Mordaufruf Google schaltet Blog ab - ohne Erfolg

Ein Pro-Prügelstrafe-Blog hat in Neuseeland Minister als Sexualtäter beschimpft und indirekt zum Mord an einer Abgeordneten aufgerufen. Google stellte das auf der eigenen Plattform publizierte Blog ab - versäumte es aber, auch die digitalen Überreste der rabiaten Einlassungen zu löschen.

Niemand mag Menschen, die ihre Kinder schlagen. Sollte man meinen. Ganz so einfach ist die Sache aber offenbar nicht – zumindest nicht für ein paar sehr lautstarke Regierungskritiker in Neuseeland. Sie fühlen sich gegängelt von denen da oben, die in ihr "Privatleben" eingreifen, und überhaupt ständig alles regulieren wollen – sogar häusliche Gewalt.

Die Freunde einer gepflegten Ohrfeige für den Nachwuchs betrieben in Neuseeland bis vor kurzem ein Weblog, Cyfswatch hieß es (CYFS steht für Child, Youth and Family Service). Darin ging es um angebliche Untaten der Sozialarbeiter dieser Behörde, die angeblich Kinder aus dem Schoß glücklicher Familien reißen – gern wurden die Betreffenden dabei auch namentlich benannt.

Ob die Kritik an der Arbeit der Behörde im Einzelfall womöglich gerechtfertigt ist, ist aufgrund der zum großen Teil polemischen bis aggressiven Beiträge kaum zu erkennen – die Beitragenden und Leser preisen das Blog dennoch als Triumph der Meinungsfreiheit. Nun hat Google das auf seiner Blogplattform angesiedelte Publikationsprojekt jedoch abgeschaltet. Lesen kann man die Auslassungen der anonymen Bloggergemeinschaft aber immer noch.

Die Geschichte ist ein Lehrstück in Sachen Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrecht und Kontrollverlust in Zeiten des Internets. Google kann zwar eine Publikation, die offen und völlig ernsthaft zur Gewalt gegen Politiker aufruft, abschalten und auch aus dem eigenen Zwischenspeicher könnten die Suchmaschinisten die digitalen Überreste des Angebotes entfernen, aber das geschieht üblicherweise erst dann, "wenn es eine konkrete Aufforderung dazu gibt", erklärt Google-Sprecher Stefan Keuchel. Ansonsten werde der Cache etwa alle vier Wochen gelöscht. Bis dahin bleibt aber alles mit einem Klick auf "cached" zugänglich, was über das normale Suchergebnis nur noch zu einer leeren Seite mit Fehlermeldung führt.

"Mit der Faust direkt ins Gesicht schlagen"

Das neuseeländische Sozialministerium, auf dessen Betreiben Cyfswatch aus dem Netz geschubst wurde, hätte also auch gleich noch um die Löschung des Zwischenspeichers bitten müssen. So aber kann man, wenn man denn will, mit ein bisschen Suchexpertise immer noch Einträge finden wie den folgenden über die Grünen-Abgeordnete Sue Bradford – sie propagiert ein Gesetz, mit dem das Schlagen der eigenen Kinder für illegal erklärt würde: "Ich hätte gerne die Gelegenheit, ihr meine Faust direkt ins Gesicht zu schlagen", so der anonyme Autor, "und ihr dabei hoffentlich die Nase oder den Kiefer zu brechen." Nur so sei der "geisteskranken" und "halluzinierenden" Politikerin wohl der Unterschied zwischen einem kleinen Klaps und einer ordentlichen Tracht Prügel zu vermitteln.

Der gleiche Anonymous äußert später noch die Ansicht, Bradford sei "eine würdige Kandidatin für Neuseelands erstes politisches Attentat", und bedauert, dass ihm dazu leider die Mittel fehlten. Die Abgeordnete ist nicht die Einzige, über die in dem Blog offener Hass ausgegossen wird. An anderer Stelle wird etwa der für CYFS zuständige Minister als "sexuell Perverser mit einer Neigung zu Schmerz und dem Quälen von Kindern" bezeichnet, der CYFS-Chef als "hochgradig irrationaler narzisstischer Sexualtäter". Solche Anwürfe sind justiziabel, auch im Internet. Hier hört die Meinungsfreiheit auf, und das soll ruhig so bleiben.

Besorgte Bürger wollen das Recht auf Prügel schützen

Obwohl an anderer Stelle in Cyfswatch sogar eine offene Aufforderung steht, ihre Adresse öffentlich zu machen, hat Bradford selbst nach Zeitungsberichten bislang keinen Polizeischutz beantragt. Sie findet es aber gut, dass das Blog nicht mehr online ist, sagte sie laut dem "Sydney Morning Herald". Was eben nicht ganz stimmt – was einmal im Netz ist, verschwindet so gut wie nie wieder völlig. Digitale Daten versenden sich nicht.

Neben dem Google-Zwischenspeicher hat Cyfswatch inzwischen eine neue Heimat gefunden – wenn auch augenscheinlich ohne die zitierten Beiträge. Die weiterhin anonymen Cyfswatch-Betreiber bezeichneten das nur halbkonsequente Einschreiten des börsennotierten Unternehmens Google in einer Mitteilung als "atemberaubende Zurschaustellung sozialistischer Zensur".

Bradfords "Anti-smacking"-Gesetz hat in Neuseelands Parlament gestern seine zweite Lesung hinter sich gebracht. 70 Abgeordnete waren laut "Radio New Zeeland" dafür, 61 dagegen.

Ganz umsonst scheint die drastische Agitation von Cyfswatch aber nicht gewesen zu sein: Um ihr Recht aufs Schlagen besorgte Bürger haben inzwischen zwei verschiedene Referenden angekündigt, die das Gesetz noch stoppen sollen. Ein Abgeordneter der National Party sagte laut "Radio New Zeeland" im Parlament, Eltern müssten weiterhin "begrenzte Gewalt" einsetzen dürfen, um ihre Kinder zu disziplinieren. 80 Prozent von Neuseelands Eltern, fügte er hinzu, seien der Meinung, sie sollten das Recht haben, ihre Kinder zu ohrfeigen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten