Öffentlich-rechtliches Fernsehen "Was ist Müll, was Qualität?"
SPIEGEL ONLINE: Herr Professor Grimm, zahlen Sie eigentlich gerne Rundfunkgebühren?
Grimm: Ja, denn ich kriege ja etwas dafür, von dem ich sowohl als Privatperson wie als Staatsbürger profitiere. Noch wichtiger ist freilich: die Gesellschaft kriegt etwas dafür, auf das sie im Interesse einer demokratisch legitimierten und kontrollierten Politik und zur Bewältigung ihrer Probleme angewiesen ist.
SPIEGEL ONLINE: Bald kriegen Sie noch mehr fürs Geld ARD und ZDF wollen in digitale Angebote wie Online-Portale oder die Handy-Nachrichten investieren. Gehört so etwas wirklich zu den Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Grimm: Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es, ein jedermann zugängliches Angebot an Informations-, Bildungs- und Unterhaltungssendungen zu machen, das allen relevanten Gegenständen und allen umlaufenden Meinungen Raum gibt.
SPIEGEL ONLINE: Und das schließt das Internet ein?
Grimm: Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten. Das, was der Rundfunk in seinen Nachrichtensendungen kurz und knapp mitteilen muss, kann er zum Beispiel im Internet ergänzen und vertiefen. Die Digitalisierung verändert aber auch die Nutzungsgewohnheiten. Für viele wird das Internet als Informationsquelle wichtiger als traditionelles Fernsehen. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der Nutzung der neuen Medien ausgeschlossen wäre und nur die privaten Rundfunkveranstalter sie nutzen dürften, wäre ihm nicht nur die Möglichkeit eines verbesserten Informationsangebots genommen. Er drohte auch seine Wettbewerbsfähigkeit mit dem kommerziellen Rundfunk zu verlieren.
SPIEGEL ONLINE: Aber dürfen sich die Öffentlich-Rechtlichen dabei jeder neuen Technologie bedienen?
Grimm: Die Wettbewerbsfähigkeit ist ihnen im dualen System verfassungsrechtlich zugesichert, auch in technischer Hinsicht. Genau so wie die Printmedien nicht darauf beschränkt sind, Texte ins Internet zu stellen, sondern beginnen, auch bewegte Bilder über die elektronischen Medien zu verbreiten...
SPIEGEL ONLINE: ... wie es etwa SPIEGEL ONLINE macht, ohne dafür Gebührengelder zu erhalten. Die Öffentlich-Rechtlichen hingegen berufen sich auf ihren Auftrag zur Grundversorgung. Gilt der auch fürs Internet?
Grimm: Grundversorgung im Sinn der Verfassungsrechtsprechung ist nicht, wie manche meinen, Minimalversorgung oder Versorgung mit denjenigen Programmen, die im kommerziellen Fernsehen zu kurz kommen, sondern Vollversorgung. Vollversorgung schließt auch die Nutzung der Technik ein, mittels derer Sendungen an ihre Empfänger gelangen. Weiten sich die technischen Möglichkeiten aus, müssen beide, öffentlich-rechtliche und private Veranstalter, sie nutzen dürfen.
SPIEGEL ONLINE: Schon jetzt gibt es eine große Informationsfülle im Internet. Braucht es da noch ein gebührenfinanziertes Angebot?
Grimm: Der große Vorzug des Internet liegt darin, dass dort nicht nur Medienprofis, sondern alle publizieren und kommunizieren können. Damit wächst aber zunächst einmal nur die Quantität des Angebots. Die Frage, was Müll ist und was Qualität, bleibt offen. Je größer und ungeprüfter die Informationsfülle, desto notwendiger die Orientierung. Dafür braucht man dann wieder professionelle Hilfe. Die können freilich nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sender leisten.
SPIEGEL ONLINE: Aber wenn es auch die privaten Anbieter können: Warum brauchen wir dann teure öffentlich-rechtliche Sender?
Konkurrenz im Netz: Gefährdung der Medienvielfalt durch ein öffentlich-rechtlich dominiertes Internet?
Grimm: Dass sie es können, heißt nicht notwendig, dass sie es auch tun. Und wenn sie es tun, heißt es noch nicht, dass sie es in der von Artikel 5 des Grundgesetzes geforderten Weise tun, vollständig, objektiv, gleichgewichtig usw. Die kommerziellen Anbieter müssen mit ihrem Angebot Geld verdienen. Daraus ergeben sich gewisse Vielfaltsrestriktionen, von denen die öffentlich-rechtlichen Anbieter frei sind. Die Kommerzialisierung von Information ist eine erhebliche Gefahr für eine demokratische Gesellschaft. Wir brauchen Inseln des Nicht-Kommerziellen, wie sie der öffentlich-rechtliche Rundfunk darstellt. Nicht alles, was eine Gesellschaft zur Selbsterhaltung benötigt, kann sie sich über den Markt beschaffen.
SPIEGEL ONLINE: Betrachtet man aber etwa das Unterhaltungsprogramm, muss man sagen: ARD und ZDF liefern nicht nur hohe Qualität, sondern vielfach auch nichts anderes als private Anbieter.
Grimm: In der Tat ist das im Unterhaltungssektor großenteils so, besonders im Vorabendprogramm, auch wenn man dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugute hält, dass er Auswüchse wie den Bloßstellungs- und Entblößungsjournalismus bisher gemieden hat. Der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk legitimiert sich jedoch über den Qualitätsstandard seiner Programme, und dies gilt auch für die Unterhaltungssparte. Dauerhafte Unterschreitung des Standards setzt die Legitimation aus Spiel.
SPIEGEL ONLINE: Bei den Zeitungen und Zeitschriften ist auch das Bundesverfassungsgericht immer davon ausgegangen, dass der Markt ein ausreichendes Informationsangebot schafft eine öffentlich-rechtliche Zeitung wurde nie für erforderlich gehalten. Warum dann ein öffentlich-rechtliches Internet?
Grimm: Es geht ja nicht um ein öffentlich-rechtliches Internet im Gegensatz zu einem privatrechtlichen, sondern nur um die Frage, ob in das einheitliche Internet auch die öffentlich-rechtlichen Veranstalter etwas einstellen dürfen, so wie die privaten Veranstalter und die Printmedien es selbstverständlich dürfen. Es müsste also einen legitimen Verbotsgrund für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben. Die aus dem Grundgesetz folgende Maßgabe für das Kommunikationssystem ist aber Offenheit und Vielfalt. Ein Zutrittsverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde das Gegenteil bewirken.
SPIEGEL ONLINE: Für diese Printmedien aber ist das Internet eine lebenswichtige Plattform, schon in absehbarer Zeit könnten die Online-Auftritte der Printmedien mehr Leser haben als die Papierausgaben. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage in ihrer Existenz bedroht werden, weil sie mit ihren Internet-Angeboten keine Chance haben gegen die Milliardenbudgets öffentlich-rechtlich finanzierter Sender und gerade dadurch die Meinungsvielfalt leidet?
Grimm: Sollten die Printmedien wirklich in ihrer Existenz gefährdet sein, wenn auch Rundfunkveranstalter das Internet als Plattform nutzen, dann würde dies nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Anstalten, sondern ebenso für die privaten Rundfunkveranstalter gelten. Ich muss aber sagen, dass ich eine derartige Gefahr derzeit nicht erkennen kann.
SPIEGEL ONLINE: Wenn sich die Gefahr aber abzeichnete, müsste der Gesetzgeber tätig werden?
Grimm: Meinungsvielfalt ist ein hohes verfassungsrechtliches Ziel. Der Staat ist verfassungsrechtlich zu ihrem Schutz verpflichtet. Es ist ihm auch nicht verwehrt, den Umfang des öffentlich-rechtlichen Angebots gesetzlich zu begrenzen, solange dadurch die Grundversorgung nicht geschmälert wird. Ebenso wenig ist der Gesetzgeber gehindert, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur solche Internetauftritte zu gestatten, die einen erkennbaren Bezug zu seinen Sendungen haben.
SPIEGEL ONLINE: Vorhersehbar ist, dass die klassische Trennung von Fernsehen, Radio und Zeitungen immer weniger gilt und dafür multimediale Angebot sich ausbreiten. Wie kann man überhaupt noch bestimmen, was Rundfunk ist und was nicht?
Grimm: Das wird allerdings immer schwerer, und zwar, weil im Zuge der Digitalisierung die Endgeräte multifunktional werden. Schon heute kann man mit dem Handy nicht nur telefonieren, sondern auch fernsehen, mit dem PC nicht nur Texte schreiben, sondern auch Zeitung lesen usw. Über kurz oder lang wird ein einziges Gerät alle Leistungen in sich vereinigen. Die traditionellen Grenzen zwischen Mitteln der Individualkommunikation und Mitteln der Massenkommunikation lösen sich damit auf, und auch die klare Unterscheidung zwischen der inhaltlichen Seite von Kommunikationsvorgängen, dem Programm, und der technischen Seite, dem Transport oder der Verbreitung, schwindet.
SPIEGEL ONLINE: Was heißt das für das Rundfunkrecht?
Grimm: Viele rechtliche Regelungen knüpfen an diese Unterscheidungen an. Das beginnt schon bei der Regelungsbefugnis. Die inhaltliche Regelung des Rundfunks ist Ländersache, die technische Bundesangelegenheit. Es geht aber in der Sache weiter. Die Programmgrundsätze gelten für den Rundfunk. Was, wenn sich nicht mehr klar abgrenzen lässt, was Rundfunk ist? Auch die Zeitung, sobald sie über den Bildschirm ins Haus kommt? Auch das an ein allgemeines Publikum gerichtete private Video? Kann man die Rundfunkgebühr noch an den Besitz eines bestimmten Geräts knüpfen, wenn sämtliche Kommunikationen über einen einzigen Bildschirm abgewickelt werden? Gleichzeitig gewinnen die Verbreitungswege eine eigenständige, inhaltsrelevante Bedeutung. Wer über den Zutritt zu Netzen und Plattformen entscheidet, besitzt eine ungeheure Macht. Darf er sich dazu auch noch selber im Programmgeschäft betätigen?
SPIEGEL ONLINE: Das sind viele neue Fragen das Recht muss sich also erheblich wandeln, um dem technischen Fortschritt gerecht zu werden?
Grimm: Der technische Fortschritt erzeugt einen gewaltigen Regelungsbedarf, der über die Frage, ob sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Internetportal zulegen darf, weit hinausgeht. Wie er gedeckt wird, ist nicht gleichgültig. Für die Möglichkeit der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung, die das Grundgesetz im Interesse von Persönlichkeitsentfaltung und Demokratie schützt, hängt viel davon ab. Dem Bundesverfassungsgericht wird die Arbeit nicht ausgehen.
Interview: Isabell Hülsen, Markus Verbeet