Neues Videoportal Bürgerjournalismus in Babyschritten
Auf den ersten Blick sieht plebsTV aus wie der Nachrichten-Weltatlas auf tagesschau.de: Man sieht eine blau-weiße Google-Weltkarte, auf der einzelne Punkte Nachrichten und Nutzer markieren. Der zweite Blick zeigt jedoch, dass die Welt von plebsTV eine ganz andere ist, als die der alten Tante Tagesschau.
Das neue Multimedia-Portal ist ein Aufruf zum Bürgerjournalismus. "Menschen werden zu Augenzeugen und Augenzeugen werden zu Reportern", lautet das Motto der Seite. Die Nutzer sollen untereinander Videos und Fotos austauschen und damit - natürlich - den Journalismus revolutionieren. Denn das Beta-Projekt soll nach eigener Aussage "die Berichterstattung demokratisieren" - und dafür will es eine Art geo-referenziertes YouTube der Nachrichten werden.
Zauberformel "viraler Effekt"
Die Technologie soll's möglich machen: Auf der interaktiven Karte geben die Nutzer ihren Standort ein, mittels Video-Sharing können sie eigene Beiträge unter Kategorien wie Politik, Panorama oder Lifestyle veröffentlichen und die Clips anderer Bürgerreporter bewerten. Die Nutzer können sich untereinander vernetzen, Links verschicken und nebenbei auch noch Taschengeld verdienen: Die Heimvideo-Regisseure werden mit einem wohl eher symbolischen Euro pro Beitrag belohnt. Kurz, plebsTV vereint alle Vorzüge von Web 2.0 die Frage ist nur, ob die Welt für plebsTV überhaupt bereit ist.
Denn die dafür nötige Community engagierter Bürgerreporter kann man nicht einfach herbeiwünschen.
So trippelt die verkündete Medienrevolution zurzeit noch mit Babyschritten voran. Lediglich 200 Nutzer haben sich seit dem Launch vor zwei Monaten angemeldet und nur eine Handvoll stellt eigene Beiträge ins Netz. Die meisten Videos stammen von der Nachrichtenagentur Reuters. Dem Bürgerjournalismus fehlen wie so oft schlicht die Bürger.
Doch die werden laut Mitgründer Marcus Riva demnächst in Scharen kommen. Bis Mitte 2008 erwartet er 40.000 bis 50.000 registrierte Nutzer, damit steht und fällt der Business-Plan. Es komme nur auf den "viralen Effekt" an, sagt er.
Diese Zauberformel ist bekannt, doch nur selten ist die Rechnung auch aufgegangen, dass ein interessantes Konzept aus eigener Kraft ein Community-Wachstum nach sich zieht. Die Gretchenfrage ist, ob man Communitys überhaupt schaffen kann - oder ob sie einfach passieren. Dann wäre Web 2.0 kein Geschäftsmodell, sondern eine Lotterie, bei der einige wenige sehr viel gewinnen, die meisten aber scheitern.
YouTube und Co.: Die Web 2.0-Giganten
Zu den Gewinnern gehören YouTube, Facebook oder MySpace. Sie begründeten den Erfolg der Social Communities, ohne diese erfunden zu haben. Warum gerade YouTube und Co. im Gegensatz zu vergleichbaren Angeboten, die teils deutlich früher am Markt waren, so groß geworden sind, weiß keiner so genau. Gemein ist all diesen Projekten, dass sie in der Öffentlichkeit vor allem auch mit charismatischen Gründerfiguren punkten konnten - oder mit kurzzeitig sehr populären Stars aus eigener Fertigung.
Als Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim YouTube gründeten, wollten sie damit eigentlich nur mit ihren Freunden Videos austauschen. Der Erfolg des Videoportals überraschte die Firmengründer genauso wie den Rest der Welt - und ist zu einem erheblichen Teil der Popularität früherer YouTube-Karaoke-Sänger geschuldet, die das Video-Netzwerk zur Spaß-Adresse Nummer 1 machten.
MySpace wurde zum Mythos, weil durch diese Plattform angeblich gleich Pop-Stars in Serie bekannt wurden. Lilly Allen und die Artic Monkeys gelten als authentische MySpace-Gewächse, seitdem gehört die Erfindung einer MySpace-Legende zum Standard-Repertoire vieler Plattenfirmen.
Braucht also auch der Bürgerjournalismus erst ein paar Stars, um populär zu werden? Nicht unbedingt: Die Erfolgsgeschichten von Facebook oder der P2P-Börse Napster zeigen, dass es auch anders geht. Beide Projekte waren ursprünglich als hausinterne Software-Lösungen für Studentenwohnheime konzipiert worden - und verbreiteten sich schlagartig und weltweit.
Der Bamberger Web-Forscher Jan Schmid erklärt, dass diese Netzwerke in der anfänglichen "Phase der Nutzerakquise" von ihren Verbindungen zu Studentennetzwerken (Facebook) und der kalifornischen Musikszene (MySpace) profitieren konnten. Sobald eine kritische Masse erreicht wurde, hätten die Nutzer das Netzwerk aus eigenem Antrieb vergrößert, indem sie ihre Freunde einluden und neue Inhalte veröffentlichten. Ist dieser Punkt erreicht, erlangt eine Community eine Vormachtstellung, denn "für den Nutzer macht es am meisten Sinn, dort hinzugehen, wo die meisten Freunde und Inhalte sind", so Schmid.
Bürgerjournalismus: Mehr als nur ein Gimmick zur medialen Zweitverwertung?
PlebsTV will den Bürgerjournalismus massenkompatibel machen. Doch es ist völlig unklar, ob es überhaupt eine Masse gibt, die darauf wartet. Und kann die Produktion von Bürger-Nachrichten zu einem ernstzunehmenden Gesellschaftsphänomen jenseits von intimen Tagebuch-Filmchen und körnigen Karaoke-Videos werden?
Derzeitig strahlen die Nutzer-Beiträge von PlebsTV vor allem den laienhaften Charme von verwackelten Bildern und schlechtem Ton aus. Auch der journalistische Wert der Themen - das weltweit größte Panflötenkonzert, die Trainingsstunde des lokalen Fußballvereins, Urlaubsfotos aus England ist bestenfalls zwischen Individual- und Lokaljournalismus angesiedelt.
Und doch verspricht das Konzept des Bügerjournalismus eine ganze Menge. Eine Plattform wie plebsTV könnte die traditionelle Berichterstattung durch den lokalen, persönlichen Blick bereichern und gleichzeitig das Publikum stärker einbeziehen. Es gibt bereits Beispiele dafür.
Der Lokalsender Center TV strahlt Beiträge von Bürgerreportern aus, die von der Prüfungsangst eines Studenten oder den Auslandserfahrungen einer in Afrika stationierten Krankenschwester handeln. Und natürlich finden sich verborgen in den Tiefen der Videoportale immer wieder auch Videos von Ereignissen, die von zufällig anwesenden Augenzeugen gedreht wurden.
Auch RTL bedient sich gerne der von Zuschauern eingesandten Videos und Fotos für seine Sendungen. So ganz ernst nimmt man die Sache dort aber trotzdem nicht. "Gerade bei Wetterphänomenen sind diese Momentaufnahmen sehr wertvoll", so RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer zu SPIEGEL ONLINE. Einstürzende Häuser, flüchtende Menschen und davonfliegende Regenschirme seien Beispiele dafür, was der Bürgerjournalist einzufangen vermöge, wenn professionelle Kamerateams (noch) nicht vor Ort seien. Das ist nicht Bürgerjournalismus, sondern Zufalls-Reportertum und somit nichts Neues - nur der Kommunikationsweg ist heute kürzer.
Kooperationen mit den Großen
Die etablierten Medien sind für Nutzer-Plattformen trotzdem enorm wichtig. Bei YouTube setzte Ende 2005 auch deshalb ein Nutzer-Boom ein, weil es unlizenziert TV-Inhalte veröffentlichte. Heute stehen die etablierten Medien bei YouTube Schlange: Google, BBC und seit neuestem sogar Talkshow-Göttin Ophrah Winfrey wollen dort alle präsent sein.
Auch das deutsche Videoportal MyVideo profitiert von seiner Vernetzung mit ProSieben und Sat.1. Laut Matthias Falkenberg, Geschäftsführer der zuständigen Marketingfirma SevenOne Interactive, sind drei Viertel der Beiträge auf MyVideo von Nutzern produziert, der Rest stammt von den Privatsendern. Bei der Nutzung kehrt sich das Verhältnis allerdings um: Videoclips von Popstars und Germany's Next Topmodel erreichen 20 bis 30 Millionen Klicks pro Staffel da kann kein Homevideo mithalten. Trotzdem glaubt Falkenberg, dass MyVideo für ProSiebenSat1 wichtig sei, denn "es schafft Aufmerksamkeit". Und aus den Trash-Videos bei MyVideo und Co. lassen sich billigste TV-Formate stricken ("Die MyVideo Show", freitags 23.45 Uhr, Sat.1, "Clipfish TV", samstags 15.50 Uhr, RTL, "Webmix", dienstags 20.15 Uhr, SuperRTL).
Auch plebsTV will "so schnell wie möglich" Geschäftsbeziehungen zu anderen Medien aufbauen. Momentan, gibt Riva zu, sei die Community noch zu klein, um das Interesse der großen Medien zu wecken. Das aber - siehe YouTube und Co. - schafft man nur, wenn man Masse vorweisen kann.
Als erstes gehen die Bürgerjournalismus-Visionäre daher zu den Menschen auf der Straße: Ab Montag finden jeden Tag bis Mitte Dezember Streetcastings in Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf und Wien statt. Potentielle Nutzer werden dort zu ihren Interessen und Web 2.0-Aktivitäten befragt, die Telegensten werden in einem Community-internen Wettbewerb zu den "plebsTV Mobilreportern" gekürt.
Bleibt nur abzuwarten, ob sie den Titel honoris causa führen - oder wirklich tätig werden.