Portrait Einmal Tongaer sein
Wer Eric Gullichsen eine E-Mail schickt, erblaßt vor Neid, wenn die Antwort kommt - von fernen Küsten, mit Palmenstränden und immerblauem Himmel: "Ich bin gerade in Tonga und dann mit dem Kronprinz in Tahiti unterwegs." Oder: "Ich bin gerade auf Hawaii. Wenn nichts dazwischenkommt, können wir uns nächste Woche auf meinem Boot treffen". Es folgt eine elektronische Landkarte mit genauen Anweisungen, um den ungewöhnlichen Treffpunkt nur ja nicht zu verfehlen. Die Sorge ist berechtigt. Das besagte Boot ist ziemlich aus den Fugen geraten. Schwer vorstellbar, daß hier die Idee für eine Firma entstand,die demnächst die erste Million Dollar umsetzt.
Willkommen auf der SS Vallejo, dem ältesten Hausboot in Sausalito in der Bucht von San Francisco. Auf dem Deck wachsen Tomaten und Kakteen, alte Sofas laden zum Blick aufs Wasser, auf dem Wohnzimmertisch ein Haufen Mitbringsel: Gewürze, Angelhaken und verzierte Eßstäbe. Für die sechs Mitbewohner ist damit klar: Eric, langes wehendes Lockenhaar, Shorts und Batikhemd, ist mal wieder im Land. Seit er den Kronprinz von Tonga traf, ist dies nicht mehr oft der Fall.
Die beiden Männer sind Besitzer einer ungewöhnlichen Firma, mit Sitz im pazifischen Inselreich: Bei Tonic kann man Netzadressen mit dem Kürzel "to" für Tonga registrieren lassen. Die Firma macht sich dabei zunutze, daß jede Nation, auch die kleinste, das Recht hat, eigene Domainnamen zu vergeben. Mit Hilfe von Domainnamen werden Daten im Internet zu ihren jeweiligen Zielen gelenkt. Ist die begehrte "com"-Adresse weg, gibt es bei "Tonic" eine neue Chance.
Wie aber kommt ein Silicon-Valley-Fanatiker wie der 37jährige Gullichsen mit dem fernen Königreich Tonga in Verbindung? Aus Neugier. "Nichts, rein gar nichts" konnte er nämlich vor einigen Jahren in Reiseführern über die in der Nähe der Fidschis gelegene Inselgruppe entdecken. Also fuhr er hin und fand, wonach er suchte: Ein Land "sauber, mit weißem Sand und freundlichen Menschen".
Über Bekannte hört er, daß His Royal Highness, kurz HRH, Kronprinz Tupouto'a, ein "Computerfan" ist. So kommt es, daß die beiden sich kennenlernen und schnell Freunde werden. "Der Kronprinz sagte, komm in meine Küche", berichtet Gullichsen von der ersten Begegnung mit dem Herrscher in spe über gerade mal 100.000 Inselbewohner. Tupouto'a sei einer der intelligentesten Menschen, die ihm je begegnet seien.
Der Absolvent der Elite-Universität Oxford spricht sechs Sprachen und "kennt sich mit fast allem aus, von internationalem Recht bis zum Satelliten-Business". Der 50jährige kleide sich gut und sei unverheiratet. Kein Wunder, daß manche Frauenzeitschrift ihn zu den fünf weltweit begehrtesten Junggesellen zählt.
So beginnt eine nicht alltägliche, aber inzwischen lukrative Kooperation. Zunächst baute Gullichsen einen Einwählknoten in der Hauptstadt Nuku'alofa, schließlich wollte er auch von unterwegs E-Mails abrufen können. Bald stieg er zum Technologieberater der Regierung auf und richtete im Januar 1997 über Satellit einen Internet Service Provider ein. Der wird inzwischen von 650 Inselbewohnern genutzt, die hier für stattliche neun US-Dollar die Stunde im Netz surfen können. Denn, erzählt Gullichsen euphorisch, immerhin gibt es mehr als 2000 Computer auf Tonga.
Ins Spiel kommt noch ein zweiter Eric, mit Nachnamen Lyons, ein alter Freund Gullichsens aus gemeinsamen Tagen bei der Softwarefirma Autodesk. Zu zweit hängen sie manchmal herum und denken über "gute Ideen" nach. Es ist Anfang 1997, begehrte Internetanschriften mit der Endung "com" für commerce sind schon lange weg. Die US-Firma Network Solutions vergibt die "com"-Adressen, bis heute gibt es, so ein Sprecher, mehr als zwei Millionen im Netz. Und so fragen sich die beiden Erics: Könnten wir nicht Domännamen für Tonga verkaufen? Sie stellen drei Server im Silicon Valley auf, programmieren ein bißchen herum und bauen eine Webseite. Schon ist die Firma "Tonic" fertig. Der Kronprinz ist natürlich mit von der Partie.
Mehr als 9000 Namen mit der Endung "to" wurden bisher verkauft, Tendenz steigend. Die Gebühren für zwei Jahre: 100 Dollar. "Alles ist völlig automatisiert Wir müssen nur die Kreditkartenbeträge herunterladen und schon ist das Geld auf der Bank", freut sich Gullichsen. Die Idee hat Nachahmer gefunden: So kann man bei Namen mit "tm" für Turkmenistan registrieren lassen oder "nu"'s der Südpazifikinsel Niue.
Die Firma "Tonic" ist nicht das erste Projekt, mit dem Gullichsen Erfolg hat. In diesem Jahr wurde die von ihm mitgegründete Softwarefirma Sense8 verkauft, für 8,5 Millionen Dollar. Seine Leidenschaft für die digitale Welt beginnt lange vorher. Er wächst als Einzelkind in Kanada auf, der Vater repariert Heizungen, die Mutter ist Musikerin. Seit er 14 Jahre alt ist, verbringt er lange Nächte am Computer, bald studiert er Informatik und Kryptographie. Seine Doktorarbeit über Künstliche Intelligenz bricht er allerdings kurz vor Abschluß ab, als sein Doktorvater "mit meiner Freundin durchbrennt". 1986 trifft er bei einer Hackerkonferenz New-Age-Guru Timothy Leary und zieht nach San Francisco.
Richtig nötig hat Gullichsen die Domain-Dollar kaum. Er erwirbt gerade für 650.000 Dollar sein altes Zuhause, die SS Vallejo, die demnächst renoviert werden soll. Auch der Kronprinz von Tonga, wo junge Männer zur Volljährigkeit drei Hektar Land geschenkt bekommen, ist nicht gerade unvermögend: HRH besitzt, so Gullichsen, eine Bank, eine Brauerei und ein Fischfang-Unternehmen.
Deshalb tun die Männer auch Gutes: Ein nicht näher bezifferter Teil der "Tonic"-Einnahmen geht an Waisenhäuser des Inselreiches. Außerdem richtet Gullichsen in der Hauptstadt eine Fernuniversität ein, die Royal School of Science. Dazu schaffte er eigens aus dem Silicon Valley alte Schreibtische heran und vernetzte Pentium-Computer. Jetzt können drei Dutzend Inselstudenten über das Internet an Kursen der Universitäten Berkeley oder Stanford teilnehmen.
Unter den Palmen Tongas arbeitet der findige Unternehmer auch an einem persönlichen Projekt. Um das vorzuführen, muß er auf dem Schiff ganz nach hinten, in ein bedenklich schräges Büro. Gerade, daß die Computer nicht vom Schreibtisch rutschen. Auf einem Bildschirm zeigt er sein Traumhaus, das gerade gebaut wird: Ein geodätisches Gebilde, mit Stoff bespannt, auf einer kleinen kreisrunden Insel. Das eckig-runde Gebäude ist zur Zeit nur per Boot erreichbar. Für Gullichsen entsteht allerdings ein Hubschrauberlandeplatz damit er künftig direkt von der Palasteinfahrt zu seinem Hausstrand fliegen kann.
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