Online-Journalismus-Trends Blog bleibt Blog
16 Jahre war Miles O'Brien eines der bekannteren Gesichter von CNN: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere dort war er Leiter der Technik- und Umweltberichterstattung, berichtete aber auch Krisen - wie zuletzt die Terroranschläge von Mumbai. Seit April 2009 ist er das publizistische Paradepferd bei True/Slant , einem Medien-Start-up, das Journalisten als Marken versteht - und sich folglich nicht selbst vermarktet, sondern seine "Nasen".

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Die Idee klingt bestechend, sie ist hochgradig Internet-affin: Im Web goutieren Leser einen subjektiv gefärbten Journalismus, bei dem der Schreiber mit seinem Namen einsteht für die verbreiteten Inhalte. Das wirkt auch längst auf die Printmedien zurück, wo Reporter, aber auch namentlich zeichnende Redakteure seit Mitte der Neunziger erheblich an Gewicht gewonnen haben. Kannte man in der Zeitung früher nur Namen und Konterfei des Chefredakteurs, der allmorgendlich auf Seite zwei alles kommentierte, als hätte er Ahnung von der Materie, pflegen nun auch Printmedien ihre Experten, die mit Foto und Name für bestimmte Themen stehen.
Und nichts ist durch das Online-Publishing, vor allem aber durch den Blog-Boom so ins Kraut geschossen wie die Zahl der Kolumnen. Doch eigentlich, verkünden Vordenker des Online-Journalismus seit Jahren, müsste sich der gute Schreiber von der Marke eines Mediums emanzipieren und selbst zur Marke werden - "the messenger is the medium" statt "the medium is the message".
Entsprechend offensiv bewirbt True/Slant-Gründer Lewis Dvorkin seine Web-Plattform, denn letztlich ist das Angebot nicht mehr als das: Ein gemeinsames Dach für derzeit rund hundert fleißig vor sich hin bloggende Journalisten. Eine geballte Ladung freies Kommentieren, Reportieren, Philosophieren und auch Schwadronieren schwappt da über die Web-Seite.
Mediale Evolution oder Niedergang eines Berufes?
Alle Autoren sind gleich und angehalten, den Vollkontakt mit dem Leser zu pflegen. Denn Popularität ist bei True/Slant eine Währung im Sinne des Wortes: Wer Erfolg hat, kann mehr verdienen.
Sein gesamtes Einkommen, sagt Miles O'Brien, wolle er dort gar nicht generieren. Das würde auch schwer fallen, denn im Vergleich zu den populären Blogs der US-Szene ist True/Slant bisher noch nicht einmal ein Zwerg, sondern eine Mikrobe. Aber True/Slant steht ja auch erst am Anfang - mit einem Business-Modell, das den Autoren Honorare oder Gewinnbeteiligungen verspricht. Der Werbewirtschaft offeriert Lewis Dvorkin klassische Banner-Anzeigen, aber auch Markenseiten, die gleichberechtigt zu den Autorenseiten plaziert werden sollen.
O'Brien, angeblich derzeit populärster Schreiber bei True/Slant, fand in den vergangenen fünf Tagen knapp 6600 Leser. Ihm auf den Fersen sind prominente Schreiber wie Matthew Taibbi ("Rolling Stone") oder Jeff Koyen (ehemals "Forbes"), unterfüttert wird das alles von gestandenen Autoren und Autorinnen wie Patti Hartigan (ehemals "Boston Globe", 51 Leser in den vergangenen fünf Tagen). Was bewegt Journalisten, die so lange im Geschäft sind, zu "Unternehmer-Journalisten" zu werden, die ein Gehalt per Seitenaufruf anstreben?
Folgt man Gründer Dvorkin, dann ist True/Slant nicht weniger als eine Evolutionsstufe im Journalismus - eine neue Form, die sterbende Medien beerben könnte. Noch ist die Teilnahme an solchen Projekten Publicity-trächtig, wie zahlreiche Beispiele von der Huffington Post bis zu Boing-Boing (wo sich O'Brien mit einer Videokolumne etwas dazu verdient) belegen. In Wahrheit ist es für viele ein Notnagel: Es ist die Krise, die hier Journalisten zu Bloggern macht, sie von Berichterstattern zu reinen Kommentatoren werden lässt.
Denn das haben selbst die meisten der Starschreiber von True/Slant gemein: Sie haben keine festen Jobs mehr. O'Brien wurde Anfang Dezember 2008 entlassen, als CNN seine gesamte Technik- und Umweltredaktion schloss. Koyen wurde arbeitslos, als "Forbes" seine gesamte Abteilung eindampfte, Hartigan wurde Opfer der finanziellen Schieflage des "Globe", der bis Mai 2009 von Schließung bedroht war und am Tropf der ebenfalls schlingernden "New York Times" hängt. Das Fortbestehen der Zeitung kostete die Angestellten Gehaltseinbußen und Einschränkungen der Sozialleistungen.
Das alles klingt dann schon viel weniger idealistisch, korreliert aber ebenfalls mit den Visionen zahlreicher Web-Journalismus-Vordenker: In einer Medienwelt, in der das Refinanzierungsmodell des größten Branchenzweiges kollabiert, werden professionelle Schreiber nach neuen Wegen suchen müssen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.