Fotomanipulation Wie ein kanadischer Sikh im Netz zum Paris-Attentäter wurde

Mobbingopfer Jubbal: Badeschaum, Shampoo, Bombengürtel
Foto: TwitterAm Ende eines endlosen Tages versuchte sich Veerender Jubbal in einer lakonischen Zusammenfassung. "Fangen wir mit den Basics an", twitterte er. "War noch nie in Paris. Bin ein Sikh mit einem Turban. Lebe in Kanada."
Jubbals Ruhe ist bemerkenswert, wenn man berücksichtigt, dass sich der Computerspiele-Journalist im Zentrum eines Online-Sturms kafkaesken Ausmaßes befindet. Er wurde Opfer einer perfiden Kampagne von Netzhetzern: Sein Foto wurde per Photoshop manipuliert, sodass es Jubbal, sanft lächelnd vorm Badezimmerspiegel zwischen Duftstäbchen und Zahnpasta, mit Bombengürtel und Koran in den Händen zeigt. Erst Selfie, dann Stade de France, suggeriert das Foto. Seit Samstag steht Jubbals Foto im Netz in einer Reihe mit den Fahndungsfotos der Attentäter von Paris.

Via Twitter verbreitete sich das Foto im Laufe des Samstags in aller Welt, Medien nahmen das Bild ungeprüft in ihre Berichterstattung auf. Eine Facebook-Seite, die der Terrororganisation IS nahe stehen soll, teilte das Foto mit den Worten "Es wird berichtet, dies sei einer der Brüder, die die gesegneten #ParisAttacks ausgeführt haben." Ein Screenshot dieses Postings wurde wiederum vom italienischen Sender "Sky TG24" verbreitet - allein auf Twitter hat der Sender knapp 1,95 Millionen Follower. Die spanische Zeitung "La Razón" hob Jubbals Gesicht sogar auf die Titelseite.
Jubbals Geschichte ist ein frustrierendes Beispiel der hässlichsten Seite des Internets: vorverurteilend, rücksichtslos, reflexhaft. In einer Nachrichtenlage wie dieser, in einem Wettlauf um die schnellste News, den meistgeteilten Tweet, traf Gedankenlosigkeit auf redaktionelle Fahrlässigkeit.
Dabei wäre die Fälschung mit klarem Kopf erkennbar gewesen - wenn Jubbal wirklich einen Koran in den Händen halten würde, müsste es sich um eine Version mit eingebauter Kamera handeln, anders wäre das Foto im Badezimmerspiegel nicht möglich. Jubbal trägt einen Turban, wie er unter Sikhs üblich ist und nicht bei Muslimen. Die Steckdosen in Jubbals Badezimmer sind in Nordamerika geläufig, nicht in Frankreich. Über dem Badewannenrand schwebt zwischen Shampoo und Badeschaum ein dilettantisch einmontierter Dildo.
Es gab auch durchaus kritische Stimmen, die sofort an eine Fälschung des Fotos glaubten. Doch sie gingen zunächst unter in der Masse der Tweets, die Jubbal als Terroristen darstellten.
Es bleibt unklar, wer das Bild bearbeitete und warum. Jubbal selbst hat eine Vermutung. Im vergangenen Jahr war er vehementer Kritiker des "Gamergate", einem Streit innerhalb der Gamer-Szene, in dessen Verlauf immer wieder Spieleentwicklerinnen und Journalistinnen verbal attackiert wurden. Jubbal, der sich auf die Seite seiner Kolleginnen stellte, wurde daraufhin mit zum Teil grausamen Fotos der Attentate vom 11. September 2001 zugespammt.

Jubbal erwägt laut eigenen Angaben juristisch gegen die Medien, die sein Bild zeigten, vorzugehen. Auf Twitter kursiert das Foto noch immer.