Mobile Communitys Mit 140 Zeichen um die Welt

Mit Twitter scheint das Ende der Privatsphäre endgültig besiegelt zu sein. "Was machst du gerade?" wird auf dem neuen Portal gefragt. Und die Nutzer antworten. Vollkommen ungeniert wird Privates, nicht selten vollkommen Belangloses preisgegeben - und jeder kann mitlesen.

Doch gerade das scheint die Twitter-Anwender, die sich selbst als "Twits" bezeichnen, zu faszinieren. Mehr als 60.000 Nutzer haben sich in den vergangenen sieben Monaten für den kostenlosen Dienst registriert. Die meisten davon sind allerdings erst in den letzten Wochen dazugestoßen. Die Betreiberfirma spricht von Zuwachsraten im Bereich von 20 Prozent - pro Woche.

Das Twitter-Prinzip ist einfach und eben deshalb bestechend. Jeder kann mitmachen und kurze Nachrichten, sogenannte "Tweets", via Web, Chat oder Handy auf Twitter abladen. Gelesen werden diese Nachrichten von den "Followers". Als solcher kann sich wiederum jeder Twitter-Nutzer bei jedem anderen Twitter-Nutzer eintragen. So bekommt man nur die Nachrichten angezeigt, die man auch lesen möchte.

Aber auch das kann schon eine ganze Menge sein. Seit Twitter im Rahmen der South-by-Southwest-Konferenz in Texas ausgezeichnet wurde, hat das "Tweet"-Aufkommen kräftig zugenommen. Wurden vorher maximal 20.000 Nachrichten pro Tag abgewickelt, sind es seither über 70.000.

Zu schnell zu populär

An Twitter geht dieses gewaltige Wachstum nicht spurlos vorbei. Ständig, so beklagen Anwender, gebe es Probleme mit dem System. Oft sei die Website stundenlang nicht erreichbar.

Die Entwickler sind sich dieser Probleme wohl bewusst. Deshalb haben sie die Entwicklung neuer Funktionen vollständig gestoppt. Stattdessen konzentriert man alle Kräfte darauf, die Infrastruktur möglichst schnell auszubauen, um vielleicht irgendwann einmal tatsächlich mit den wachsenden Besucherzahlen Schritt halten zu können. Bis es so weit ist, wird man sich mit dem begnügen müssen, was den "Twits" schon jetzt diebischen Spaß zu bereiten scheint, nämlich, am Privatleben der Anderen teilzuhaben.

Auch die Großen sind schon drin

Auf der Twitter-Homepage zeigt sich, was die Community bewegt - nicht in Echtzeit, sondern meist viel zu schnell, als dass man alles mitbekommen könnte. Was dort zu lesen ist, reicht von simplen Statusmeldungen wie "ich brate gerade Speck und sehe dabei fern" über minimalistische Äußerungen wie "ipod on. cellphone off" bis hin zu handfesten Anfragen im Stile von "kennt sich hier jemand mit Mathe aus?"

Allerdings gibt es auch Nützliches zu entdecken. So sind unter anderem die Nachrichtenagentur Reuters, die BBC und CNN dem Charme der Mini-Nachrichten erlegen. Alles, was bei den News-Profis über den Ticker geht, landet auch bei Twitter - in Kurzform versteht sich, denn mehr als 140 Zeichen darf ein "Tweet" nicht lang sein.

Fasse Dich kurz!

Diese Beschränkung ist wichtig für Twitter. Denn auf diese Weise lassen sich "Tweets" über alle angesagten Kommunikationskanäle austauschen.

Naheliegend, einfach und vom Büro oder Internet-Café aus nutzbar ist das Web-Interface. Über die Twitter-Homepage meldet man sich an, liest Nachrichten oder verfasst eigene. Aber damit wäre Twitter noch nichts Besonderes, sondern bloß ein weiteres Web-Chat-Portal. Doch Twitter kann mehr. Vor allem kann man auch per Handy an Twitter teilnehmen. Denn durch die Beschränkung auf 140 Zeichen passen Twitter-Texte in eine SMS, können also vom Handy und ans Handy geschickt werden.

Der Teufel im Tarif-Detail

Hier steckt derzeit noch der Teufel im Tarif-Detail. Während nämlich Twitter selbst kostenlos ist, müssen deutsche "Twits" ihre Nachrichten an eine Mobilfunknummer in Großbritannien senden. Das kann, je nach Tarif, ganz schön teuer werden. Aber, so versprechen die Twitter-Macher, damit solle bald Schluss sein und die Einwahl über lokale Knoten ermöglicht werden. Immerhin: Für den Empfang der Nachrichten zahlt man nichts, auch nicht am Handy.

Zusätzlich soll auch die Einbindung in diverse Chat-Programme wie etwa AIM, .mac oder LiveJournal möglich sein. Hier scheint es jedoch noch Probleme zu geben. Zumindest war diese Funktion aktuell nicht nutzbar.

Information Overload

Ohnehin sollte man sich genau überlegen, bei welchen "Twits" man sich als "Friend" oder "Follower" einträgt. Sind die nämlich sehr aktiv, platzt das eigene Postfach schnell aus allen Nähten. Im Web-Interface mag das noch zu verschmerzen sein, hier leidet nur die Übersicht. Lässt man sich neue "Tweets" jedoch per SMS aufs Handy schicken, läuft man Gefahr, an Informationsüberflutung zu scheitern. Abhilfe schafft die Option, sich nur persönliche Nachrichten aufs Mobiltelefon senden zu lassen. So bleibt das Hintergrundrauschen außen vor.

Der Vorteil des Procederes liegt auf der Hand: Ganz gleich, wo ich mich herumtreibe und mit welchem Endgerät ich und meine Freunde mit dem Netz verbunden sind, die Kommunikation klappt immer.

Ohne kommerziellen Hintergrund

Das hört sich erst mal nach einen tragfähigen Modell für eine Firma an. Doch darüber, wie sich mit diesem System Geld verdienen ließe, hat sich Firmengründer und Twitter-Boss Evan Williams noch keine Gedanken gemacht. Muss er wohl auch nicht, denn an Geld dürfte es ihm nicht mangeln. Schließlich hat er seine Weblog-Plattform "Blogger" bereits 2003 gegen Zahlung einer nicht genannten Summe an Google verkauft.

Eigentlich wollte er daraufhin ins Podcasting-Geschäft einsteigen, gründete dazu einen Firma und entwickelte die Podcast-Plattform Odeo. Doch das Interesse an diesem Projekt war nur mäßig. Um so erstaunter war Evans, dass ausgerechnet Twitter, das eigentlich nur die fixe Idee eines seiner Programmierer war, so durchschlagende Erfolge feiert.

Das nächste YouTube?

Die Branche setzt allerdings große Hoffnungen auf den Newcomer. So sagte der Entrepreneur Ross Mayfield der "Financial Times", Twitter sei "die erste aufregende neue Anwendung seit flickr". An einen Megahit wie damals glaubt Mayfield jedoch nicht: "Ich glaube nicht, dass es das nächste YouTube wird - aber es wird viele Anhänger finden."

Allerdings könnte Twitter schon bald ebenso populäre Web-Stars hervorbringen wie das Videoportal. Wer die sein werden, lässt sich ansatzweise schon jetzt an der Website "Twitteroholics"  ablesen. Wer es dort unter die Top-100 gebracht hat, muss schon sehr mitteilungsfreudig sein. Angeführt wird die Liste derzeit von Leo Laporte, einem Hightech-Radiomoderator und Betreiber etlicher Podcasts. Wer sich selbst einmal unter den Top-Twittern sehen möchte, hat nur eine Chance, dorthin zu kommen: twitten, was das Zeug hält.

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