
"Fitnabook": Nicht halal, trotzdem millionenfach genutzt
Muslime auf Facebook Netzwerk voller Sünden
Baris Kus ist 18 Jahre alt, macht gerade sein Abitur und ist natürlich auf Facebook. Wie viele Millionen andere Muslime auch. Dabei macht es ihnen das soziale Netzwerk nicht leicht: "Fast jedes Mal, wenn man Facebook öffnet, ist die Startseite voll mit unangemessenen Inhalten", sagt Kus.
In einem Blogeintrag erklärt er , welche Art von Einträgen eine Gefahr für junge Muslime seien: Bilder von "leicht bekleideten Frauen", die sich durch zahlreiche Klicks auf den "Gefällt mir"-Button rasend schnell verbreiten, böten mindestens Anlass zum Kopfschütteln, seien aber keinesfalls mit dem Islam vereinbar. Kus warnt seine Glaubensbrüder davor, durch das Teilen derartiger Beiträge in Sünde zu versinken.
Ein Netzwerk wie Facebook lebt - außer von Werbeeinnahmen - vom Narzissmus seiner Nutzer und deren Bedürfnis nach Bestätigung. Auch wer erst kurz auf dem virtuellen Jahrmarkt der Eitelkeiten unterwegs ist, begreift die Spielregeln schnell: Fotos gehen besser als Texte, und je auffälliger und provozierender ein Bild ist, desto besser. Gerade junge Nutzerinnen überbieten einander mit Selbstporträts und Schnappschüssen von Partys oder aus dem letzten Strandurlaub.
"Dislike" sexistische Verse
Was auf den ersten Blick harmlos erscheint, macht nicht nur Jugend- und Datenschützern Sorgen. Aus Sicht konservativer Muslime handelt es sich bei dem ungezügelten Kontakt zwischen den Geschlechtern im virtuellen Raum um eine Versuchung, die den Glauben des Einzelnen gefährdet, zur Spaltung in der Glaubensgemeinschaft und sogar zum Glaubensabfall führen kann. Im Koran wird das als "Fitna" bezeichnet.
Baris Kus sieht das genau so. Die Seite nennt er denn auch "Fitnabook". Auch der große Erfolg vermeintlicher Gangster-Rapper bei muslimischen Jugendlichen bereitet ihm Sorge: "Immer mehr Muslime hören sich die sexistischen und gewalttätigen Verse an, was aus islamischer Sicht verboten ist." Kus rät seinen Glaubensgenossen zur Konsequenz: Personen, die aus seiner Sicht unangemessene Inhalte teilen, aus der Freundesliste zu entfernen und Seiten zu "disliken", auf denen derartige Inhalte lauern.
Stattdessen sollte man gottgefälligen Seiten folgen, meint der 18-Jährige: Die Wahrscheinlichkeit, von Allah belohnt zu werden, steige dann in dem Maße, in dem die Anzahl der "Fitnaposts" auf der Startseite sinke. Die Warnung des Bremerhavener Abiturienten vor dem virtuellen Sündenpfuhl und sein Wortspiel erinnern an einen anderen selbsternannten Sittenwächter: Bereits 2011 warnte der islamistische Prediger und Ex-Boxer Pierre Vogel im Internet vor den Gefahren des "Fitnabook" (YouTube-Video) .
Antisemitismus, Extremismus und Islamfeindlichkeit
Auch Vogel schildert seine Erfahrungen mit dem Netzwerk. Als besonders gefährlich stuft auch er aufreizende Frauen ein: "Das ist ein ganz klarer Fall von Fitna, da gibt es keine Diskussion." Frauen sollten allenfalls mit dem Niqab, einem Gesichtsschleier, auf ihren Profilfotos zu sehen sein, sagt Vogel. Der sicherste Weg gegen die Versuchung seien jedoch gemeinsame Profile von Ehepaaren. Er selbst habe sämtliche Aktivitäten auf Facebook eingestellt, da diese für ihn haram seien, ein Tabu. Auf die Reichweite des Netzwerkes will er dann aber doch nicht verzichten: Seine mehr als 10.000 Fans lässt er von anderen verwalten.
Seiten wie diese verfolgt auch Akif Sahin aufmerksam. Der Hamburger arbeitet als Socialmedia-Manager und hält Vorträge über den Umgang von Jugendlichen mit sozialen Netzwerken. Laut Sahin lauern für junge Muslime weitaus größere Gefahren in der virtuellen Welt als Bilder von attraktiven Frauen: "Aufgrund ihrer Sozialisation und ihrer religiösen Identität können muslimische Jugendliche mit falschen Informationen negativ beeinflusst werden. Ich denke da an drei Punkte: Antisemitismus, Extremismus und auch gezielte Islamfeindlichkeit." Gerade in sozialen Netzwerken werden Jugendliche gegeneinander aufgehetzt, so Sahin.
Deutlich werde dies am Umgang mit dem Nahost-Konflikt: "Es werden falsche Bilder und Informationen verbreitet, die einen latenten Antisemitismus nähren, ebenso wie eine Islamfeindlichkeit bei bestimmten jüdischen Organisationen durch Fehlinformationen genährt wird. So wird die Saat für einen tiefen Hass in beiden Lagern gesät." Für Probleme wie diese, aber auch für die Gefahr des religiösen Extremismus außerhalb der sozialen Netzwerke will Sahin Jugendliche sensibilisieren. Er warnt etwa vor der Salafiya-Bewegung, zu der auch Pierre Vogel gehört.
"Hijab is My Diamond"
Abgesehen von diesen Gefahren erkennt Sahin keine großen Unterschiede in der Nutzung von Netzwerken wie Facebook zwischen jungen Muslimen und Nicht-Muslimen: "Da ist man als Muslim dann Fan einer Seite wie 'Islam' oder einer Mode-Seite wie 'Hijab is My Diamond'. Das war's dann aber auch im Regelfall.". Gerade die deutschsprachige Seite "Hijab is my Diamond" steht in deutlichem Kontrast zu der radikalen Meinung eines Pierre Vogel: Hier zelebrieren junge Musliminnen Mode mit Kopftuch und tauschen sich über neueste Trends aus. Die Lederjacke von H&M wird mit einem Kopftuch eines Münchner Labels kombiniert, lange Röcke werden mit Accessoires großstadttauglich. Das alles wird mit Fotos dokumentiert - und mit großem Erfolg: Über 300.000 Fans folgen der Seite.
Es ist die große Öffentlichkeit einer Plattform wie Facebook, die auch Skeptiker wie Pierre Vogel und Baris Kus lockt. Ausschließlich auf Muslime abzielende Netzwerke wie das 2006 gegründete Muxlim oder das im vergangenen Jahr großangekündigte Salamworld konnten sich gegen die übermächtige Konkurrenz nicht behaupten. Salamworld, bereits 2011 von dem kasachischen Unternehmer Abdul Wahid Nijasow in Istanbul als islamische Alternative zu Facebook gegründet, befindet sich noch immer in der Beta-Phase. Das Netzwerk Muxlim stellte seine Dienste bereits 2012 komplett ein - die Nutzerzahlen und Einnahmen waren einfach zu niedrig.
Akif Sahin kennt die Gründe: "Es ergibt keinen Sinn, einen Service zu nutzen, der zwar islamisch ist, aber nicht die Freunde an Bord hat. Niemand erwartet mehr, dass etwa Salamworld tatsächlich online geht." Baris Kus hat gar noch nie von der islamischen Alternative zu Facebook gehört. Er selbst nutze Facebook, um islamische Seiten zu verfolgen und um mit seiner eigenen Seite ein großes Publikum zu erreichen. So groß die Versuchung im "Fitnabook" auch sein mag: "Facebook ist unverzichtbar", sagt Kus.