Mobiles Internet Klick - das macht 6000 Euro

Nicht ungefährlich: Mobiles Surfen ist extrem teuer, wenn man keinen Datentarif dazubucht
Am 5. März 2010 funktionierte mit einem Mal das Handy von Peter L. nicht mehr. Sein Mobilfunkanbieter hatte die Leitung gekappt, nachdem ungewöhnlich hohe Kosten durch eine Datenverbindung aufgelaufen waren. Der Student befand sich im Umzug, zwischen den Wohnungen sozusagen, und hatte sein Handy dazu benutzt, um mit dem Laptop E-Mails abzufragen. Eigentlich digitaler Alltag. In diesem Fall kostete der E-Mail-Abruf 705 Euro und 74 Cent.
Für Peter L. ein nicht nachvollziehbarer Vorgang. Kann es sein, dass ein deutsches Mobilfunkunternehmen Hunderte von Euro verlangt, nur weil man ein paar E-Mails abruft?
Wie genau das alles passiert ist, weiß Peter L. bis heute nicht. Er nutzte das Handy als Modem für einen Laptop, nicht zum ersten Mal, und nie war es zu größeren Datenmengen oder Rechnungen gekommen. Vielleicht, mutmaßt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, bezog ja irgendeine Software ein automatisches Update. Möglich, denn nach heutigen Maßstäben war auch die heruntergeladene Datenmenge mit 114,9 MB nicht groß - im Gegensatz zur Rechnung. Kann das wirklich legal sein, fragte er sich zunächst empört.
Inzwischen ist er leidvoll klüger, denn natürlich ist das legal - und leider ist es auch nach wie vor normal.
Es gibt Dutzende von Mobilfunkanbietern, die Hunderte von verschiedenen Preis- und Leistungspaketen schnüren. Darunter gibt es billige und teure Angebote für alle möglichen Nutzungsprofile. Bei den Telefon-Minutenpreisen hat die harte Marktkonkurrenz inzwischen sowohl für Vergleichbarkeit als auch für ein einigermaßen vernünftiges Preisniveau gesorgt. Bei den Datentarifen aber herrscht weiter Wirrwarr: Einen Vergleich verhindern die Anbieter, indem sie ihre Pakete auf ganz verschiedenen Abrechnungseinheiten fußen lassen.
Wie wäre es mit einem kleinen Quiz?
Tippen Sie, was Sie für einen günstigen Tarif halten:
- 0,009 Euro pro KByte
- 0,09 Euro pro Minute
- 0,49 Euro pro MByte
- 0,99 Euro pro Stunde
Das sind nur vier einer Vielzahl von Möglichkeiten, mobilen Datenverkehr in Rechnung zu stellen. Üblich sind auch diverse, oft fälschlich als Flatrates bezeichnete Volumenkontingente (Pauschalpreis für fixe MB-Zahl plus Aufpreis für zusätzliches Datenvolumen); daneben echte Preis-Flatrates, die mitunter aber zeitliche Limits setzen oder den Datendurchsatz reduzieren, wenn sie zu viel genutzt werden, und viele andere Modelle. Es gibt den Preis einerseits, das Leistungversprechen andererseits, das aber oft wieder an Bedingungen geknüpft ist - wer die nicht erfüllt, zahlt drauf. Den Überblick hat da kein Mensch mehr: Man braucht maschinelle Hilfe (siehe Kasten Handy-Tarifrechner in der linken Spalte).
Eine ungesunde Dosis Preis-Horror: ganz normale Tarife
Doch der Reihe nach: Der teuerste oben zitierte Tarif ist natürlich der mit 0,009 Euro pro KB, die einem Preis von gerundet 9,22 Euro pro MB entsprechen - da können schnell Hunderte Euro pro Stunde zusammenkommen. Laut Stiftung Warentest liegt der teuerste deutsche Datentarif bei 19 Euro pro Megabyte - allein das Ansehen dieses Artikels würde Sie 13,88 Euro kosten.
Auch 9 Cent pro Minute mögen billig klingen, sind es aber nicht: Das entspricht immerhin 5,40 Euro pro Stunde. Doch diese Beispiele sind noch leicht zu errechnen. Weit weniger einfach ist es, das eigene Surfverhalten in eine potentielle Rechnung zu übersetzen und darauf basierend einen günstigen Mobil-Surftarif zu finden. Denn nur so lassen sich Preis-Schocks vermeiden: Durch einen preiswerten, den eigenen Bedürfnissen entsprechenden Tarif. Oft ist das am Ende der Surfstick, den man sich zusätzlich zum Handy leistet, weil das unter dem Strich billiger sein kann.
Denn besonders tückisch sind Handy-Internettarife, wenn sie - wie von Peter L. - auf dem Laptop eingesetzt werden: Dann fallen weit höhere Datenmengen an als bei optimierten Mobil-Webseiten für das Handy. E-Mails und der Abruf von Textseiten sind dabei nicht das größte Problem, obwohl selbst das schockierend teuer werden kann, wenn man den falschen Mobilfunktarif gebucht hat. Problematisch ist alles, was "schwer" ist im Netz: Bilder, mehr noch aber Audio und Video, egal ob als Stream oder regulärer Download.
Wie die größten Abzocker in Zukunft gebändigt werden sollen
So "wiegen" eineinhalb Stunden Video aus dem Web in medientypisch geringer Auflösung meist um 700 MB. So etwas bieten etwa Web-Videotheken als Leih-Download ab zwei Euro an. Ruft man das aber mobil auf, kämen beim oben erwähnten KB-Tarif noch einmal über 6000 Euro an den Mobilfunkanbieter hinzu.
In der Praxis kommt es zum Glück meist nicht dazu: Das Abrechnungsmodell ist eher typisch für Prepaid-Angebote, was den Filmdownload dadurch verhindert, dass das Konto binnen Sekunden auf Null gesaugt würde - mehr als 10 bis 50 Euro verliert man hier in der Regel also nicht. Schlimm genug.
Trotzdem: Sieht man sich die Vielfalt der Preismodelle an, fällt es schwer, an einen Zufall zu glauben. Dass man für bescheidene 200 MB Datensurfen in Deutschland alles zwischen 9,90 und 1832,90 Euro bezahlen kann, verbergen die Firmen wohl vor allem in Bezug auf die Preis-Oberkante ganz gern. Wozu überhaupt Tarife angeboten werden, bei denen solche Kosten auch nur theoretisch auflaufen können, ist kaum nachvollziehbar.
Überfällig: Die EU verpasst den Mobilfunkern eine Anstandsgrenze
Wohl aber, was dabei herauskommt: Mobiler Datenverkehr ist inzwischen eine der größten und schnellstwachsenden Cash-Cows auf dem ansonsten weitgehend gesättigten Mobilfunkmarkt. Fast durchweg meldeten die Firmen Anfang des Jahres sinkende Erlöse. Wenn ein Unternehmen brummt, dann meist aufgrund einer guten Positionierung beim mobilen Internet.
So meldete das britische Unternehmen Vodafone soeben die Verdreifachung seiner Profite im Vergleich zum Vorjahr auf nun 10,1 Milliarden Euro nach Steuern. Mobiles Internet ist dabei der größte Wachstumsfaktor, steht inzwischen zusammen mit Breitbanddiensten für 33 Prozent des Gesamtumsatzes. Und das bei einem Unternehmen, das hier durchaus nicht als Preistreiber auffällt, sondern offenbar auch an günstigen Angeboten ganz ordentlich verdient - an ungünstigen verdienen die Firmen in der Regel ja wohl nur einmal.
Denn meist geht es ja, wie bei Student Peter L., um eine Ausnahmesituation, in der die Preis-Tretminen überhaupt erst auffallen: Umzüge, seltene Geschäftsreisen, Urlaube. Dann aber kann die Post so gehörig abgehen, dass es die Betroffenen mitunter sogar in die Medien schaffen - mit fünfstelligen Surfrechnungen für wenige Stunden Internetnutzung.
So findet der Tarifrechner des Handy-Webzines TelTarif für ein Surfvolumen von 700 MB (die Datenmenge eines Films in geringer Auflösung) Preise von 9,90 Euro bis 15.858,54 Euro. Der Tarifrechner von SPIEGEL ONLINE kappt die Extreme, wählt nur aus rund 300 Datentarifen aus - und kommt mit der Vorgabe 700 MB/Monat doch auf ein Preisgefälle von 0 Euro (kein Scherz) bis 6300 Euro (leider auch kein Scherz).
Einigermaßen sicher vor solchen Preisbomben sind deutsche Mobilsurfer ab 1. Juli zumindest dann, wenn sie jenseits der Grenzen, aber innerhalb der EU unterwegs sind. Nachdem im vergangenen Jahr ein in Frankreich weilender Deutscher für 13 Stunden Mobilsurfen eine Rechnung von 46.000 Euro kassiert hatte - einer der spektakulärsten Fälle - hatte sich endlich die EU-Kommission zu einer Reaktion durchgerungen. Ab diesem Sommer müssen zumindest beim Daten-Roaming spätestens nach 50 Euro Datenverkehr die Leitungen zwangsgekappt werden - außer der Kunde signalisiert anderes. Im Inland darf dagegen weiter fröhlich kassiert werden.
Kein Wunder, dass die Akzeptanz für mobiles Internet hierzulande ein wenig hinterherhinkt. Das Misstrauen sitzt tief: Rund 60 Prozent, fand das Unternehmen "The Phone House" in einer aktuellen Umfrage heraus, haben Angst vor Kostenfallen. Immerhin hat die EU-Kommission das Thema inzwischen auf der Agenda und will die Datentarife generell prüfen. Dass die perfidesten Preismodelle mittelfristig verschwinden und das generelle Preisniveau sinken wird, dürfte aber noch eine andere Entwicklung gewährleisten: Der einsetzende Boom neuer Mobilsurfgeräte nach dem Muster iPad.
Fazit: Der Mobilfunkmarkt bietet seinen Kunden jede Menge Zuckerbrot und Peitsche. Wer sich gut informiert, surft im Inland auch mobil mit vernünftigen Preisen. Wer sich nicht informiert, den lassen viele Anbieter blind in die Kostenfalle rennen. Reklamationen, lernt auch Student Peter L. gerade, verpuffen zunächst meist völlig. Dass ihre Kunden das Abkassieren als Skandal empfinden, scheint die Mobilfunkfirmen kaum zu berühren.
Tipps - so halten Sie beim mobilen Internet die Kosten unter Kontrolle
Peter L. wurde inzwischen angeboten, für die Zukunft doch eine Datenoption zu buchen, eine Verrechnung der 700-Euro-Horrorrechnung wurde abgelehnt. Kulanz sieht anders aus.