Medienkrise Warum Online-Werbung wichtig fürs Web ist

Stellt man Internetnutzer vor die Wahl, ob sie Anzeigen akzeptieren oder für Informationen zahlen wollen, ziehen sie Werbung vor. Immer mehr User verweigern allerdings beides - und gefährden damit den Fortbestand kostenloser Angebote im Netz.
Werbeträger Computer: Keine Anzeigen - keine Inhalte

Werbeträger Computer: Keine Anzeigen - keine Inhalte

Foto: A3464 Rainer Jensen/ dpa

Das PEW Project for Excellence in Journalism liefert jährlich eine vielbeachtete Inventur der amerikanischen Medienbranche. "The State of the News Media"  ("Der Zustand der Nachrichtenmedien") heißt dieser höchst passend benannte Bericht: Es ist eine Krankenakte, die Dokumentation eines fortschreitenden Verfalls. Noch ist der Patient nicht tot, aber längst abhängig von lebensrettenden Maßnahmen und Intensivpflege. Auch nach diversen Amputationen, so der Tenor des Berichts 2010, ist er längst nicht außer Gefahr.

Die Probleme des US-Patienten lassen sich in einigen Punkten zusammenfassen, und natürlich sind auch die Medien im Rest der westlichen Welt längst angesteckt.

Die Symptome der Medienkrise:

  • Der seit Jahren schwächelnde Werbemarkt ist in der Krise regelrecht kollabiert.
  • Medien müssen sich statt aus Werbeumsätzen (Zeitungen in Deutschland 2009: minus 13 Prozent) zunehmend aus Verkaufs- und Vertriebserlösen refinanzieren, werden also teurer. Der Kunde ist aber nur bedingt zahlungsbereit. Das bedeutet unter dem Strich ein Umsatzminus (US-Zeitungen 2009: minus 26 Prozent in einem Jahr).
  • Medien können aufgrund der einbrechenden Umsätze auch weniger in die Qualität des Angebots investieren, weil ihnen schlicht die Puste ausgeht. 2009 gaben US-Medien 1,6 Milliarden Dollar weniger für Redaktionen aus als vor zehn Jahren; immer mehr Journalisten wechseln von festen in freie (und oft prekäre) Beschäftigungsverhältnisse.
  • Die Werbe-Etats im sogenannten Media-Mix verschieben sich zunehmend von Offline- zu Online-Medien, zugleich aber bucht und bezahlt die Werbewirtschaft online weniger als offline: Der Werbekuchen schrumpft, obwohl die Reichweite steigt.
  • Die Hauptnutznießer von Werbung online sind nicht Medien, sondern Dienstleister, die zu Werbeträgern wurden: 42 Prozent der weltweiten Online-Werbeumsätze fließen allein Google zu. Insgesamt landen laut ZenithOptimedia, Teil des zweitgrößten Media-Agenturnetzwerks Publicis, 53 Prozent der weltweiten Web-Werbegelder bei den Suchmaschinen: Die sollten wissen, wovon sie reden, denn sie sind die Dienstleister, die solche Werbeetats verteilen.
  • Online-Medien sind nicht einfach nur ein neues Medium im Angebot, sondern haben das Potential, alte Medien zu ersetzen, und tun dies zunehmend auch: Insbesonders Tageszeitungen verlieren immer mehr Leserschaft an News-Web-Seiten.

Damit ist das Krankheitsbild beschrieben. Aus Onliner-Sicht fehlt nur noch ein Punkt, den Online-Medien höchst ungern thematisieren: Werbeblocker - Programme, die Werbung aus Web-Seiten ausblenden.

Web ohne Werbung?

Der inzwischen 16 Jahre alte Deal zwischen Online-Medien und Mediennutzern lautet eigentlich so: Wir liefern Ihnen kostenfrei Inhalte, und Sie sehen sich dafür im Umfeld Werbung an.

Die Refinanzierung eines Online-Nachrichtenangebotes hängt davon meist so gut wie vollständig ab: Weitere Erlösquellen haben nur sehr wenige Anbieter, und deren Anteil am Gesamtumsatz ist in der Regel marginal. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Online-Medien damit nach wie vor defizitär arbeiten. Auch in den USA, wo online mehr Werbegelder fließen als in Europa, kippt der Online-Werbemarkt wieder ins Minus (2009: minus fünf Prozent). Nicht nur der Medienunternehmer Rupert Murdoch (News Corp.) denkt deshalb über die augenscheinlich einzige Alternative nach: Online-Inhalte zu bepreisen.

Der Hauptgrund für diesen Trend ist natürlich die oben geschilderte Schwäche des Werbemarktes. Werbeblocker aber haben sich inzwischen zu einem Faktor entwickelt, der ausreicht, aus kleinen schwarzen Bilanzzahlen rote zu machen: Je nach Angebot verweigern zwischen 5 und 25 Prozent aller Online-Mediennutzer inzwischen das Ansehen von Werbung.

Das Perfide daran: Je medienaffiner die Nutzer sind, desto häufiger setzen sie Blocker ein. Es sind also die Nutzer mit dem größten Interesse und Verständnis für Inhalte, die den meisten Schaden verursachen. Wir bei SPIEGEL ONLINE können das sogar innerhalb des Angebotes quantifizieren: Leser des Technik-Ressorts Netzwelt setzen bis zu zweieinhalbmal so häufig Werbeblocker ein wie der Durchschnittsleser von SPIEGEL ONLINE.

Belastbare Zahlen über Werbeblocker gibt es nicht, und anscheinend auch keinen Betreiber, der bereit wäre, seine Blocker-Statistiken öffentlich zu machen. Auch die diversen Branchenverbände haben keine gesicherten Erkenntnisse. Paul Mudter, Vorsitzender des Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW): "Wir gehen davon aus, dass rund 50 Prozent der deutschen Internetnutzer einen Pop-up-Blocker aktiviert haben. Allerdings spielen Pop-ups im Bereich der Online-Werbung nur noch eine untergeordnete Rolle. Komplette Werbeblocker kommen dagegen deutlich seltener zum Einsatz."

Je informierter, desto werberesistenter

Doch wie "deutlich seltener" sind Werbeblocker? Wir wagen einmal eine Schätzung: Kaum ein Online-Angebot in Deutschland dürfte unter zehn Prozent Ausfallquote durch Werbeblocker liegen.

Einer der Hauptgründe dafür liegt im hohen Marktanteil von sogenannten Alternativbrowsern zu Microsofts Internet Explorer. Besonders unter Firefox-Nutzern - Firefox ist in Deutschland der populärste Browser - ist der Einsatz von Werbeblockern beliebt. Es gibt gleich mehrere Add-on-Programme für Firefox, die Werbung ausblenden können. Das populärste davon ist Adblock Plus.

Keine Werbung, kein Inhalt?

Von weltweit geschätzten 300 Millionen Firefox-Nutzern haben knapp über 74 Millionen diesen Werbeblocker installiert - jeder vierte Nutzer also. Nur knapp unter elf Millionen benutzen ihn allerdings auch täglich.

Statistiken für Adblock Plus: Zwischen neun und elf Millionen Werbeverweigerer am Tag

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Allerdings: Die fleißigsten Werbeblockierer der Welt leben in Deutschland. Rund 20 Prozent aller aktiven Adblocker im Firefox-Browser laufen in der deutschen Programmversion:

Teutonen mit Werbeallergie: Niemand verweigert häufiger Online-Werbung

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Und zwar aus Prinzip. Nirgendwo ist die Zahlungsbereitschaft für Online-Medien geringer (acht Prozent), nirgendwo aber auch die Verweigerung von Werbung ausgeprägter als hier. Das gipfelt in einer aberwitzigen Haltung, die nur durch eine Verstaatlichung des WWW und seiner Inhalteangebote umzusetzen wäre: 40 Prozent aller Deutschen fordern laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung GfK aus dem Dezember 2009, dass Angebote im Web sowohl werbefrei als auch kostenlos sein sollten.

Das ist natürlich völlig realitätsfern: Die Verbeamtung aller Webmaster und Online-Redakteure ist derzeit nicht geplant. Diese Grundhaltung aber befördert die Wahrnehmung, dass ein Ausblenden von Werbung eine legitime Form der Notwehr gegen eine vermeintliche Belästigung ist.

"Die Alternative zur Online-Werbung wäre Paid Content"

Mit Notwehr versuchte es  in der vorletzten Woche auch die vom US-Verlag Conde Nast betriebene Tech-Web-Seite "Ars Technica": In einem Experiment mit der eigenen Leserschaft blockierte die Web-Seite für Nutzer von Werbeblockern einfach auch die Inhalte - die Werbeverweigerer bekamen eine blanke Seite geliefert. Das Echo auf diese als Diskussionsanregung gedachte Aktion war heftig: Am Freitag vollführte die Redaktion einen sehr tiefen Kotau vor der aufgebrachten Leserschaft. Die Redaktion sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Werbeverweigerung aus bösem Willen geschehen sei, dabei seien die meisten Nutzer durchaus hilfsbereit.

Hinter verschlossenen Türen wird seit Jahren über solche Maßnahmen diskutiert. Niemand aber wagt, so etwas auch durchzuziehen. "Übergreifende Maßnahmen" seien auch innerhalb des Online-Vermarkterkreises nicht geplant, sagt dazu BVDW-Mann Paul Mudter: "Jeder Nutzer muss selbst entscheiden, ob er Online-Werbung akzeptiert und so zur Finanzierung eines Online-Magazins und der damit verbundenen journalistischen Arbeit beiträgt oder nicht. Die Alternative zur Online-Werbung wäre Paid Content, die aber nur in speziellen Fällen akzeptiert wird."

Da hat er allerdings recht. Wenn es einen Punkt gibt, über den sich alle Marktforscher einig sind, dann über diesen: Nur 16 Prozent aller Nutzer würden zahlen, ergab eine Forsa-Umfrage im Oktober 2009. Weltweit würden nur 13 Prozent zahlen, ermittelte die GfK im Dezember. Nielsen entdeckte im Februar 2010 immerhin 15 Prozent Zahlungsbereitschaft. PEW geht dagegen nur von sieben Prozent aus - den Rest zur Kasse zu bitten sei so, als wolle man "einen Schmetterling zurück in seinen Kokon zu zwingen".

Notwendig ist ein Bewusstseinswandel

Was aber bleibt dann? Kann man in Zeiten, in denen der Werbemarkt derart schwächelt, die Werbeblocker einfach weiter ignorieren, sie als schwer zu beziffernden Streuverlust verbuchen?

Nein. Mehr Adblocker bedeuten eine Erhöhung des redaktionellen Aufwands und damit der Kosten, um die im Rahmen der Werbeschaltung garantierten Reichweiten zusammen zu bekommen. Die Erlöse sinken damit weiter, zugleich wird ein quantitativer Druck zur Triebfeder statt einer qualitativen Orientierung. Es kann nicht sein, dass Web-Nutzer, die zum einen Qualität einfordern und billig Produziertes zurecht ablehnen, reflexhaft abwehrend auf Werbung reagieren: 16 Prozent aller Web-Nutzer klicken sofort weiter und weg, wenn in einem Video ein Werbespot auftaucht. Auf News-Seiten seien es 25 Prozent, ermittelte das auf Nutzerstatistiken von Web-Videos spezialisierte Unternehmen TubeMogul.

Notwendig ist ein Bewusstseinswandel. Wer Werbung als Belästigung wahrnimmt, sollte sich eines klarmachen: Der Deal, der auch dieses Angebot hier möglich macht, funktioniert nur, solange nicht zu viele Nutzer die Werbung verweigern. Werbeverweigerer haben die Freiheit kostenlosen Web-Medienkonsums nur, solange sich ihnen nicht zu viele Nutzer anschließen. Steigt der Prozentsatz der Verweigerer zu stark, wird ein Angebot entweder kostenpflichtig oder geht unter.

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