Neue Web-Allianz Microhoo fordert Googles Wissensmonopol heraus
Über ein Jahr dauerte es am Ende, bis sich zwei Unternehmen fanden, die lang vergeblich zueinander wollten. Mehr als 47 Milliarden Dollar wäre es Microsoft vor Jahresfrist wert gewesen, Yahoo komplett zu schlucken. Yahoo-Gründer Jerry Yang war das nicht genug, er zockte, verlor und führte sein Unternehmen in einen steilen Sinkflug, dessen erstes Opfer er selbst wurde: Erst Yangs Abschied stabilisierte Yahoos Kurse leidlich.
Die Firmen verhandelten weiter, mal heimlich, mal öffentlich. Was am Ende dabei herauskam? Eine Kooperation, von der Yahoo auf den ersten Blick mehr zu haben scheint als Microsoft.
Ein Deal zum beidseitigen, aber vermeintlich ungleich verteilten Vorteil. Künftig soll Microsofts Suchdienst Bing die Yahoo-Suche ersetzen, Microsofts AdCenter-Technik soll Firmenplattform-übergreifend für Werbeeinspielungen sorgen, während Yahoos Marketingteam die Vermarktung aller Suchseiten übernimmt - und dafür nach den Angaben von heute 88 Prozent der Werbeumsätze einstreicht.
Ist es das wert für Microsoft?
Was hat Yahoo, das Microsoft nicht hat? Die Antwort scheint einfach: Reichweite. Noch immer entfallen rund zwanzig Prozent aller Suchanfragen in den USA auf die Ur-Web-Marke, die zugleich Urmutter aller auf das WWW spezialisierten Suchdienste war. Vor Yahoo, das 1994 als händisch gepflegter Katalog begann, als es noch möglich war, dass zwei Studenten ein Gesamtverzeichnis aller Web-Server pflegen konnten, gab es nur umständliche Einzeldatei-Suchdienste wie Archie oder Gopher.
Yahoo hat diesen Startvorteil lange Zeit durchaus gewinnbringend ausgespielt. Die Marke steht für Suche, vor allem in den USA aber auch für mediale Inhalte verschiedenster Art: Yahoo betreibt Inhalte-Portale über alle möglichen Themen von Sport bis zum virtuellen Frauenmagazin. Die Fotoplattform Flickr gehört ebenso zum Konzern wie der Online-Bookmarking-Dienst Del.icio.us.
Was aber hat Microsoft, das Yahoo nicht hätte? Nichts außer pekuniärer Puste, wenn man ehrlich ist: Populärer als Microsofts Suchdienste war Yahoo in den vergangenen Jahren vor allem deshalb, weil es im Gegensatz zu Microsoft über Suchtechnologien verfügte, die qualitativ durchaus mit Google konkurrieren können.
Im Klartext: Yahoos Suchtechnik war deutlich besser. Bis Bing kam.
Die Suche gibt Yahoo nun auf. Und damit seinen Markenkern?
Kaum: Aus Perspektive des Nutzers ändert sich herzlich wenig. Er mag, muss aber nicht bemerken, dass Yahoo - wahrscheinlich erst ab Frühjahr 2010, wenn die Kartellbehörden zustimmen - für zunächst zehn Jahre Bing unter der Haube hat.
Dass unter dem Suchmarken-Label Yahoo die Technik von Fremdanbietern werkelt (künftig: "Yahoo powered by Bing"), steht dabei ebenfalls in bester Markentradition: Als Webcrawler dem Katalog Yahoo die Nutzerschaft abgruben, kaufte sich Yahoo 1997 einfach eine neue Suchtechnik (WebControls) - nutzte sie dann aber gar nicht selbst. Damit begründete der Konzern gleich noch eine schräge Yahoo-Tradition: Statt aufgekaufte oder selbst entwickelte Suchtechnik zu nutzen, band man sich lieber an potente Suchpartner, die die Arbeit für Yahoo machten.
Für einige Jahre war das Altavista, das bald in jeder Hinsicht von Google beerbt wurde. Noch bis 2004 suchte man dann, wenn man Yahoo nutzte, in Wahrheit mit Google - und das, obwohl Yahoo längst Besitzer von Inktomi (ab 2002), von Altavista (2003) und dem als Schnüffelnetzwerk berüchtigten Werbe- und Suchdienst Overture (2003) war. Noch 2006 kaufte sich Yahoo mit Searchfox die letzten Know-how-Auffrischungen zu. Nur von 2004 bis 2009 suchte Yahoo tatsächlich selbst.
500 Millionen Dollar Mehreinnahmen?
Und nun wird all diese geballte, aber in ihrer steten Weiterentwicklung wie im Unterhalt teure Suchtechnik wieder rausgeworfen, um erneut auf die Technik eines Partners zu setzen? Nicht ganz, wurde in der Pressekonferenz zum Deal behauptet: Yahoo-Suchtechnik werde nun in die Bing-Technologie einfließen. Yahoo verabschiedet sich also keineswegs von seiner Firmenhistorie, sondern agiert, wie es immer agiert hat, wenn das vorteilhaft schien: Es besorgt sich Know-How, wo es zu haben ist.
Es gehe darum, die Nummer 2 und 3 auf dem Suchmaschinenmarkt zusammenzuführen, um Google auf dem Such-Werbemarkt Paroli bieten zu können, hieß es. Yahoo erhofft sich bis zu 275 Millionen Dollar Einsparungen, weil es auf die Pflege seines eigenen Suchdienstes verzichten kann, und bis zu 500 Millionen Dollar Mehreinnahmen, wenn Bing vollständig integriert ist. Bei Yahoos Suchabteilungen wird es Entlassungen geben (ein deutlicheres Wort als "Einsparungen"), ein Teil der Belegschaft soll Offerten von Bing bekommen. Was wächst, ist nur das Marktgewicht durch Verbreiterung der vermarkteten Basis.
Das alles klingt plausibel, denn bei der Werbung macht es die Masse. Zusammen kommen Yahoo und Microsoft in den USA auf rund 28 Prozent Marktanteil bei der Nutzung, Google soll bei 64 Prozent liegen. Wir wissen, dass es da erhebliche regionale Unterschiede gibt: Hierzulande verbucht Google satt über 90 Prozent, Microsoft und Yahoo sind auf diesem Markt Zwerge.
Es geht um mehr als Geld
Das allein ist aber noch nicht einmal der Punkt und erklärt auch nicht, warum Microsoft sich Yahoo als 12-Prozent-Juniorpartner andient.
Es wäre zwar begrüßenswert, wenn Google hier eine Konkurrenz entstünde, die das einst so innovative Unternehmen zu neuen suchtechnischen Höchstleistungen antriebe - und verhinderte, dass Google seine Marktposition zu einer Monopolisierung des Web-Werbemarktes ausbaute. Die Fusion zweier Weltergewichte zu einem Halbschwergewicht allein wird aber neue Nutzer kaum gewinnen können. Web-Nutzer greifen auf die Suchtechnik zurück, die ihnen am besten gefällt, die ihnen am vertrautesten ist. Sie entscheiden sich noch nicht einmal für die qualitativ beste Suchtechnik - denn darüber, ob Google diese Krone noch trägt, könnte man längst debattieren.
Und trotzdem wird man im Hause Google wohl kaum weinen und wehklagen aus Angst vor einem neuen Konkurrenten.
Denn nichts brachte so genau auf den Punkt, wie die Situation aussieht, wie ein satirisches Video der Website CollegeHumor: "Googeln mit Bing" . Die so unverschämt ironische wie wahre Botschaft des Gag-Videos: Egal, wie gut Microsofts Suchdienst Bing sein mag - das was man damit tut, nennt man "googeln". Microsoft wird eine Menge Puste und Penunze brauchen, da auch nur auf sich aufmerksam zu machen.
Aber vielleicht geht es Microsoft ja auch gar nicht nur um Nutzer-Reichweite (zumal, wenn die vom Nutzer nicht bemerkt wird, weil er glaubt, Yahoo zu nutzen) oder einen größeren Anteil am Werbekuchen (seinen Anteil überlässt Microsoft ja angeblich zu fast 90 Prozent Yahoo). Vielleicht geht es um etwas viel wertvolleres: Daten.
Im Kielwasser gen Community
Yahoo gilt seit Aufkauf der Overture-Technik als das Web-Unternehmen, das die tiefsten, weitestreichenden Analysen über das Verhalten von Nutzern erstellen kann. Sein Fokus reicht weiter als der Blick des auf wenige Anwendungen beschränkten Gegners Google. Yahoo betreibt eine Unzahl von Seiten, von Mail-Diensten und tatsächlich genutzten Messenger-Diensten über Flickr bis hin zum Social-Bookmarking-Dienst deli.cio.us. Yahoos Werbebannerrotation läuft wie seine Nutzerdatenerfassung über ein Portfolio von Web-Seiten, von deren thematischer Bandbreite Google bisher nur träumen kann.
Google mag wissen, was Otto Normal-Surfer im Web wirklich sucht. Yahoo weiß in vielen Fällen, was er dann dort macht.
Davon hat Microsoft, das bisher mit all seinen Versuchen, zum Web-Unternehmen zu werden, kläglich scheiterte, verhältnismäßig wenig Ahnung. Für die Netz-Community ist Microsoft ein Ausrüster, mit dessen Produkten man die Angebote anderer Firmen nutzt. Jetzt hat sich Microsoft ins Kielwasser einer der ältesten, größten Web-Marken gesetzt: Was es da erfahren und lernen kann, ist es Microsoft offenbar wert, die Zeche zu zahlen. Es geht um Reichweite und Umsatz, vor allem aber um Durchblick.
Wie immer war es am Ende der gemeinsamen Pressekonferenz von Yahoo und Microsoft, auf der der Deal offiziell gemacht wurde, Microsoft-Chef Steve Ballmer, der nicht nur salbungsvolle Worte, sondern Tacheles redete: "Je mehr Suchanfragen man abwickelt, desto mehr lernt man darüber, was Konsumenten anklicken", sagte Ballmer: "Größe schafft Wissen."