Netz-Werte Techno-Humanisten suchen das Gute
Es geht ums Gut-Sein, nicht mehr und nicht weniger. Während sich der Rest der Business-Welt nach Davos aufmacht, um beim Weltwirtschaftsforum über Geschäfte zu reden, haben sich in München die Web-Wohltäter dieser Welt versammelt, um darüber zu debattieren, wie das Netz den Planeten zu einem besseren Ort machen kann. Craig Newmark ist da, Gründer eines Angebotes, das aus reinem Idealismus in den USA fast im Alleingang ein Kerngeschäft der Printpresse ruiniert hat. Arianna Huffington, die das Netz zum politischen Kampfinstrument ausgebaut hat und in den USA der Regierung das Fürchten lehrt, ist auch da. Nicholas Negroponte, der die Kinder der dritten Welt mit Computern ausstatten will, sitzt in einer Gesprächsrunde mit dem Motto "How to be good?".
Wie man gut ist, versucht der Veranstalter, Burda Media, vorzumachen, indem man die Konferenz mit dem Titel "Digital Life Design" (DLD) für "klimaneutral" erklärt. In China hat man Geld in ein Ökostrom-Projekt gesteckt, um die geschätzten 1000 Tonnen CO2 auszugleichen, die die Konferenz verursacht, durch Flugreisen und Stromverbrauch. Das ist natürlich PR - aber es ist dennoch bezeichnend, dass man diese Art von PR für sinnvoll hält, wenn man die Web-Visionäre der Gegenwart aus dem Silicon Valley nach Deutschland locken will.
In den USA formiert sich seit einigen Jahren eine regelrechte Bewegung, eine Art Techno-Humanismus, der Selbstermächtigung durch Information und die Selbstheilungskräfte der Community beschwört, der an eine Vereinbarkeit von Business und Befreiung, von Gemeinschaft und Geschäftsmodell glaubt. Die Google-Gründer sind mit ihren Milliardenumsätzen und ihrem Motto "Don't be evil" nur die sichtbarsten dieser neuen Humanisten. Sie haben viele Gleichgesinnte.
Die alten Ideen von damals, vor dem Dotcomtod
Die Ideen sind nicht neu - schon in der ersten Netz-Euphorie, die am Beginn der Dotcom-Blase stand, predigten Menschen wie Nicholas Negroponte die positive Revolution durch Informationstechnologie. Heute aber gibt es Unternehmer, die tatsächlich Erfolg haben, die die etablierte Konkurrenz das Fürchten lehren - und sich dennoch ein auf kritikgeschulte Deutsche irritierend wirkendes Festhalten an den sanften Idealen der Blumenkinder erlauben. Wikipedia ist ihr Gral, Open Source Software wie Linux der Beweis, dass Menschen ohne Gewinnstreben Großes schaffen können, dass die Gesetze des Marktes nicht alles sind.
Craig Newmark ist einer von ihnen. Der Mann ist kein Träumer, kein "Du, da müssen wir mal drüber reden"-Schwafler, sondern ein Geek, ein Technik-Freak, der beim Interview neugierig den kleinen tragbaren WLan-Router beäugt, den jemand am Nebentisch ausgepackt hat. Newmark ist der Gründer von "Craigslist", der erfolgreichsten Kleinanzeigenseite der Welt. Dutzende von Millionen, schätzen Analysten, kostet sein Angebot die US-Tagespresse jedes Jahr. Weil es gut, einfach und völlig kostenlos ist. Nur von Profis aufgegebene Job- und Immobilieninserate kosten bei Craigslist Geld.
Wie können diese Weltverbesserer so erfolgreich sein?
"Die Bedürfnisse unserer Nutzer sind uns sehr wichtig", sagt Newmark. Deshalb gibt es trotz geschätzter fünf Milliarden Seitenzugriffe im Jahr auch keine Bannerwerbung auf Craigslist: "Die Nutzer haben uns bisher nicht gesagt, dass wir das tun sollen." Newmark möchte sein Unternehmen nicht verkaufen - obwohl er damit sehr viel Geld verdienen könnte. Er möchte seinen Profit nicht maximieren - sondern sich lieber über eine Initiative unterhalten, die durch direkte Kommunikation zwischen Privatleuten den Friedensprozess im Nahen Osten voranbringen soll. Newmark ist ein Weltverbesserer im besten Sinne des Wortes - für die Anzeigenverkäufer der US-Presse muss es umso verstörender sein, dass ihnen so einer ganz aus Versehen das Geschäft verdorben hat.
In der Gesprächsrunde mit Negroponte fragt Moderator Martin Varsavsky, auch so ein Techno-Humanist, aber mit einem ironischen Blitzen im Auge: "Muss man Amerikaner sein, um gut sein zu wollen?" In der Tat stammen die neuen globalen Mega-Charities in der Regel aus den USA - von der Gates-Stiftung, die Milliarden von Dollar an privater Entwicklungshilfe nach Afrika schickt, bis hin zu Nicholas Negropontes Projekt "One Laptop per Child" (OLPC). Negroponte, der sich selbst als Weltbürger sieht, stolz auf seine europäischen Wurzeln ist und "Nationalismus ist eine Krankheit" sagt, glaubt an die Selbstermächtigung derer, die Zugang zu Technologie haben. Sechsjährigen in aller Welt will er kleine, voll funktionsfähige und Funknetz-fähige Klapprechner in die Hand geben.
Der "gute Bin Laden" ist nicht auf Profit aus
Die Kinder, glaubt Negroponte, würden sich dann selbst Bildung verschaffen, einfach weil sie lernbegierig sind. "Wir brauchen nicht mehr Lehrer", hält er einer Vertreterin des Computerherstellers Hewlett Packard entgegen, "wir brauchen keine Stundenpläne, wir müssen den Kindern nur ein Werkzeug an die Hand geben."
Hewlett Packard finanziert Modellprojekte, bezahlt Pädagogen und baut Schulen. Negroponte dagegen will eine Nachwuchs-Armee von digitalen Autodidakten schaffen. Den "guten Bin Laden" nennen ihn Manche, sagt er, denn sein Projekt "hat viele in der Computerbranche auf vielfältige Art und Weise in Angst und Schrecken versetzt", man halte ihn für eine Art Terroristen.
Viele hätten ihm gesagt, das Projekt müsse unbedingt Profit machen, sonst käme man nicht an gute Leute. "Das ist Blödsinn", sagt Negroponte. Selbst, als er eine Managerstelle ohne jegliches Gehalt für das Projekt ausgeschrieben habe, hätten die Spitzenkräfte Schlange gestanden.
Microsoft und die teuren Pflaster
Der andere große Computerphilantroph, Bill Gates, hat für das OLPC-Projekt in erster Linie Spott übrig - böse Zungen behaupten, weil auf den Kinderrechnern Linux laufen soll und nicht Windows. Einen diskreten Seitenhieb kann sich Negroponte deshalb nicht verkneifen: Mancher lehne das Projekt ja ab, sagt er, ohne Gates oder Microsoft zu erwähnen, aber "das ist, als ob jemand das Rote Kreuz ablehnt, weil die keine Pflaster von Johnson & Johnson verwenden."
So ganz grün sind sich dann also doch nicht alle, auch wenn alle der Menschheit helfen wollen - aber Gates gehört auch nicht wirklich zu dem kleinen Club, der in den USA derzeit für eine politisch-moralische Aufbruchstimmung sorgt, wie es sie vielleicht seit John F. Kennedy nicht mehr gab. Wenn Newmark über die Übernahme des US-Kongress durch die Demokraten spricht, klingt das, als sei er persönlich stolz darauf.
Nicht jeder ist von dieser Bewegung begeistert - der Virtual-Reality-Pionier Jaron Lanier zum Beispiel warnt vor einer quasireligiösen Überzeugung, die im Silicon Valley Einzug halte, vor einem Glauben an die heilsbringende Macht der Informationstechnologie, die zu einem "digitalen Maoismus" führen könne.
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Nicholas Negroponte, Craig Newmark, der Verleger Tim O'Reilly, die Google-Chefetage und die Netz-Kolumnistin Arianna Huffington gehören zu den Protagonisten dieser ziemlich gelassenen Bewegung - sie haben Erfolg und bleiben freundlich. Sie wollen Frieden, Umweltschutz, Bildung und Gerechtigkeit - und sie glauben, dass das Netz all das jetzt endlich möglich macht.
Selbst das Weltwirtschaftsforum trägt die "Verschiebung der Macht-Gleichung" in seinem diesjährigen Motto, will sich mit den Auswirkungen von Technologie auf "persönliche und kollektive Identität" und der "wachsenden Bedeutung einflussreicher Individuen und kleiner Gruppen" beschäftigen.
Für Craig Newmark ist die Sache viel einfacher. "Die meisten Leute", sagt er in einem gemessenen Tonfall, der keinen Widerspruch duldet, "sind gut."