Musik- und Videodienst Google startet Großangriff auf Apple und Amazon

Musik aus der Wolke, Hollywood-Filme per Stream: Google hat auf der Entwicklerkonferenz I/O neue Angebote vorgestellt, mit denen Nutzer kabellos von überall auf Inhalte zugreifen können. Es ist eine Großoffensive gegen Apple und Amazon.
Neuer Musikdienst von Google: Datenspeicher im Internet - zunächst nur für US-Nutzer

Neuer Musikdienst von Google: Datenspeicher im Internet - zunächst nur für US-Nutzer

Foto: BECK DIEFENBACH/ REUTERS

San Francisco/Hamburg - Die eigene Musiksammlung wird ins Internet verlegt: Google hat auf der Entwicklerkonferenz I/O in San Francisco am Dienstag "Music Beta by Google" vorgestellt. Eine Software namens Music Manager erlaubt es, Songs in die Wolke hochzuladen. Im Browser findet sich dann eine Software zum Abspielen und Verwalten der eigenen Musik, die an die Apple-Software iTunes erinnert.

Eine App für das mobile Betriebssystem Android holt die Musik auch auf das Smartphone. "Keine Drähte, kein quälendes Synchronisieren, alles ist immer sofort verfügbar": Nie wieder ein Kabel benutzen müssen, um Musik hinzuzufügen, so wird der Dienst angepriesen. Es ist ein Seitenhieb auf Apple - iPad und iPhone müssen über einen Computer mit passender iTunes-Installation mit Inhalten befüllt werden.

Zunächst ist der Musikdienst nur auf Einladung und nur für US-Nutzer verfügbar, in der Beta-Phase für 20.000 Songs kostenlos. Der Applaus fällt eher verhalten aus, die große Überraschung ist bereits im Vorfeld durchgesickert. Fröhlicher stimmt die Ankündigung, dass alle bei der Konferenz anwesenden Entwickler, die in den USA wohnen, direkt einen Beta-Zugang bekommen sollen.

Video-Ausleihdienst für Android

Nicht nur Musik soll künftig kabellos zu den Google-Nutzern kommen: Dazu wird der Android Market zum Videostore. Künftig können dort Tausende Filme ausgeliehen und als Stream im HD-Format direkt angeschaut werden, auf beliebigen Android-Geräten. Vorgeführt wird das mit "The King's Speech", der 3,99 Dollar kostet. Die Filme können ins Gerät "gepinnt" werden - also heruntergeladen werden, damit man sie beispielsweise im Flugzeug ohne Internetverbindung ansehen kann. Ob das Videoangebot auch sofort in Europa startet, wird nicht gesagt, klingt aber unwahrscheinlich.

Die Online-Videothek passt zur Leihvideo-Offensive, die Google am Montag für seine Videoplattform YouTube verkündet hat. Dort sind ebenfalls rund 3000 Filme im Angebot, zu Preisen zwischen 99 Cent und 3,99 Dollar. Damit steigt Google mit Macht in einen Markt ein, den bisher Apple, Netflix und, in geringerem Ausmaß, Sony beherrschen.

Das Musikangebot wiederum macht Amazon Konkurrenz, dessen Cloud Drive sich seit März mit Musik befüllen lässt - zum Unmut der Plattenindustrie, deren Erlaubnis dafür nicht extra eingeholt wurde. Einen Online-Shop für Musikdateien bietet Google im Gegensatz zu Amazon und Apple hingegen nicht an, die Nutzer müssen sich die digitalen Stücke zunächst anderweitig besorgen.

Zu Beginn der ersten großen Veranstaltung der diesjährigen Entwicklerkonferenz I/O prahlte Hugo Barra, Android-Produktmanager, zunächst mit Zahlen. 100 Millionen Android-Geräte wurden bisher aktiviert, jeden Tag kommen derzeit 400.000 dazu. Rund 200.000 Apps sind derzeit verfügbar. 4,5 Milliarden Apps wurden bis heute installiert. Android, soll das alles sagen, macht Apples iOS gerade platt. Marktführer ist Android im Smartphone-Bereich schon jetzt.

Neue Android-Version beseitigt Wildwuchs

Das Tablet-Android Version 3.0 ("Honeycomb") bekommt ein Update auf Version 3.1 - mit minimalen Änderungen. Widgets können jetzt vergrößert oder verkleinert werden, so wie man das von Windows seit Anfang der neunziger Jahre her kennt. Eines der interessanteren dürfte sein, dass sich künftig diverse USB-Geräte wie Digitalkameras oder Spielecontroller anschließen lassen.

Künftig soll es wieder ein Android, Codename "Icecream Sandwich", für alle Geräte geben. Derzeit laufen auf Tablets und Smartphones unterschiedliche Versionen. "It will all be Open Source" - Google hatte viel Kritik dafür einstecken müssen, dass Honeycomb zunächst nicht quelloffen ist. Dem Unternehmen wurde deswegen Verrat an der Idee der freien Software vorgeworfen.

Als kleine Vorschau wird Head Tracking vorgestellt - das Gerät weiß, wo der Benutzer hinsieht. Wenn zwei Menschen vor dem Gerät sitzen und in die Kamera sprechen - etwa bei einem Videotelefonat - fokussiert die Kamera jeweils denjenigen, der gerade spricht. Das erinnert ein bisschen an die Funktionalität, die auch Microsofts Konsolenkamera Kinect bietet.

Zukunftsmusik: Das Handy schaltet das Licht an

Ebenfalls vorgestellt wurde Android at Home, eine offene Erweiterung, mit der sich Haushaltsapplikationen steuern lassen sollen. Wenn der Handy-Wecker klingelt, wird gleichzeitig das Licht eingeschaltet, auch die Wasserversorgung für den Garten steuert das Smartphone gleich mit. Ende des Jahres sollen die ersten Lampen auf den Markt kommen, die sich mit Android ansteuern lassen.

Bastler dürfte vor allem die Ankündigung von Android Open Accessory begeistern. Mit diesem Standard soll es für Entwickler einfacher werden, Hardware-Erweiterungen anzusteuern. Gezeigt wird, wie ein Android-Handy erkennt, dass es an ein Fitness-Fahrrad angeschlossen ist. Automatisch wird eine passende App aufgerufen, im Beispiel wird mit der Trittfrequenz ein kleiner fliegender Roboter auf dem Handy-Display gesteuert, der durch eine Höhle geflogen werden soll. Viel Wert legt Google auf die Feststellung, dass das Hardware-Programm vollständig offen ist.

Google will also in den in den USA gerade explodierenden Markt der Hardware-Hacker eindringen, sich das Potential dieser kreativen Bastler zunutze machen. Es ist ein weiterer demonstrativer Schritt, der die Überlegenheit offener Systeme gegenüber geschlossenen zeigen soll.

Mitarbeit: Ole Reißmann
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