Microsofts Suchmaschine Bing Praktisch, treffsicher, Google-gut
Über den Aufstieg und die Macht von Microsoft ist schon so manches Buch geschrieben worden und Tausende von Artikeln. Dokumentationen wurden gedreht und zumindest ein Film (Die Silicon Valley Story, 1999), in dem es ganz unverhohlen um Gates, Konkurrent Jobs und Co geht. Kein Wunder, der Aufstieg des reichen Nerds Bill zum superreichen Nerd William Gates III. hat Bewunderung, Neid und sogar Angst und Hass erregt.
Daran, dass es Microsoft gelungen wäre, den Suchmaschinenmarkt signifikant zu prägen oder zu beherrschen, lag das definitiv nicht.
Denn in diesem vielleicht wichtigsten Marktsegment der Internet-Ökonomie hat Microsoft bisher regelmäßig versagt. MSN Search hatte Nutzer, weil MSN-Kunden und Windows-Nutzer die Seite als Startseite serviert bekamen. Wirklich wichtig waren derweil andere Suchdienste wie Altavista, Yahoo oder Google.
Microsoft: Als Such-Marke diskreditiert
Das galt auch für Live Search, den zweiten großen Versuch, eine zeitgemäße Suchtechnik zu etablieren. Die Markt-Performance von Live Search mit dem Attribut "abgeschlagen hinter Google" zu beschreiben, wäre noch freundlich. In den USA kratzte Microsoft mit MSN/Live Search in den vergangenen Jahren allenfalls an acht Prozent Marktanteil, Tendenz fallend. International gab es nicht mehr viel, wohin der Marktanteil hätte fallen können.
Einen veritablen Offenbarungseid leistete Microsoft im vergangenen Jahr, als es Surfern, die via Live Search Produkte finden und kaufen würden, Geld für die Nutzung der Suchmaschine versprach. Ein kühnes Marketing-Konzept: Kein Suchmaschinenbetreiber hatte bis dahin gewagt, seine Nutzer per Bestechung zu suchen. Der Erfolg war ambivalent: Zahlreiche Internet-Nutzer nahmen erstmals wahr, dass es Live Search gab. Nur gab es nicht viele, die es deshalb auch nutzen wollten: Auch so fand Microsoft keine Nutzer, der Marktanteil fiel ungebremst weiter.
Bing: Third time lucky?
Da war es nur eine Frage der Zeit, bis der dritte Versuch folgen sollte - seit dem Pfingstwochenende kann man ihn besichtigen . "Bing" sieht neu aus und soll auch ein echter Neustart sein. Und siehe da: Gab es im Vorfeld noch launiges Bashing im Stile eines "Lass mal sehen, was sie jetzt wieder nicht schaffen", geht nun ein durchaus beeindrucktes Raunen durchs Web. Denn mit Bing kann man, anders als bei Live Search, nicht nur suchen, man findet sogar etwas dabei. Auch wenn viele den Namen weiterhin als Akronym für But It's Not Google deuten.
Bereits erste kleine Versuche mit Bing zeigen, dass die Suchtechnik einem derzeit äußerst starkem Trend folgt: Sie erscheint erfolgreich auf Relevanz gebürstet. Und anders als der ursprüngliche "Zehn Milliarden Fliegen können sich nicht irren"-Ansatz von Google, der Beliebtheit mit Relevanz verwechselt, pflegt Bing offenbar semantische Ansätze. Die Suchmaschine "versteht" Kombinationen von Suchwörtern als gewichtendes Element.
Wer nach "Wetter" und "Pusemuckel" sucht, will offenbar nicht nur Seiten finden, auf denen beides vorkommt - sondern vor allem Seiten, auf denen beides verknüpft vorkommt. Wer nach "Retina" und "Implantat" sucht, will offenbar Seiten finden, auf denen es um Retina-Implantate geht.
Gelingt das?
Ja, und zwar gut, verblüffend zielsicher. Geradezu googlehaft, könnte man sagen - denn bei den gewählten Beispielen Wetter+Ort und Retina+Implantat entsprechen sich die Suchergebnisse zwischen den Maschinen auf der ersten Ergebnisseite zu mehr als 90 Prozent. Für die Microsoft-Suchmaschine ist das ein erheblicher Schritt: Sie ist konkurrenzfähig.
Ein Glanzstück: die Bildersuche
Bei der Bildersuche sieht das ähnlich aus, wobei Bing bei sehr sachlichen Suchen treffsicherer wirkt. Sie ist auch besser aufbereitet: Ein Mouse-Over öffnet ein kleines Fenster, in dem die Ursprungsadresse des Bildes gezeigt wird und die Suche per Mausklick auf "ähnliche Bilder zeigen" eingeengt werden kann. Die Vorschau funktioniert sogar bei der Videosuche: Auch hier lässt ein Mouse-Over das Video im Ergebnisfenster direkt anlaufen.
Zurück zur Bildersuche: Ein Klick auf ein Bild liefert eine Vorschau-Seite der Website, links werden weitere Bilder aus der Fundliste angeboten, oben eine Option, zur Ergebnisliste zurückzukehren. Wie umfangreich die ist, bestimmt man auch selbst. Das alles ist ein bisschen Web anno 1999, es erinnert an die Altavista-Bildsuche vor zehn Jahren, es hat den Charme der Frame-Seiten. Ist das ein Manko? Für Ästheten und Web-Designer vielleicht, sonst keineswegs: Bilder-Stöberer werden das alles lieben. Es mag nicht schön sein, aber es ist funktional.
Microsoft outet sich darüber hinaus als lernbegierig. Man kann Bilder auch kommentieren und der Maschine mitteilen, wo sie daneben liegt. Schön auch die Videosuche, bei der ein Mouse-Over jede Videovorschau inklusive Ton anlaufen lässt.
Bei der Shopping-Suche setzt Microsoft auf Partner (in Deutschland Ciao.de): Das ist sicher preiswert und bringt vielleicht sogar Geld, bietet aber dem Internet-Nutzer keinerlei neuen Mehrwert. News sucht Bing nur on demand: Die Seite pflegt keine eigene Nachrichtenübersicht. "Maps" erschließt Kartenmaterial und Routenplanung und mit dem Feature "Collections" zudem reichhaltig bestückte Marketing-Informationen wie Infos zu Hotels am betrachteten Ort oder touristische Informationen über Sehenswürdigkeiten. Was Microsoft selbst nicht hat, holt sich der Software-Konzern wieder ganz hemdsärmelig über Partner: Wer in den Karten-Collections auf 360-Grad-Panorama klickt, landet hierzulande bei "Deutschland Panorama".
Braucht man das alles? Natürlich nicht, denn das gibt es bei spezialisierten Anbietern besser, aber hier und da mag es nützlich sein. Der Versuch, den spielerischen Diensten Google Maps und Earth Konkurrenz zu machen, wirkt im Vergleich etwas krampfig, die Informationen haben zu wenig Community-Bezug - es ist halt zugekauft. Macht nichts, außerdem mag sich da noch etwas tun.
Bings Stärke liegt vor allem aber in der Bildersuche und ihren Features und Spezifizierungsmöglichkeiten. Hier kann Microsoft gegen Google richtig punkten. Doch auch bei der ganz profanen Websuche hat Bing oft genug die Nase vorn: Wer das nicht glaubt, dem sei die Google-gegen-Bing-Vergleichssuche bei Blackdog empfohlen. Da lässt sich das trefflich ausprobieren und auf einen Blick vergleichen. Erster Eindruck: Wenn es um populäre Themen geht, hat Google die Nase vorn, geht es um Sachliches, sticht eher Bing.
Fazit: Stark im Kernbereich, aber auch Blindflecken
Blindflecken hat die Suchmaschine dagegen bei aktuellen Inhalten. Viel langsamer als Google bindet sie aktuelle Quellen ein, gewichtet hier noch weit weniger deutlich als der große Konkurrent Originär- und Sekundärquellen. Oben scheint zu stehen, was als letztes veröffentlicht wurde - eine Art Lohn der Langsamkeit. Über das durchaus vielbeachtete, nagelneue Microsoft-Videospielprodukt "Project Natal" beispielsweise findet man mit Microsofts Suchmaschine auf den ersten zwei Trefferseiten am Dienstag nichts - bei Google landen relevante Informationen zu "Natal" ganz oben.
Unser vorläufiges Fazit: Bing ist anders als sein Vorgänger Live Search eine brauchbare Suchmaschine, die in der Spitzengruppe qualitativ mithalten kann. Hätte Google in den vergangenen zehn Jahren mehr solche Konkurrenten gehabt, wäre das US-Unternehmen nicht unterwegs zum Monopol.
Ob das durch Bing zu brechen ist, darf bezweifelt werden. Die Suchmaschine punktet, ist bei manchen Suchanfragen sogar klar besser als Google, sie stellt aber auch keine revolutionär bessere Suchtechnik zur Verfügung - die Unterschiede sind graduell. Interessant ist aber die aktuelle Häufung von Innovationsschüben in der Suchtechnik: Bing reiht sich ein in eine regelrechte Phalanx neuer oder erstarkter Google-Gegner, die den Platzhirsch durchaus unter Druck setzen könnten. Microsofts dritter Versuch wirkt weit gelungener als seine Vorläufer und verdient es, dass man ihn eingehend testet.