Mohammed-Karikaturen Meinungsfreiheit in Zeiten des Internets
Brennende dänische Flaggen, wütende Kommentare in arabischen Zeitungen auf der einen Seite - eine mit zunehmendem Unverständnis reagierende westliche Öffentlichkeit auf der anderen: Innerhalb weniger Tage hat sich die Auseinandersetzung zwischen muslimischer Welt und dem aufklärerisch geprägten Westen dramatisch zugespitzt.
Anlass für die heftigen Emotionen ist eine Aktion der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten", die ursprünglich als eine Art Kultur-Test gedacht war: Wie viel Selbstzensur sich dänische Künstler mit Blick auf den Islam auferlegen, wollte die Redaktion wissen, als sie im September dazu aufrief, Karikaturen des Propheten Mohammed einzureichen. Alarmiert hatte die Journalisten, dass der Autor eines Buches über den Propheten partout keinen Illustrator finden konnte.
Das sei auf die Angst vor militanten Islamisten zurückzuführen, mutmaßten die Redakteure - bildliche Darstellungen Mohammeds sind im Islam verboten. Man wolle daher herausfinden, ob die Meinungsfreiheit in Dänemark noch stärker sei als die Angst vor Militanten, begründeten sie ihren Aufruf. In einer Demokratie müsse man in der Lage sein, "von Zeit zu Zeit Kritik einzustecken, oder zur Witzfigur werden", kommentierte der Kulturchef des Blattes seinerzeit.
"Jyllands-Posten" veröffentlichte zwölf Karikaturen, etliche davon geschmacklos oder verletzend für gläubige Muslime: Etwa ein Mohammed mit Bombenturban samt brennender Zündschnur und einer, der noch qualmenden Selbstmordattentätern den Eintritt zum Himmel mit den Worten "Wir haben keine Jungfrauen mehr!" verwehrt. Das war im September 2005.
Schon seit spätestens Oktober 2005 waren einige dieser Karikaturen weltweit zugänglich - denn ein Forumsteilnehmer auf der konservativen US-Internetseite "Free Republic" hatte einige davon in einem Beitrag gepostet. Zu diesem Zeitpunkt hatten dänische Muslime schon heftig protestiert, in der Redaktion von "Jyllands-Posten" waren Morddrohungen eingegangen, mehrere muslimische Länder hatten offiziellen Protest gegen die Veröffentlichung eingelegt.
Als eine norwegische Zeitung vor einigen Tagen die Karikaturen erneut nachdruckte, um "Jyllands-Posten" im Kampf um die Meinungsfreiheit zu unterstützen, war der Proteststurm längst nicht verebbt, aber nun tobt er mit noch größerer Gewalt. Die Büros der "Jyllands-Posten" in Kopenhagen und im Westen Dänemarks wurden gestern Abend geräumt, nachdem ein Anrufer vor Bomben gewarnt hatte. Die Polizei durchsuchte die Gebäude, fand aber keine Sprengsätze. Im Internet riefen irakische Aufständische ihre Anhänger zu Anschlägen in Dänemark und Norwegen auf.
Sowohl der Chef von "Jyllands-Posten" als auch der Chefredakteur der norwegischen Zeitung "Magazinet" sagten, sie würden bedauern, wenn die Zeichnungen Muslime beleidigt hätten. Der Kampf um die Meinungsfreiheit, den "Jyllands-Posten" selbst angezettelt hat, scheint verloren. Er müsse "zutiefst beschämt zugeben, dass die anderen gewonnen haben", sagte "Posten"-Chefredakteur Carsten Juste in einem Interview mit "Berlingske Tidende".
Die umstrittenen Werke haben es inzwischen auf einige Titelseiten geschafft: Die "Welt" druckte heute eine der Karikaturen auf ihrer Seite eins, andere weiter hinten im Blatt, die französische Zeitung "France Soir" übernahm ebenfalls einige der Zeichnungen. Auch die Online-Ausgabe der "Welt" zeigt inzwischen eine davon.
Immer mehr Seiten zeigen die Bilder im Netz. Nicht nur bei "Free Republic", sondern auch auf den Seiten des belgischen "Brussels Journal" und in verschiedenen Weblogs und Foren, in denen heiß über Meinungsfreiheit, Ehrverletzung und religiöse Toleranz diskutiert wird. Im Forum von SPIEGEL ONLINE ist eine heftige Diskussion entbrannt, mit einer bisher nicht gekannten Anzahl von Teilnehmern: In rund 24 Stunden haben die Leser über 1200 Einträge gepostet - so viel wie bei keinem anderen Thema zuvor.
SPIEGEL ONLINE hat bisher darauf verzichtet, die umstrittenen Karikaturen zu zeigen. Darüber sind die Leser geteilter Ansicht. Doch angesichts des Entführungsfalls im Irak und der Todesdrohung gegen die beiden deutschen Techniker will die Redaktion nichts unternehmen, was die Situation für die Geiseln verschlimmern könnte. Im Unterschied zu den deutschen und französischen Tageszeitungen, die die Karikaturen heute abdruckten, sind die Veröffentlichungen von SPIEGEL ONLINE auch im Irak unmittelbar zugänglich - mit unter Umständen dramatischen Konsequenzen für die festgehaltenen Deutschen.