Messenger-Spam AOL drängt Nutzern falsche Freunde auf
Es gibt Dinge, die man nun wirklich selbst entscheiden möchte. Zum Beispiel, wen man seinen Freund, seinen Kumpel nennt, und wen nicht. Bei AOL Inc., dem amerikanischen Mutterunternehmen des Multimediagiganten, sieht man das offenbar anders. Zwei neue "Buddies" tauchten gestern plötzlich in den Kontaktlisten der Nutzer des Instant-Messenger-Systems AIM auf. "MovieFone" und "ShoppingBuddy" wollten einen auf "tolle Feiertagsfilme und Geschenkideen" aufmerksam machen, erläuterte eine gleichzeitig eingehende "Systemnachricht" von AOL. Der Instant Messenger dient eigentlich der Echtzeit-Verständigung zwischen Menschen, die einander dieses direkte Auftauchen auf ihrem Bildschirm explizit gestatten - eine Art Internet-Telegrammservice mit Gästeliste.
Bei den beiden uneingeladenen Gästen handelt es sich um sogenannte Bots, automatische Informationssysteme, denen man Fragen stellen kann. Zum Beispiel über das amerikanische Kinoprogramm. Das heißt - eigentlich nur über das amerikanische Kinoprogramm, jedenfalls, wenn es um "MovieFone" geht. Man gibt den Namen eines Schauspielers oder Regisseurs ein und bekommt eine Vorschlagsliste mit passenden Filmen, die gerade irgendwo gezeigt werden sollen, als Messenger-Nachricht zugeschickt. Dann wählt man einen aus, und soll, nach Angabe seines US-Zipcodes mitgeteilt bekommen, wo der Film gerade läuft. Wo in den USA der Film gerade läuft wohlgemerkt. Die Film-Links, die im Telegrammfenster erscheinen, führen auf die (US-)Seiten von AOL.
Dem automatischen "ShoppingBuddy" können einsame Menschen dagegen mitteilen, was sie gern zu Weihnachten hätten. Der merkt sich dann eine Wunschliste - was höchst sinnvoll erscheint, denn bei wem wären die eigenen Weihnachtswünsche besser aufgehoben als im automatisierten Datenbanksystem einer Firma, die offenbar nicht davor zurückschreckt, ungefragt Marketing auf dem eigenen Desktop zu machen? Der ShoppingBuddy kann aber noch mehr: Er verlinkt von den eigenen Wunschlisten-Einträgen auf Webshops, die das entsprechende Produkt verkaufen (in den USA, wo sonst).
Bei AOL Deutschland ist man von der Nachfrage von SPIEGEL ONLINE zu den ungebetenen Gästen zunächst mal überrascht. Mit den neuen "Buddies" hat man nichts zu tun, erklärt Sprecher Tobias Riepe. Dann stellt sich heraus, dass "die Kollegen von AOL Inc. in den USA" gerade "die Akzeptanz solcher Maßnahmen testen". Offenbar testen die Kollegen aber ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass man die Akzeptanzbereitschaft nicht nur der amerikanischen sondern vor allem auch der in Übersee belästigten Kundschaft da möglicherweise etwas überstrapaziert.
Die Agentur AP befragte einen Vertreter des Mutterhauses in den USA, und der wies darauf hin, dass man die Bots ja sehr leicht löschen könnte - was übrigens für sonstigen Spam auch gilt. Man fragt sich fast: warum die ganze Aufregung über unerwünschte E-Mails? AOL selbst prahlt regelmäßig damit, wie viele Viagra- und Penisvergrößerungswerbemails man diesen Monat wieder aus dem Netz gefischt hat. Die hätten die User doch einfach selbst löschen können!
Der US-Sprecher sagte auch noch, die Reaktionen auf den Testlauf seien "gemischt". Na dann.
Christian Stöcker