Online-Musik Käse-Häppchen schrecken Käufer ab

Eine aktuelle US-Studie will herausgefunden haben, warum die CD-Verkäufe von Superstars wirklich rückläufig sind: Durch P2P-Börsen und "Hineinhören" erführen Konsumenten vorher, wie viel Käse auf den Scheiben zu finden ist. Dagegen verkaufen Newcomer deutlich mehr.
Von Jochen A. Siegle

Seit Monaten klagt die Musikindustrie über desaströse Umsatzeinbußen auf Grund von Internet-Raubkopien. In einer Studie zu Musikabsätzen und Technologie wollen Wissenschaftler der University of Connecticut und der State University of New York nun herausgefunden haben, dass die Hauptursache für rückläufige CD-Verkäufe weniger im Datenklau an sich liegt, als daran, dass Konsumenten im Internet-Zeitalter wesentlich kritischer CDs kaufen.

"Wenn Superstars wie Madonna neue CDs veröffentlichten, kauften die Leute vor einigen Jahren diese Alben sofort", erklärt Sudip Bhattacharjee, Assistent Professor an der University of Connecticut und einer der Urheber der Untersuchung. "Mittlerweile hören sich die Leute erst mal mehrere Songs im Netz an, bevor sie die Compact Disc tatsächlich kaufen." "Sampling" nennen Bhattacharjee und seine zwei Ko-Autoren diese Methode - und nicht Datenklau.

Die Musikindustrie wird das genauso ungern hören wie Britney Spears und Konsorten. Die Unterhaltungsmacher bekommen nun offenbar die Quittung für jahrzehntelange Marketingtricks: Zur Enttäuschung vieler Fans bläst die Musikbranche regelmäßig CD-Alben mit zweitklassigen Füllstücken auf - und verschafft so auch manchem "One Hit Wonder" respektable Albumverkäufe. "Diese Zeiten sind nun aber wohl vorbei", sagt Bhattacharjee. "Und damit nimmt die Dominanz der Superstars immer mehr ab."

"Sampling" pusht Newcomer

Und davon profitieren natürlich die Nachwuchskünstler. Mit Hilfe des Internet stieg der Untersuchung zufolge die Bedeutung von Newcomern in den vergangenen Jahren stetig. Auswertungen von Billboard-Charts der letzten zehn Jahre haben ergeben, dass sich die Anzahl der Künstler mit Hitparadenplatzierungen um mehr als 30 Prozent erhöht hat.

"Dominierten Anfang der neunziger Jahre noch 400 Musiker die Charts eines Jahres, zählten wir für das Jahr 2000 bereits 600 Künstler mit Billboard-Platzierungen", erklärt Bhattacharjee. Verantwortlich hiefür macht sein Team wiederum das Web, über das sich Musikliebhaber zunehmend nicht nur informieren, sondern eben auch digitale "Kostproben" herunterladen.

Vor allem in den Jahren von 1998 bis 2000 nahm dem Forscherteam zufolge der Anteil neuer Künstler kräftig zu. In diesem Zeitraum, in dem die ersten Peer-to-peer-Tauschbörsen auftauchten, erhöhte sich die Zahl von Chart-Neulingen um zehn Prozent. Alleine im Jahr 1999 sei jeder vierte Chartbreaker ein Nachwuchskünstler gewesen, der erstmalig in den Hitparaden auftauchte.

"Da das Online-Sampling mit Highspeed-Anschlüssen immer bequemer und billiger wird, nutzen immer mehr Web-Nutzer diese Methode", sagt Bhattacharjee. "Die Plattenfirmen sollten daher selbst mit vernünftigen Sampling-Angeboten ins Internet einsteigen, anstatt Filesharing-Dienste juristisch zu attackieren."

Die Connecticuter/New Yorker Studie ist nicht die erste überraschende Untersuchung zu Online-Effekten auf den CD-Absatz. Schon vor zwei Jahren hatte die Digital Media Association (DMA) eine Untersuchung präsentiert, der zufolge Web-Musikdienste entgegen sonstiger Erhebungen der Musikfirmen sogar positive Auswirkungen auf die CD-Umsätze haben sollen.

Der Interessenverband von Web-Musik- und -Video-Unternehmen hatte im März 2000 fast 17.000 Internetnutzer befragen lassen, die pro Woche mehr als zehn Stunden Musik hören. Zwei Drittel der Interviewten hatten angegeben, bereits Online-Musik gestreamt beziehungsweise heruntergeladen zu haben. Rund ein Drittel dieser Gruppe wiederum kauft auf Grund der Web-Musikangebote mehr CDs. Rund 60 Prozent erklärten, dass sich ihre Musik-Kaufgewohnheiten durch das Web nicht verändert hätten.

Bleibt Fräulein Spears & Co. also nur zu raten, künftig bessere Alben aufzunehmen.

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