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Markus Böhm

Auf dem Digitalfestival OMR Ein wilder Ritt durchs Buzzword-Land

Markus Böhm
Ein Netzwelt-Newsletter von Markus Böhm
Influencer, TikTok, NFTs: Auf der OMR-Digitalkonferenz geht es um alles, was nach Geld und Zukunft klingt. Ein Experte bleibt jedoch skeptisch: Muss man sich heute schon bereit machen fürs Metaversum?

Da sind sie wieder: Zehntausende Besucherinnen und Besucher drängeln, quatschen und feiern seit Dienstagmorgen auf dem Hamburger Festival der Online Marketing Rockstars (OMR) , einem der ersten großen Events der Digitalbranche seit Beginn der Coronakrise. Maske trägt auf dem Messegelände maximal jeder Zehnte, und wer Distanz zu anderen halten will, kommt nicht weit – so voll sind manche Durchgänge. »Es wäre besser, wenn es weniger Leute wären«, sagt eine Frau auf einem der Innenhöfe – und sie denkt dabei gar nicht an Corona, sondern versucht nur, Warteschlangen vor Essensbuden zu umschlängeln.

Willkommen zurück in der anregend-anstrengenden Welt der Offlinekonferenzen.

Schlangen vor dem Messegelände: Erwartet wurden bis zu 70.000 Besucherinnen und Besuchern

Schlangen vor dem Messegelände: Erwartet wurden bis zu 70.000 Besucherinnen und Besuchern

Foto: Jonas Walzberg / dpa

Das OMR Festival ist ein Zwitter: tagsüber ein Buzzword- und Promi-Wunderland, mit Stargästen wie dem Musiker will.i.am und dem Regisseur Quentin Tarantino, abends eine Großraumdisco mit Auftritten von Künstlern wie Oli P. und Marteria. Zu fast jedem Digitalthema, das entfernt nach Zukunft und Geldverdienen klingt, findet man Vorträge. Die Talks auf den rund 30 Bühnen klingen wie aus einer Parodie auf eine solche Konferenz: »Wie Marken erfolgreich im NFT-Space sein können«, »Marketplaceification – Warum Marktplätze jede Branche dominieren werden« oder »Unleash the power of the Metaverse«. Auch der Titel einer Party lautet »Ready for Metaverse«. Davon abgesehen geht es viel um TikTok und Influencer-Marketing, doch kontrovers wird es selbst bei als kontrovers geltenden Themen wie NFTs und dem sogenannten Web3 selten.

Immerhin ein Aufregerthema findet seinen Platz: Gleich in einem der ersten Vorträge betont die Beraterin Ann-Katrin Schmitz, dass das Thema »Shitstorm-Management« für Firmen immer wichtiger werde. Den aktuellen Kontext dazu kennt hier jeder: Fynn Kliemann. Der DIY-YouTuber zählte zu den Vorzeigekreativen des diesjährigen Festivals – bis Jan Böhmermann und sein Team ihm Maskenbetrug vorwarfen. Auftreten sollen hätte Kliemann, kein Scherz, unter der Überschrift »Warum Taten für Marken heute wichtiger sind als Worte« .

»Museum of Popcorn«-Gründerin Ann-Christin Wolf (rechts) mit einem Model: Knallbunte Kulissen für Influencer

»Museum of Popcorn«-Gründerin Ann-Christin Wolf (rechts) mit einem Model: Knallbunte Kulissen für Influencer

Foto: DER SPIEGEL

Unter den Firmen, die sich im Ausstellerbereich des Festivals präsentieren, finden sich auch Unternehmen mit kuriosen Geschäftsmodellen. Da ist etwa Tony, eine »Petfluencer Agency« aus Düsseldorf, die aus den sozialen Medien bekannte Hunde und Katzen als Werbepartner vermittelt. Oder ein OMR-Außenposten des »Museum of Popcorn«, einer knallbunten Kulissenwelt für Instagram-Aufnahmen in der Hamburger Speicherstadt. Für 25 Euro darf man sich dort zwei Stunden lang fotografieren und filmen.

Meine Kollegin Janne Knödler (r.) und ich: In der virtuellen Realität gemeinsam an einem Meetingtisch

Meine Kollegin Janne Knödler (r.) und ich: In der virtuellen Realität gemeinsam an einem Meetingtisch

Foto: DER SPIEGEL

Beim Begriff Kulisse fällt mir Metas Arbeitsplatz-Simulation »Horizon Workrooms«  ein, die meine Kollegin Janne Knödler und ich auf dem Event ausprobiert haben. Per Headset wurden wir an einen virtuellen Strand verfrachtet, für ein Meeting in VR. Das jedoch war, bis auf die Kulisse, nicht aufregender als normale Konferenzen. Wir konnten zwar Controller wie Stifte halten und zusammen auf ein Whiteboard kritzeln oder uns virtuell Highfives geben. Zur Inspiration eine Runde im Meer schwimmen oder umherfliegen konnten wir aber nicht. Wäre nicht erst das die Zukunft des Brainstormings? Grenzenloses Metaverse, wo bist du?

Was machen die da? Das Zusammentreffen unserer Avatare ließ sich von außen per Bildschirm beobachten

Was machen die da? Das Zusammentreffen unserer Avatare ließ sich von außen per Bildschirm beobachten

Foto: DER SPIEGEL

Ein guter Gegenpol zu all dem Digitalwelt-Hype auf den Bühnen war für mich ein Interview mit Benedict Evans, einem langjährigen und scharf analysierenden Beobachter der Technologiebranche . Es sei schwer, überhaupt über das Thema Metaverse zu sprechen, findet er, weil der Begriff so breit und vage sei.

Als wir ihm von unserem VR-Meeting am Strand erzählen, sagt Evans, er denke, dass es bei den wirklich interessanten Dingen im Bereich der Software für den Arbeitsplatz gar nicht um mehr Immersion gehe oder darum, einen größeren Bildschirm zu haben. »Es geht um Automatisierung und den Arbeitsablauf und darum, dass der Computer Dinge für einen erledigt.« Ihm komme bei dem Thema eine Anzeige aus den frühen Achtzigerjahren in den Kopf, sagt Evans, mit der ein Monitor beworben wurde, der mehr Zeichen darstellen konnte als andere, nach dem Motto: Bei uns haben sie fünf Zeilen mehr Tabellenkalkulation. So etwas sei »nicht die Zukunft«, sagt Evans. »Die Zukunft ist, keine Tabellenkalkulationen zu haben.«

Gezückte Handy beim OMR-Festival: Erinnerungsfotos vom ersten großen Tech-Event seit Langem

Gezückte Handy beim OMR-Festival: Erinnerungsfotos vom ersten großen Tech-Event seit Langem

Foto: Jonas Walzberg / dpa

Auf einer der Hauptbühnen beginnt während des Gesprächs der Vortrag »Jede Brand braucht eine Metaverse-Strategie«. Als ich dessen Titel erwähne, sagt Evans: »Was zum Teufel soll das bedeuten?« Jetzt über Metaverse-Strategien für jede Marke zu sprechen, sei so, als hätte man sich schon im Jahr 2000 Gedanken über das mobile Internet gemacht – ohne es als Massenphänomen zu kennen. »Niemand hat Tinder oder Uber vorhergesagt«, sagt Evans. Wie damals sei auch heute noch unklar, welches Gerät sich mit Blick auf das Metaverse einmal durchsetzen wird, so Evans. VR-Headsets? Mixed-Reality-Headsets? Normale Brillen mit verbauter Technik? Oder braucht es doch Neuroimplantate?

Man sollte sich als Firma für das Thema Metaverse interessieren, das ja, rät Evans, »mal ein Experiment machen. Wissen, was vor sich geht.« Aber sonst sei da noch nichts. »Es gibt heute keine Verbraucher, die ›das Metaverse‹ nutzen. Man kann nichts kaufen. Man kann nichts tun. Es existiert nicht.«

Ähnlich sieht man das sogar bei Meta. Im Anschluss an unseren Strandausflug war es dem Unternehmen wichtig zu betonen, dass die jetzt verfügbaren VR-Apps wie »Horizon Workrooms« noch nicht »das Metaverse« seien, das Mark Zuckerberg in Aussicht stellt. »Man muss sich bewusst sein, dass wir im Moment nur zeigen, was das Metaverse sein kann«, sagte mir ein Sprecher. »Aber das Metaverse selbst ist etwas, das sich erst über die nächsten 5 bis 15 Jahre herausbilden wird.« Selbst Meta als Riesenkonzern benötige bei der Hard- und auch der Software noch Zeit, hieß es, um seine Vision vom Metaverse Wirklichkeit werden zu lassen.

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Haben Sie eine gute Restwoche,

Markus Böhm

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