wollte, mit der man sein eigenes Konterfei in ein Heiligenbild eingefügt verschicken konnte, war Apple zu blasphemisch - obwohl oder vielleicht sogar weil sich die Religion frei wählen ließ?

Gänzlich erratisch ist, dass die Schüttel-Mädchen von "Bild" zensiert werden sollen, gleichwohl die App "Passion" erhältlich ist. Und die funktioniert so: Der iPhone-Bewegungssensor misst die sexuelle Performance anhand der physischen Aktivität und der Lautstärke beim Orgasmus. Der Stoßmesser für das iPhone scheint also Apples Prüderietest bestanden zu haben.

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