Mobbing-Plattform iShareGossip Pöbeln als Geschäftsmodell

Die Betreiber der Website iShareGossip versuchen Geld zu verdienen, indem sie ein Forum für anonyme Beschimpfungen bieten. Nun endete ein im Netz angezettelter Streit mit einer brutalen Attacke auf einen Jugendlichen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
iShareGossip: Pöbeleien, Copy-Paste und eine Menge Spam

iShareGossip: Pöbeleien, Copy-Paste und eine Menge Spam

Ein wirtschaftlicher Erfolg ist die Mobbing-Seite iShareGossip.com derzeit nicht, so viel steht fest. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wurden mit den Werbeeinblendungen eines der beiden auf der Seite vertretenen Anbieters bislang weniger als 50 Euro umgesetzt. Das Kalkül der Betreiber ist augenscheinlich, ein Umfeld für möglichst aggressive, abseitige Einlassungen anonymer Teilnehmer zu bieten, damit Gaffer anzulocken - und Kasse zu machen. Bislang erfolglos.

Der Aufruhr, für den die Seite derzeit sorgt, ist dennoch gewaltig: Offenbar als Endpunkt einer Auseinandersetzung auf der Pöbel-Seite, die mit zugesicherter Anonymität wirbt, ereignete sich im Berliner Wedding eine brutale Attacke, in deren Verlauf ein 17-Jähriger von etwa 20 anderen Jugendlichen bewusstlos geprügelt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, Jugendschützer haben sich eingeschaltet.

Wie Schmäh-Graffiti an der Klotür

Auf der Seite steht viel Unsinn, offenbar haben die Betreiber auch massive Probleme mit automatisiertem Spam. Viele Einträge bestehen nur aus einem oder zwei Worten, andere werden, offenbar mit Copy und Paste, ein Dutzend Mal hintereinander in das anonyme Kommentarformular gestellt. So sieht auch die Kommentarspalte aus, die offenbar den Streit auslöste, der schließlich zu der Gewalttat in Berlin führte.

Ein Mädchen wurde dort als Schlampe beschimpft. Der Versuch, den eskalierenden Streit friedlich beizulegen, endete mit dem Angriff auf den 17-Jährigen, der an diesem Mittwoch wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

In einigen Schulen haben sich die wenigen wirklich aktiven Kommentarstränge offenbar kräftig verbreitet - vermutlich auch über Verlinkungen auf Social-Media-Plattformen wie SchuelerVZ oder Facebook. Die gelegentlich auftauchenden wüsten Beschimpfungen und Drohungen ziehen offenbar eine Menge Gaffer an. Genauso wie Schmäh-Graffitti an der Tür eines Schulklos das tun würden.

Doch selbst heute, einen Tag nach einer gewaltigen Welle der Berichterstattung über die Plattform, waren in Spitzenzeiten nur etwa 10.000 Nutzer gleichzeitig online, wenn man den Statistiken der Betreiber glaubt. Das sind nicht allzu viele, bei über 50 Millionen Internetnutzern in Deutschland. Andere Traffic-Kennzahlen, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, lassen ebenfalls nicht darauf schließen, dass das Angebot sich im deutschen Internet derzeit allzu großer Beliebtheit erfreut.

Beleidigung, üble Nachrede, Volksverhetzung

Nun aber ist iShareGossip in den Schlagzeilen - und die Betreiber, die sich hinter einem Schutzwall aus Anonymisierungsdiensten verstecken, sind in der Defensive. Wenn sie bis Donnerstag keine Stellungnahme abgeben, wird die Seite von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt - damit wäre sie beispielsweise über Suchmaschinen bald nicht mehr auffindbar.

Außerdem ermittelt seit Ende Januar die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen der Vorgänge auf der Plattform. Allein aus Hessen sind bisher rund 50 Strafanzeigen eingegangen - teilweise gegen den Betreiber, teilweise gegen Jugendliche, die beleidigende Einträge verfasst haben sollen. Das Interesse der Fahnder gelte jedoch in erster Linie dem Betreiber, sagt Oberstaatsanwalt Günter Wittig. Beihilfe zu allen strafrechtlichen Vorgängen auf der Seite könnten ihm demnach zur Last gelegt werden. Das reicht von Beleidigung und übler Nachrede bis hin zu Volksverhetzung.

Die Ermittlungen gestalten sich allerdings schwierig. Es scheint erstaunlich, dass bislang noch nicht bekannt ist, wer die Betreiber der Plattform sind - immerhin schalten sie Werbung und nutzen diverse Dienstleister, bei denen zumindest irgendwelche Hinweise auf die Betreiber selbst angefallen sein müssen. "Der Betreiber wusste von Anfang an, dass er sich auf dünnem Eis bewegt", sagt Oberstaatsanwalt Wittig. Der mutmaßliche Täter gehe konspirativ vor und habe alles auf Verschleierung angelegt. "Man braucht einen langen Atem", sagt Wittig.

Begründung: SchülerVZ und Facebook sind zu zivilisiert

Laut Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht an der Universität Münster, stehen die Chancen gut, den Betreiber von iShareGossip am Ende zu belangen. "Die Seite geht weit über ein klassisches Forum hinaus", so Hoeren. "Wenn eine Seite per se unlauter ist, dann kann man den Betreiber nach aktueller Rechtsprechung drankriegen."

Die Betreiber selbst begründen die Existenz ihres Angebotes mit der angeblich allzu ausgeprägten sozialen Kontrolle auf anderen Plattformen: "Oftmals sind Lehrer in den SchülerVZ oder Arbeitgeber bei Facebook registriert und kontrollieren das Verhalten von Schülern oder Arbeitnehmern." Damit gehe die "uneingeschränkte Nutzung der Netwerke verloren".

Bei iShareGossip ist Anonymität Grundprinzip: Es gibt gar keine Möglichkeit, beim Verfassen eines Kommentars oder Eröffnen eines neuen Diskussionsstrangs einen Namen anzugeben. Die Betreiber behaupten auch, die Nutzer der Plattform hinterließen dort keinerlei Spuren. In einem Eintrag im Blog der Plattform heißt es in holpriger Orthografie: "Alle die behaupten sie könnten IP Adresse raus finden sind Lügner. Sie wollen euch nur Angst machen und euch unter Druck setzen."

Ob das stimmt, ist unklar. Der Informatiker Stefan Köpsell, Entwickler des Anonymisierungsdienstes JAP, hat sich die Informationsseite von iShareGossip zum Thema Anonymisierung angesehen und urteilt: "Ich denke, dass das jemand geschrieben hat, der Ahnung hat."

Großer Wert wird darauf gelegt, dass auch übelste Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen jederzeit frei auf der Seite veröffentlicht werden können. In einem weiteren Blog-Eintrag heißt es: "In letzter Zeit höre ich immer wieder die Behauptung das iShareGossip-Team würde kritische Beiträge zensieren. Das stimmt nicht. Seit der Übernahme durch die Jufax Intertainment wird kein einziger Beitrag oder Kommentar durch die Administratoren moderiert."

Kinder in eindeutig sexuellen Posen

Die genannte Firma ist dem Impressum zufolge im lettischen Riga ansässig. Sucht man nach Unternehmen mit dieser Adresse, taucht zuerst ein Betreiber mehrerer Webseiten auf, die Kinder in eindeutig sexuellen Posen zeigen. Außerdem war unter derselben Adresse im Jahr 2006 eine in Irland umstrittene Seite registriert, auf der Kunden ihre Anwälte bewerten konnten. Der Oberste Gerichtshof verurteilte im November 2006 den irischen Betreiber der Seite zum Löschen bestimmter Inhalte. Registriert war das Angebot damals schon unter derselben Adresse in Riga wie heute die umstrittene deutsche Verleumdungs-Plattform.

Unter der Anschrift in Riga könnte sich ein Dienstleister verbergen, der auf Anonymität bedachten Betreibern Geschäftsadressen verschafft, gewissermaßen ein Unternehmer in Sachen Briefkastenfirmen. Oder aber all die Angebote haben denselben Hintergrund.

Eins ist sicher: Die Betreiber von iShareGossip.com bewegen sich in höchst zwielichtigem Umfeld - und es erscheint zweifelhaft, dass sie ihr glückloses Geschäft mit Pöbelei und Beleidigung noch lange werden weiterbetreiben können.

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