Netzwerk Recherche "Blogger sind oft selbstverliebte Egozentriker"
Frage:
Herr Leif, als Blogger kann endlich jeder selbst Journalist sein und publizieren, was er für wichtig hält. Sind die Blogger nicht eigentlich echte Graswurzel-Journalisten, die mit dem Standesdünkel der Medienzunft aufräumen?
Thomas Leif: Nicht jeder Blogger ist Journalist. Den meisten Bloggern fehlt jegliches journalistisches Handwerkszeug. Professionelle Journalisten selektieren verschiedene Quellen und analysieren diese anhand von Fachwissen. Sie versuchen, sich bei der Recherche ein möglichst objektives Bild eines Sachverhalts zu schaffen, das unbeeinflusst ist von ihren eigenen sozialen Kontexten und Ansichten. Alle beteiligten Parteien anzuhören, ist unter anderem ein entscheidendes Charakteristikum von professionellem Journalismus. Daran muss man Weblogs messen. Sie sind eben in erster Linie private Online-Tagebücher.
Frage: Der "Blogtheoretiker" Don Alphonso sagt, dass Journalisten entscheiden, "welchen Ausschnitt der vom eigenen Vorurteil geprägten Halbwahrheit der Nutzer letztendlich präsentiert bekommt". Und er glaubt, Weblogs könnten für die Profis tödlich werden. Sind Sie tatsächlich der Ansicht, dass von Weblogs keine Gefahr für den klassischen Journalismus ausgeht?
Leif: Absolut. Wenn Nicht-Journalisten und "Blogtheoretiker" wie Don Alphonso sich über die Selektionsrolle von Journalisten beklagen, bin ich grundsätzlich sehr skeptisch. Die meisten Blogger sind von ihrer Selbstdefinition her viel subjektiver als jeder seriöse Journalist. Während ernsthafte Journalisten zumindest versuchen, objektivierbare Kriterien einzuführen, sind viele Blogs von einer Hypersubjektivität getrieben. Der Blogger stellt seine eigene Person in den Vordergrund. Es handelt sich oft um selbstverliebte Egozentriker, die ihren Mitteilungsdrang befriedigen wollen. Das ist legitim, aber keine journalistische Haltung.
Viele Blogs sind gespickt mit Anfeindungen, Unterstellungen und systematischer Provokation. Es werden beispielsweise bewusst andere niedergemacht, ohne dass der Blogger jemals persönlich mit ihnen in Kontakt getreten ist. Dadurch lenkt er jedoch Aufmerksamkeit auf sich selbst und genießt den Hype, der um ihn herum entsteht. Dem Großteil der Blogger geht es eben nicht ernsthaft darum, einen Sachverhalt aufzuklären oder einen Vorgang zu analysieren. Die meisten präsentieren nur einen privaten Tabledance. Selbstverständlich gibt es aber auch sehr gute, qualitativ hochwertige Blogs. Das sind jedoch nur Mini-Inseln in einem Ozean von Inhalten, für die journalistische Gesichtspunkte nicht gelten.
Frage: Was ist für Sie ein qualitativ hochwertiges Blog und wodurch ist es charakterisiert?
Leif: Ein herausragendes Qualitätsblog ist beispielsweise BILDblog.de . Das ist eine der Top-Ausnahme unter den Blogs: absolut professionell, inhaltlich exzellent und genuin journalistisch definiert. Die Macher von BILDblog sind sehr engagiert, bringen stets Beweise und Querbelege an und recherchieren sauber und genau. BILDblog findet bis in die Redaktion der Bild-Zeitung hinein Beachtung und führt dort zu Diskussionen über die Peinlichkeiten und Ausrutscher, oftmals sogar mit dem Resultat, dass Artikel oder Aussagen korrigiert werden. Wenn nur zehn Prozent der Blogger so arbeiteten, dann würde mir ein Stein vom Herzen fallen. BILDblog ist der Beweis für die ungenutzten Chancen dieses Instrumentes.
Frage: Sind, abgesehen von solchen Ausnahmen, die meisten Blogs nur eine mehr oder minder unnütze Modeerscheinung?
Leif: Blogs sind auch eine Modeerscheinung, aber nichtsdestoweniger kann man sie sinnvoll nutzen. Sie können beispielsweise Impulse und Ideen für neue Themen liefern und stellen natürlich auch eine Informationsquelle und Kommunikationsbasis dar.
Wenn zum Beispiel jemand einen Film über die homosexuelle Szene und das Barebacking, also das bewusste Spiel mit dem HIV-Risiko, machen möchte, dann kann er über Blogs möglicherweise mit Leuten, die risikoreich Sex haben, in Kontakt kommen. Blogs sind potentiell hilfreich, um in Milieus vorzudringen, zu denen man normalerweise keinen Zugang hat. Sie sind ein Reservat für Authentizität.
Frage: Sie nennen auf der einen Seite das Stichwort Authentizität, auf der anderen Seite wird sehr viel aus einem persönlichen Mitteilungsbedürfnis heraus gebloggt. Im Grunde genommen weiß der Leser nie, was wirklich authentisch ist. Angenommen, Sie hätten einen Informanten im Netz gefunden, welche Kriterien würden Sie anwenden, um herauszufinden, ob Sie ihm vertrauen können?
Leif: Natürlich ist die Glaubwürdigkeit von Informationen im Netz immer mit einer gewissen Vorsicht zu beurteilen. Im Grunde genommen ist für die Überprüfung von Vertrauenswürdigkeit ein persönliches Treffen die Voraussetzung. Einzig und allein auf der Basis elektronischer Kommunikation würde ich niemals einem Informanten uneingeschränkt glauben. Ich hatte erst neulich einen interessanten Fall dieser Art. Es ging um ein sehr relevantes, medizinisches Thema, an dem ich gearbeitet habe. Ein Arzt, hatte mir daraufhin gemailt. Die Fakten und Informationen, die er mitteilte, stimmten weitgehend. Allerdings wollte er partout seine Identität nicht preisgeben, obwohl es dazu unter den Gesichtspunkten des Informantenschutzes keinen Grund gab. Das machte mich skeptisch und ich hatte die Vermutung, dass die betreffende Person spezielle Gründe für die Anonymität hatte. Ich machte noch mehrmals die Dringlichkeit eines persönlichen Treffens deutlich, ohne Erfolg. Dann ist aus der Sache auch weiter nichts geworden.
Es muss klar werden, wer wirklich hinter einer virtuellen Person steckt, ansonsten ist derjenige als Informant nicht überprüfbar und damit nicht vertrauenswürdig.
Frage: Halten Sie das Internet generell als Rechercheinstrument für geeignet, wenn eine direkte Prüfung unumgänglich ist?
Leif: Bei der Beantwortung dieser Frage muss man deutlich differenzieren: Sicherlich sind Suchmaschinen ein sinnvolles und praktisches Instrument, aber man darf nicht einzig und allein ihnen Vertrauen schenken. Kein Nutzer weiß beispielsweise genau, nach welcher Systematik Google seine Ergebnisse akzentuiert und ordnet. Hier fehlt es eindeutig an Transparenz und durch diese fehlende Transparenz ist Google hochgradig anfällig für Manipulation und Instrumentalisierung. Dies kann auch durch Werbung passieren, durch die sich die Suchmaschine schließlich finanziert. Man kann Suchmaschinen bei der Recherche sinnvoll nutzen, aber es sind stets Begleitrecherchen notwendig. Man sollte sich nie ausschließlich auf diese virtuelle Welt mit all ihren Verwerfungen und kommerziellen Einflüssen verlassen. Für sehr wichtig halte ich direkte Interviews, Dokumente und Expertenanalysen. Und vor allem Akten sind unersetzbare Rechercheressourcen.
Frage: Nun gibt es aber in vielen Redaktionen kaum Ressourcen und Zeit für aufwändige Recherchen. Google dagegen hat Hochkonjunktur. Sehen Sie die Suchmaschine als eine Art "notwendiges Übel"?
Leif: Ganz falsch ist die Bezeichnung "notwendiges Übel" nicht. Bei allen Chancen, die die Recherche im Netz mit sich bringt, ist sie vor allem eines, nämlich bequem. Immer mehr Journalisten tappen in diese Bequemlichkeitsfalle. Auch bei Rechercheseminaren stelle ich immer wieder fest, dass die Recherche bei Google beginnt und auch dort wieder endet.
Hier wächst, wenn man es einmal zugespitzt formuliert, eine ganze Generation von Journalisten heran, die ausschließlich googelt. Journalisten erleben die Konfrontation mit der Realität in der Praxis leider oft nur noch über ihre Suchmaschinen. Die klassische Recherche, also direkt zu den Akteuren zu gehen, Dokumente zu studieren, die nicht im Netz stehen, mehrere Quellen zu sichten und zusammenzustellen, geht hingegen immer mehr zurück. Im Netzwerk Recherche - das ist eine Journalistenvereinigung, die die Recherchekultur und den Aufklärungsjournalismus stärken will - versuchen wir, diesem Trend entgegenzuwirken.
Dieses Gespräch führte Kristin-Leonie Weiland und stammt von der Website webwatching.info . Dort finden Sie die ausführliche Fassung sowie 18 weitere Interviews mit Online-Journalisten zu neuen Trends im Netz. Unter anderem mit dem Autor Peter Glaser und Florian Rötzer, Chef des Online-Magazins "Telepolis" .