Obamas Dementi-Seite Wirkt die Wahrheit im Web?
"Ceterum censeo Carthaginem esse delendam" ("Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden muss") - mit diesem Satz soll Cato der Ältere im Senat zu Rom seine Reden so oft beendet haben, bis die anderen Senatoren auch seiner Meinung waren. Der bald darauf einsetzende Dritte Punische Krieg besiegelte das Ende des karthagischen Reiches.
Diese Legende, deren Wahrheitsgehalt umstritten ist, illustriert die manipulative Kraft der Wiederholung als Mittel der Rhetorik und Propaganda: Wenn man etwas nur oft genug sagt, bleibt es irgendwann in den Köpfen hängen, wird es irgendwann wahr.
Die Wirksamkeit solcher Mechanismen ist unbestritten: So funktionieren rassistische Witze für den Transport ethnischer Ressentiments - und so demontiert man in hart geführten Wahlkämpfen Konkurrenten. Das bekam im US-Wahlkampf 2004 auch der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry zu spüren. Mit gezielten Diffamierungen gelang es dem republikanischen Lager, den Kriegsveteranen zum wenig standfesten, elitären Weichei und Büttel des Geldadels umzudeuten.
Kerry verlor die Wahl auch, weil dies äußerst nachhaltig und auf allen denkbaren Kanälen geschah: Zeitweilig boten die Republikaner auf ihrer offiziellen Partei-Webseite das Spiel "Kerrypoly" an, in dem der Lebensstil des tatsächlich reichen Kerry thematisiert wurde. Kerry ist mit der Witwe des Ketchup-Königs John Heinz verheiratet, das Privatvermögen der beiden liegt Schätzungen zufolge bei bis zu einer Milliarde Dollar. Das blieb kleben und drehte Kerrys Image ins Negative.
Der Witz daran: Der Milliardär John Heinz selbst war Abgeordneter der Republikaner gewesen.
Beginn der Schmutzkampagne: Obama unter Feuer
Wenige Tage, nachdem Barack Obama seinen Sieg im Vorwahlkampf der Demokraten verkündete, begannen sich auch die mitunter wenig subtilen Angriffe auf seine Person und seine Familie zu häufen und zu verschärfen. Seine Familiengeschichte wie seine Verbindungen zu einem für oft irrational entgleisende Predigten berüchtigten Geistlichen bieten dafür hinreichend Angriffsflächen. Bereits seit Monaten hatten sich politische Gegner des öftereren öffentlich vertan und Obama zum konvertierten Muslim ernannt, seinen Vornamen mit Osama verglichen.
So etwas kann man mit Dementis noch entkräften. Doch besonders perfide und wirksam sind solche Dinge vor allem dann, wenn sie einen wahren Kern besitzen: So ging das Gerücht um, Obamas zweiter Vorname sei gar nicht Hussein (was stimmt), sondern Mohammad (was nicht wahr ist). So etwas könnte Obama noch nicht einmal dementieren, ohne sich selbst zu beschädigen, denn das eine klingt da für viele Amerikaner so fremd und feindlich wie das andere.
Das Gerücht transportierte also in erster Linie eine Wahrheit - Barack Obamas zweiter Vorname ist identisch mit dem Nachnamen des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein. Und den halten noch immer viele Amerikaner für einen der Urheber der Terroranschläge vom 11. September 2001.
Das Web: Königsweg zur Verbreitung von Lügen
Hartnäckig kursieren inzwischen auch per Web und E-Mail verbreitete Gerüchte, Obama verweigere die Veröffentlichung seiner Geburtsurkunde, weil diese beweisen würde, dass er gar kein gebürtiger Amerikaner sei - und somit laut US-Verfassung gar nicht Präsident werden dürfte. Zu den originellen und eher leicht zu widerlegenden Gerüchten gehört, er habe seine Vereidigung im Senat verweigert oder dabei auf den Koran geschworen: Beides lässt sich mit TV-Aufzeichnungen widerlegen. Die Gerüchte darüber halten sich trotzdem.
Doch erst als ihn ein Zeitungsreporter in einem Gruppeninterview auf Gerüchte ansprach, es existiere ein Band, das beweise, dass seine Frau Michelle sich rassistisch über Weiße geäußert habe, platzte ihm der Kragen. Im Kreise der Medienvertreter sagte der offensichtlich verärgerte Obama: "Es gibt Schmutz und Lügen, die per E-Mail verbreitet werden, und sie pumpen sie so lang heraus, bis am Ende Sie, ein Reporter, mich danach fragen. Das erst bringt die Geschichte dann auf den Weg. Wenn irgendjemand Beweise hat, dass ich oder meine Frau irgendetwas unpassendes gesagt haben, sollen sie die zeigen."
Kurz darauf entschloss sich das Wahlkampfteam Obamas zu einem anderen Schritt: Sie zeigen nun selbst - und zwar Gegenbeweise.
Die Anti-Verleumdungs-Seite
Am Donnerstag ging mit "Fight the Smears" ("Bekämpft die Verleumdungen") eine Webseite online, in der Obamas Team fünf weit verbreitete Diffamierungen präsentiert und argumentativ entkräftet. Highlight der Seite ist ein Scan der Geburtsurkunde von Barack Obama (siehe Bildergalerie).
Doch das Obama-Lager weiß auch, dass die bloße Veröffentlichung sachlicher Argumente und Fakten ein höchst untaugliches Mittel gegen die Kraft endlos wiederholter Diffamierungen und Lügen ist. Auch das Gegenargument muss wiederholt werden.
Übernehmen sollen das die Unterstützer des designierten Präsidentschaftskandidaten. Die Seite fordert die Obama-Unterstützer auf, eintreffende Diffamierungsmails mit entsprechenden Gegen-E-Mails zu beantworten - und zwar an alle Empfänger im Adressbuch des Unterstützers. Fight the Smears hält dafür ein Formular bereits, mit dem sich die Gegenargumente und Belege direkt in Mails einbauen lassen und das über ein Import-Tool für die Adressen aus einem persönlichen Adressverzeichnis verfügt.
Bereits am ersten Tag sollen 18.000 solche E-Mail-Wellen durch das amerikanische Internet gefegt sein. Natürlich hält die Webseite auch ein Kontaktformular bereit, über das man das Wahlkampfteam auf neue Schmierenkampagnen aufmerksam machen kann.
Polit-Spam gegen Polit-Spam - Feuer mit Feuer bekämpfen?
Ob diese Transparenz-Kampagne, die auf dieselben Vertriebswege setzt wie die Diffamierer, Erfolg haben kann, bleibt abzuwarten. Der Angriff, die Aktion, wirkt immer authentischer als die Reaktion. Das begreift jedes Kind schon im Kindergartenalter: "Obama hat mein Eis gegessen" hat zunächst mehr Gewicht als das folgende "Hab ich nicht!". Anders als vor Gericht sieht sich das Opfer eines Gerüchtes in der Situation, jeweils den Gegenbeweis erbringen zu müssen.
Zudem fehlt Obama das Gegenüber, denn die Urheber der Verleumdungen bleiben meist anonym. In der Wahrnehmung der Empfänger der Gerüchte-Mails aber ist es oft ein vertrauenswürdiger Bekannter, der ihm die "Hey, hast Du das schon gesehen?"-Mail schickt. Das verleiht der Verleumdung unter Umständen mehr Gewicht als der Replik von Seiten eines Wahlkampf-Teams.
Trotzdem markiert Obamas Versuch einen neuen Schritt in der Geschichte von Web-Wahlkämpfen: Mit erheblichem Geschick macht er die Community seiner Unterstützer zu Multiplikatoren. Wie schon bei seiner Spendenkampagne stützt er sich auf die Wähler selbst - und damit könnte er punkten.
Für den Angriff gibt es anonyme Freiwillige
John McCain, der nach der offiziellen Nominierung Barack Obamas Kontrahent im Rennen um die Präsidentschaft sein wird, hat öffentlich versichert, auf Mittel wie Diffamierungen per Web zu verzichten. Im Rahmen seiner Kampagne wird man offen zur Schau gestellte "Kerrypoly"-Ableger auf den Parteiseiten nicht sehen. Was mit Sicherheit nicht die Ankündigung einer Kampagne mit Samthandschuhen ist. Schon die Schlammschlacht der Parteifreunde Obama und Clinton gab einen Vorgeschmack darauf, was noch zu erwarten sein dürfte, wenn echte Gegner aufeinandertreffen - jede Menge Dreck.
Und um den zu verbreiten, werden die Gegner selbst kaum aktiv werden müssen.
Der Hauptverbreitungsweg für die aktuell kursierenden schädigenden Gerüchte gegen Obama ist neben E-Mails das dichte Netzwerk konservativer Blogger in den USA. Die verfügen - anders als in Deutschland - wie reguläre Medien über eine große Reichweite, anders als diese aber haben sie kein Problem damit, ein Gerücht einfach als Gerücht zu verbreiten. So durchlaufen teils hanebüchene Behauptungen einen quasi reinigenden Prozess, wenn sie von einem politischen Blog zum nächsten wandern. Die anonymen Postings bekommen so eine vermeintliche Quelle, bis sie den Status der Glaubhaftigkeit erreichen - der Vorgang erinnert an die Mechanismen der Geldwäsche.
Der gemeine Surfer lacht gern
So erblödete sich ein prominenter Polit-Blogger in einem TV-Interview, die Echtheit des angeblichen "Michelle-Videos", das noch niemand gesehen hat, zu bezeugen, weil ihm "Menschen, die ich als ernsthaft kenne", davon erzählt hätten. In einem Folgeinterview ruderte er dann zurück und gestand ein, dass das Band "möglicherweise" eine Erfindung sein könne - aber er selbst "glaube das nicht".
Dazu kommt eine Eigenart des Webs, die negativen Informationen über die Kandidaten zu mehr Aufmerksamkeit verhilft: Der gemeine Surfer lacht gern, und er regt sich gern auf. So hat die schrille, abstruse, skandalöse Behauptung eine höhere Verbreitungschance als die sachliche Replik.
Einmal aufgekommene Gerüchte und Images werden dann auf den politisch angehauchten Unterhaltungs-Plattformen des Webs verfestigt. In Form von Spielen, Spott-Webseiten und Flash-Animationen wird auch in diesem US-Wahlkampf das Web einmal mehr zur Läster-Arena. Das verspricht viel Spaß unter der Gürtellinie, letztlich aber nichts Gutes. Mit sachlichen Dementis allein ist dieser Form der von Fakten weitgehend unabhängigen Information nicht beizukommen.