Nachrichten-Aggregatoren Wie Google News Redaktionen ausbeutet

Moneten statt Beta: Google will mit seiner jahrelang als Beta-Test präsentierten Nachrichtenseite jetzt richtig Geld verdienen. Mit vielen Nachrichtenagenturen hat der Suchmaschinen-Gigant Verträge abgeschlossen, die Verlage gehen leer aus - obwohl Google News ohne die Arbeit von Zeitungs- und Online-Redaktionen unmöglich wäre.

Im Rückblick betrachtet könnte man sagen: Das war all die Jahre höchst raffinierte Propaganda, was bei Google News passierte. Jeder, der das Angebot ab und zu nutzt, kennt diesen Link: "Alle Artikel zum Thema". Oben eine Überschrift, dann ein kurzer Teaser-Text, daneben ein Bild, darunter ein, zwei Direktlinks zu bestimmten, namentlich genannten Medien und dann "Alle Artikel...".

Früher wurde auf die Gleichförmigkeit vieler Nachrichtenstücke noch deutlicher hingewiesen, da stand nämlich unter jedem Anreißer: "Und 342 ähnliche Artikel". Wer es sehen wollte, konnte bei Google News also schon immer auch die Botschaft finden: "Es steht ohnehin überall das Gleiche, es ist ganz egal, wo Sie hinklicken."

An dieser unterschwelligen Botschaft ist sogar etwas dran: Denn die vielen "ähnlichen Artikel", die Google News zu einem bestimmten Thema findet, ähneln einander oft tatsächlich sehr - weil sie aus dem gleichen Agenturmaterial bestehen. Aus Meldungstexten von dpa, AP, AFP, Reuters, ddp und all den anderen. Den großen Nachrichtenorganisationen, die Korrespondenten zu Pressekonferenzen und in Kriegsgebiete schicken, die Pressemitteilungen von Unternehmen auswerten und mit gewaltigem Personalaufwand täglich eine unübersehbare Fülle von Informationshappen produzieren - mehr, als auch der größte Nachrichtenjunkie je verdauen könnte. Ohne Redaktionen ist Agenturmaterial nur eine riesige, chaotische Ansammlung von Meldungen. Daran ändert auch Google News nichts - auch wenn man diesen Eindruck bekommen könnte.

Die Agenturen waren die ersten, die begannen, mit juristischen Mitteln gegen Google News vorzugehen - hier wird unser Rohstoff gestohlen, lautete der Vorwurf, die Seite präsentiert die Früchte unserer Arbeit, und wir bekommen nichts dafür. AFP, AP und andere klagten. Google argumentierte stets: Wir setzen ja nur Links, und außerdem verdienen wir nichts daran.

Längst hat man sich geeinigt: Meldungen von AFP, AP, der britischen Press Association und Canada Press werden schon jetzt bei Google News gezeigt - im Volltext. Nun wurde auch noch ein Vertrag mit der European Pressphoto Agency (epa) geschlossen. Acht der elf Mitglieder machen mit. Google News zeigt künftig Texte und -bilder der Agenturen Apa (Österreich), Ana/MCI (Griechenland/Mazedonien), Belga (Belgien), Efe (Spanien), Lusa (Portugal), MTI (Ungarn), Keystone (Schweiz) und Pap (Polen).

Nicht dabei sind die drei übrigen epa-Mitbesitzer, die deutsche dpa, die italienische Ansa und ANP aus den Niederlanden. Google-Sprecher Kay Oberbeck teilte mit, mit der dpa gebe es "Gespräche". dpa-Sprecher Justus Demmer erklärte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, man rede "mit allen möglichen Marktteilnehmern über alle möglichen Formen der Zusammenarbeit, aber nicht öffentlich". Zu der Vereinbarung von Google und der epa sagt Demmer aber: "Diese Art der Zusammenarbeit passt nicht zu unserem Geschäftsmodell." Da gehe es ja ums Geschäft mit Endkunden, und "das ist nicht unser Geschäft, das ist eine Übereinkunft mit den Gesellschaftern". Die dpa gehört den deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen sowie den Rundfunkanstalten.

"Neue Erträge für alle Artikel"

Die dpa also macht nicht mit, doch die Inhalte der acht genannten europäischen Agenturen werden nun bei Google News selbst präsentiert und nicht mehr nur verlinkt. Daneben wird wohl Werbung geschaltet. Walter Grolimund, der epa-Aufsichtsratsvorsitzende, sagte zur Einigung, die Nachrichtenagenturen könnten nun "dank der mit Google geteilten Werbeeinnahmen neue Erträge für alle auf Google News gehosteten Artikel generieren."

Den grundsätzlichen Strategiewandel bei Google News berührt die Enthaltsamkeit dreier epa-Mitglieder, der dpa, der Ansa und der ANP nicht: Google News ist schon jetzt ein Nachrichtenanbieter, kein Nachrichten-Aggregator mehr. Die Seite zeigt Inhalte, nicht nur Links zu anderswo abgelegten Inhalten. Umgeben werden diese Inhalte künftig mit Werbung - in den USA ist das jetzt schon so. Dort steht übrigens, im Gegensatz zum deutschsprachigen Angebot, neben dem Google-News-Logo auch nicht mehr "beta".

Von den großen internationalen Agenturen fehlt eigentlich nur noch Reuters. Die Agentur leistet sich aber selbst aufwendig gestaltete Websites, auf denen die eigenen Nachrichten bereits in redaktioneller Form präsentiert werden - umgeben von Werbung. Reuters ist in diesem Markt also bereits selbst zum Endkundenanbieter der eigenen Inhalte geworden und dürfte daher weniger als die Konkurrenz geneigt sein, Material an den Endkundenanbieter Google News zu verkaufen. Von Reuters war am Dienstag zunächst kein Kommentar zum Thema zu bekommen.

Google-News-Manager Josh Cohen kommentierte den epa-Deal mit einer kleinen Stichelei: Der neue Ansatz identifiziere nun "Journalisten und Herausgeber, die für die Erstellung und Verbreitung von Nachrichten hart arbeiten, als ursprüngliche Nachrichtenquelle." Man kann das auch lesen als: "Der neue Ansatz zeigt dem Leser, wo die Nachrichten, die er sonst anderswo fand, eigentlich in Wahrheit herkommen" - aus den Agenturen nämlich.

Wer sortiert Google News? Die Redaktionen der anderen

Jede einzelne Agentur für sich hätte bislang kaum mit den etablierten Medienhäusern konkurrieren können, was die Vielfalt der Information angeht - was die Tiefe angeht, ohnehin nicht. Mit Google News als all-umarmender Übermutter aber lässt sich aus dem Rohstoff Agenturmeldung eine ganz passable Häppchensammlung zusammenzimmern. Mehr nicht - Analysen, Kommentare, Hintergründe, die Herstellung von Zusammenhängen werden auch weiterhin andere Redaktionen leisten. Doch der Wert der Ware Nachricht, so sie nicht exklusiv ist, sinkt derzeit rapide. Nachrichten werden zur "Commodity" - zu einem Verbrauchsgut wie Wasser oder Strom, nicht zuletzt dank der Häppchensammlung Google News.

Die wird dann aber doch, und das ist aus der Sicht von Nachrichtenredaktionen das Perfide, mit Hilfe der Redaktionen zusammengestellt und sortiert: Denn die Gewichtung und Reihung der bei Google News angezeigten Nachrichten wird durch einen Algorithmus erledigt, der auf der Auswertung großer Nachrichtenseiten basiert. Was bei vielen ganz oben steht, was bei den Wichtigen oben steht, muss wohl wichtig sein, und landet deshalb auch bei Google News am Seitenanfang. Was, das nur nebenbei, auch dazu führt, dass das wirklich Exklusive, das wirklich Originelle bei Google News kaum eine Chance hat.

Die Agenturen, die das Rohmaterial für die maschinengenerierte Nachrichtenseite liefern, werden nun also entlohnt, über Verträge mit den Suchmaschinisten. Die Redaktionen aber, die aus dem Rohmaterial Nachrichtenangebote machen, die sichten, sortieren, gewichten und einordnen, liefern ihre Arbeitsleistung unfreiwillig und kostenlos ab - redaktionelles Crowdsourcing könnte man das nennen. Sie instruieren den Algorithmus, der ihnen Leser und Anzeigenerlöse stehlen soll, und können sich nicht dagegen wehren.

Doch ohne sie wäre Google News für den Endverbraucher ebenso nutzlos wie das tägliche Chaos eines Agenturtickers.

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