Medienkrise Springer-Chef schimpft auf "Web-Kommunisten"

"Sicherungen herausgeflogen", "Wahnsinn", "Web-Kommunisten": Springer-Chef Döpfner und der stellvertretende Chef des "Hamburger Abendblatts" beschimpfen die eigene Branche. Der Geiz des Lesers bedrohe den Journalismus. Dabei ist das WWW gar nicht kostenlos.
Springer-Chef Döpfner: "Abstruse Phantasien spätideologisch verirrter Web-Kommunisten"

Springer-Chef Döpfner: "Abstruse Phantasien spätideologisch verirrter Web-Kommunisten"

Foto: Z1015 Bernd Settnik/ dpa

Es gibt keine Kostenloskultur im Internet. Das Internet, das kann jeder beim Blick auf seine Telefonrechnung am Monatsende sehen, ist alles andere als kostenlos: Es kostet 20 Euro im Monat, oder 35, je nachdem, an welchen Anbieter man sich bindet. Und nochmal so viel oder mehr, wenn man auch noch mobil online gehen will. Und es kostet Zeit: Jeder Blick auf eine Web-Seite ist eine Investition der kostbarsten, knappsten Ressource, die es in der westlichen Welt heute gibt. Einer Ressource, um die Medienmacher seit vielen Jahren mit allen Mitteln konkurrieren - und um deretwillen sie auch schon seit vielen Jahren Inhalte scheinbar verschenken. Weil die Währung Aufmerksamkeit sich über Werbung in Geld umtauschen lässt.

Als das Privatfernsehen in Deutschland aufkam, sprach niemand von einer "Kostenloskultur" - obwohl man doch RTL und Sat.1 sehen kann, ohne Fernsehgebühren zu zahlen. Auch die Nachrichten dort. Das ans öffentlich-rechtliche Pay-TV gewöhnte deutsche Volk nahm's gelassen und dankbar hin, und die Werbetreibenden auch. Fürs Radio gilt das gleiche: All die "Hits-der-letzten-dreißig-Jahre"-Sender, all die lokalen Schlagerradios machen Musik und Nachrichten und Werbung - zahlen muss der Hörer nur mit seiner Zeit.

Die Printmedien haben seit Jahrzehnten ein komfortables Finanzierungsmodell: Sie bekommen von ihren Anzeigenkunden Geld fürs Werbung-Zeigen - und von ihren Lesern für ihre Produkte. Das ist, als ob "Sky", "HBO", "Showtime" und all die anderen Pay-TV-Sender es wagen würden, Filme und Serienfolgen genauso wie die kostenlose Konkurrenz mit Werbung zu unterbrechen. Premiere war früher sogar mal komplett werbefrei. Den Werbeblock mitten im Film gibt es bei "Sky" bis heute nicht - es wäre zu befürchten, dass dann die Kunden in Scharen weglaufen würden. Die einzige andere Institution, die sich das in Deutschland erlauben kann, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk - und der treibt seine Abonnementgebühren zwangsweise und mit staatlicher Unterstützung ein.

"Nicht groß genug, den Wahnsinn zu stoppen"

Trotzdem betrachtet etwa "Springer"-Chef Matthias Döpfner direkte Bezahlung für werbefinanzierte Inhalte als gewissermaßen gottgegebenes Vorrecht, das auch für Verlage gelten müsse. Im Gespräch mit dem "manager magazin" sprach er im Zusammenhang mit kostenlosen Inhalten im Netz von "abstrusen Phantasien spätideologisch verirrter Web-Kommunisten". Dass journalistische Angebote online fast ausschließlich kostenlos verbreitet werden, sei ein "Unsinn". Springer sei aber "nicht groß genug" gewesen, "um diesen Wahnsinn allein zu stoppen".

Döpfner sagte nicht, ob er auch die Anteilseigner der ProsiebenSat.1 Media AG für Wahnsinnige hält. Oder die Eigentümer der RTL Group. Wo die doch seit Jahrzehnten die Kostenloskultur des privaten Rundfunks nähren mit ihren Angeboten. Springer selbst besitzt Anteile an mehreren Privatradiosendern.

Der stellvertretende Chefredakteur von Springers "Hamburger Abendblatt", Matthias Iken, betrachtet das für manche durchaus lukrative System kostenloser Inhalte gepaart mit Werbung als "großzügiges wie groteskes Geschäftsmodell - das 'Mutter-Teresa-Prinzip'." Dabei sind doch zum Beispiel weder Leo Kirch noch Helmut Thoma jemals allzu großer Mildtätigkeit geziehen worden.

Die eigenen Leser des Schmarotzertums bezichtigt

Iken will in der Variante "Zahlen und trotzdem Werbung sehen" trotzdem eine "jahrtausendealte Grundkonstante jedes wirtschaftlichen Handels" erkannt haben . Dass man die jetzt "erklären" müsse, zeige, "wie kollektiv die Sicherungen in der vermeintlichen New Economy herausgeflogen sind".

Um da gegenzusteuern, nimmt das Online-"Abendblatt" ab jetzt Geld, ebenso wie die "Berliner Morgenpost" - für die Lokalberichterstattung im Netz. Der Leser muss sich trotzdem rund um die Texte herum Werbung ansehen. Den aktuellen Aufmacher der Seite am Mittwochmittag umrahmen Anzeigen für Kochtöpfe und Parfum, zusätzlich zwei Kästchen mit Google-Anzeigen. Und das, obwohl Springer-Chef Döpfner dem Suchmaschinenkonzern vorwirft, er habe eine Marktmacht erreicht, "gegen die sich Rockefeller wie ein harmloser Kioskbesitzer" ausnehmen würde. Es könne "nicht sein, dass die dummen Old-Economy-Guys für viel Geld wertvolle Inhalte erstellen und die smarten New-Technology-Guys sie einfach stehlen und bei ihren Werbekunden vermarkten", sagte Döpfner dem "manager magazin". Gleichzeitig halfen die des Diebstahls Geziehenen dem eigenen Haus bei der Refinanzierung.

Springer ist trotz alledem zu wünschen, dass es klappt mit dem kostenpflichtigen Online-"Abendblatt", auch ohne staatlich sanktionierte Geldeintreiber im Rücken. Jeder Journalist würde und sollte sich freuen, wenn für Information und Analyse auf Web-Seiten künftig Geld gezahlt würde. Die ganze Branche wird mit Spannung beobachten, ob der mutige Schritt womöglich doch erfolgreich sein kann. Das aber im Brustton der Selbstgerechtigkeit zu fordern, dabei die eigenen Leser des verantwortungslosen Schmarotzertums zu bezichtigen, ist womöglich der falsche Weg.

Man kann es gar nicht oft genug sagen: An den finanziellen Sorgen der Verlagshäuser sind nicht geizige Leser schuld - im Gegenteil, die bezahlen ja immer noch bereitwillig für teilweise werbefinanzierte Printmedien. Schuld an der Misere ist die Tatsache, dass das Internet gewaltige neue Werbeflächen geschaffen hat, die sich effektiver vermarkten lassen als viele redaktionelle Angebote. Dass Anzeigen im Netz zu billig sind, um den Anzeigenschwund auf Papier auszugleichen. Und das, obwohl Journalismus im Netz tatsächlich billiger ist als auf Papier - was den Vertrieb angeht.

Leser zu beschimpfen aber ist ebensowenig zielführend wie Mediaagenturen und Anzeigenkunden dafür zu kritisieren, dass die für Werbung im Netz so wenig zahlen. Märkte reagieren in der Regel weder auf Appelle noch auf Drohungen.

Wer übrigens glaubt, dass Online-Leser all das nicht längst verstanden hätten, werfe mal einen langen Blick auf die inzwischen sehr lange Kommentarspalte unter dem Artikel, den Matthias Iken "In eigener Sache" fürs "Abendblatt"  geschrieben hat.

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