
Aggregatoren: Hyper Hyper in der Blogosphäre
Nachrichtenfilter fürs Web Was wirklich wichtig ist
Worüber wird in deutschen Blogs geschrieben, was interessiert die Twitter-Nutzer? Für das deutschsprachige Internet soll Newshype diese Frage beantworten. Automatisch grast der Dienst Blogs und Statusmeldungen nach Links ab, die zur Zeit am häufigsten genannten Artikel werden auf einer Übersichtsseite gesammelt angezeigt. Auf einen Blick soll zu sehen sein, was die überaus heterogenen Netznutzer gerade bewegt.
Newshype, das noch nicht allgemein zugänglich ist, erinnert nicht zufällig an den Blog-Aggregator Rivva. Die Seite war im Februar von ihrem Hamburger Entwickler geschlossen worden - sehr zur Trauer vieler Blogger und sonstwie Medienschaffenden, die das zentrale Informationsportal täglich zur Themensuche genutzt hatten. Die entstandene Lücke wollen Jannis Kucharz und Pëll Dalipi nun mit Newshype füllen.
2000 Quellen werden von dem noch recht rudimentären Webdienst automatisch abgeklappert - darunter auch Twitter. In den vergangenen Monaten hat die Bedeutung des Dienstes zugenommen, Hinweise auf interessante Artikel und Websites werden nicht mehr so häufig wie früher per Blog verbreitet, sondern per Statusmeldung.
Xydo gegen die Einheitsware
Die nächste Generation der Web-Aggregatoren beschränkt sich nicht mehr nur auf das bloße Hochzählen von Verlinkungen , das Sortieren in mehr oder weniger ausdifferenzierte Kategorien und Abstimm-Klicks. Seiten wie Wikio, Digg oder Reddit fehlt nicht nur eine umfassende Personalisierung, sie haben vor allem auch mit einem Problem zu kämpfen: manipulierte Abstimmungen und Spam.
Der US-Dienst Xydo , ebenfalls noch in der geschlossenen Beta-Phase, zeigt, wie es in Zukunft gehen könnte: Hier kann man den eigenen Facebook- und Twitter-Account als zusätzliche Quelle hinzufügen. Was die Online-Freunde dann weiterempfehlen, fließt in die personalisierte News-Übersicht mit ein. Ein Feature, mit dem zuletzt auch Rivva-Entwickler Frank Westphal experimentiert hatte (Rivva social). Die iPad-Anwendungen Flipboard und Pulse präsentieren den Nutzern so ein persönliches Online-Magazin. Newshype ist nach Angaben der Macher noch nicht ganz so weit. "Erstmal werden wir einige grundsätzliche Funktionen einbauen."
Die Idee dahinter: Von den Online-Freunden empfohlene Artikel sind für die Nutzer relevanter, statt Einheitsware gibt es mit Hilfe des Social Graph ein noch besser auf den persönlichen Geschmack zugeschnittenes Nachrichtenpaket. Auch Google mischt unter die Suchergebnisse angemeldeter Nutzer bereits testweise Treffer, die aus sozialen Freundeskreisen gewonnen werden. Letztlich ist es der Versuch, die äußerst erfolgreiche Facebook-Funktion "Mir gefällt das" auf weitere Webdienste zu übersetzen. Google führte schon Ende 2009 die personalisierte Suche für alle Nutzer ein. Das System bevorzugt bei der Websuche Treffer, die dem bisherigen Surfverhalten entsprechen. Außer, man hat der Personalisierung explizit widersprochen.
Websuche mit Hilfe von Freunden
Die große Kunst besteht nicht nur länger darin, möglichst genau auszuzählen, wie oft ein Artikel angeklickt wurde. Stattdessen soll der Geschmack der Nutzer möglichst präzise erkannt werden. Dazu werden möglichst umfassende Daten erhoben und ausgewertet: Welche Links klinkt der Nutzer an, welche Websites empfehlen die sozialen Kontakte, in welchem Land, an welchem Ort und zu welcher Zeit wird der Dienst genutzt.
Dabei gilt es, eine schwierige Balance zu halten: Die Nutzer der Aggregatoren wollen schließlich nicht gelangweilt werden. Bleiben die Überraschungen aus, verlinkt der personalisierte Dienst nur noch durch das soziale Umfeld vorgefilterte Websites, wird es schnell langweilig, Informations-Enklaven entstehen, abgeschlossene, selbstreferentielle Zirkel. Unliebsame Nachrichten, ja ganze Lebenswelten, können einfach ausgeblendet werden. Die Fragmentierung der Öffentlichkeit wird perfekt.
Wohin das letztlich führt, hat der US-Autor Jonathan Lethem in seinem Buch "Chronic City" beschrieben. Dort finden die Web-Filter den Weg zurück in die Offline-Welt. Die "New York Times" gibt es in seiner düsteren Zukunftsvision in zwei Ausgaben. Die eine verzichtet gänzlich auf Berichte über die laufenden Kriege auf der Welt.
Eine Website für alle
So gesehen ist Newshype, zumindest im Anfangsstadium, noch weit davon entfernt, ein moderner Aggregator zu sein. Aber gerade weil es zunächst keine ausgeklügelten Filter gibt, holt Newshype für einen kurzen Moment den Eindruck einer "Netzgemeinde" zurück, die es so eigentlich gar nicht gibt. Das erklärt auch die große Trauer über den Rivva-Abschied: Newshype schafft eine Öffentlichkeit, so wie die gedruckten Zeitungen früher mit ihrer Auswahl einen verbindlichen Nachrichten-Kanon schufen.
Bevor das Internet kam und die Welt noch komplizierter machte.