Propaganda-Seiten "Deutschland stinkt"

Man stelle sich das vor: Die Vereinigten Staaten wollen den Krieg, und Deutschland und Frankreich gehen einfach nicht hin. Undankbar finden das viele Amerikaner, und so mehren sich die Rufe nach einem Boykott von Importwaren - verbreitet über Hetzseiten wie "germanystinks.com".

"Welcome to Germanystinks.com!", steht beim Aufruf der Webseite im Browserkopf, "USA uber (sic!) alles!".

Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt: Germanystinks  ist kein Web-Angebot, das werbend auf die Schönheiten der Lüneburger Heide verweist, auf die Qualität deutscher Esswaren, die Existenz von Umlauten oder den angeblichen technischen Vorsprung teutonischer Autos. Das aber wiederum heißt nicht, dass man nicht ganz verblüffend viel lernen könnte über all die Angebote, die deutsche Handels- und Dienstleistungsfirmen in den Vereinigten Staaten machen. Denn natürlich muss man die erfassen und öffentlich machen, wenn man zu ihrem Boykott aufrufen will.

Genau das scheint das vornehmliche Ziel des seltsamen Webangebotes zu sein: Die undankbare "Achse der Wiesel" abzustrafen. Und die verläuft bekanntlich von Berlin nach Paris, weswegen auch unserem uns freundschaftlich verbundenen Nachbarland eine Webseite gewidmet ist, die über ihren Namen darauf verweist, dass es in Frankreich angeblich weniger gut rieche als im Mutterland der Toleranz und Meinungsfreiheit.

Die will Amerika gerade mit Panzern in den Irak transportieren, womit undankbare Regierungen wie die von Frankreich und vor allem Deutschland nicht so ganz einverstanden sind. Genau das meint "Yankee Doodle", der Betreiber der Seite, wenn er von "Gestank" redet: "Es ist der Mief von Kollaboration und Feigheit, den Berlin und Bonn verströmen, während ein ehemals sozialistischer, krimineller Außenminister und ein 'Ich-muss-um-jeden-Preis-gewinnen', Anti-Amerikanismus-schürender Premierminister das Volk, das wir aus der Asche des Faschismus wieder aufbauten, unserer Freundschaft und Verzeihung weiter und weiter entziehen".

Das ist zwar etwas unleserlich, aber ansonsten schon recht klar: Hier redet einer mit festen Überzeugungen, die sich auf einige wenige, gut wiederholte Fakten stützen.

Semi-satirisch wird da auf deutschen Essgewohnheiten wie "matschige Bretzeln" und "überkochtes Sauerkraut" herumgehackt (sowas bekommt man angeblich auf den bayrischen Oktoberfesten im amerikanischen Mittelwesten serviert), an alle denkbaren Ressentiments erinnert, Vorurteile aufgefrischt und auch auf die Seite mit den deutschen Witzen wird nicht verzichtet. Die brauchen wir Deutschen allerdings nicht lesen, weil wir sie sowieso nicht verstehen würden: Deutsche haben, wie dem Seitenbetreiber Hunderte von E-Mails beweisen, bekanntlich keinen Humor. Sonst würden sie ja auch begriffen, dass es keine Ignoranz seinerseits, sondern eben ein Witz ist, dass der einzig eingesetzte Artikel immer "das" lautet: "Das News", "Das Photos", "Das Jokes".

Das ist politische Protestkultur: Demo per Klo

Herzstück der Hetzseite ist ein Boykottaufruf gegen Produkte "Made in Germany": Weine, Autos, Versicherungen etc. Germanystinks, respektive Francestinks  organisierten darum die "Great American 'Tea' Party 2003".

Am 4. März, berichtet Germanystinks, sollen angeblich rund 34 Prozent der amerikanischen Haushalte im Protest gegen die feige, undankbare Haltung von Deutschland und Frankreich gegen Mitternacht ihre Klospülung betätigt haben. Mit in den Orkus gingen dabei - dem Aufruf zufolge - deutsche respektive französische Konsumgüter. Die exorbitant hohe Zahl der Haushalte, die an dem Event (der von den US-Medien aus ungeklärten Gründen nicht bemerkt wurde) teilnahmen - der Prozentsatz entspricht etwa dem der vehementen Kriegsbefürworter in den USA - wurde angeblich durch die Beobachtung von Druckschwankungen durch die Wasserversorger gemessen.

Zu denen gehört auch das RWE, das gerade erst für 4,6 Milliarden Dollar American Water Works Co. erstand. Gegen diesen Deal, berichtete Anfang der Woche die "Businessweek", gab es kaum Widerstand, bis in der Endphase der Verhandlungen plötzlich Umweltschutz- und Verbraucherverbände überraschenden Zulauf erlebten.

Boykottaufrufe gibt es auch von Politiker-Seite. Erste deutsche Firmen spüren Konsequenzen. Doch so sehr sich die Hardliner auch bemühen, zumindest im Web ist die Gegenseite stärker. Weiter...

Der Gegenwind, mutmaßt das Wirtschaftsblatt, könnte durch gezielt platzierte Statements zahlreicher US-Politiker der zweiten Reihe befruchtet worden sein. Deren Botschaft ist immer dieselbe: Boykottiert Frankreich und Deutschland und alle mit ihnen verbundenen Firmen.

Das, analysiert die "Businessweek" treffend, sei zwar kompletter "Balderdash" - völliger Blödsinn also -, in seinen Effekten inzwischen aber spürbar: Nicht nur RWE habe in den letzten Wochen einiges an Gegenwind erlebt, sondern etwa auch der Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann, dessen Auftragsvolumen durch das US-Verteidigungsministerium ganz unvermittelt geschrumpft sei.

Doch all das gefährde weniger das Exportvolumen der europäischen "Wiesel-Staaten ", als vielmehr die US-Ökonomie: 4,9 Millionen Arbeitsplätze, rechnet die "Businessweek" vor, hängen direkt vom Engagement französischer und deutscher Firmen ab. Von nationalen Konzernen und Produkten zu reden, sei sowieso Blödsinn: Die Vernetzung amerikanischer mit deutschen und französischen Konzernen sei so hoch, dass man für einen vollständigen Boykott 25 Prozent der US-Ökonomie lahm legen müsste.

Rechte Perspektive

Aber Seiten wie Germanystinks geht es ja auch nicht wirklich um Argumente, sondern ums Prinzip. Der anonyme Betreiber, der vorgibt, ein Privatmann zu sein, steht auch hinter "Big Boots ". Die penetrant patriotisch gefärbte Seite operiert wie die "Stink"-Seiten argumentativ ganz hart am rechten Rand des politischen Spektrums in den USA. Höhepunkt der Seite ist die Übersicht "Bad Guys", die Steckbriefe diverser "Vaterlandsverräter" und angeblicher Nestbeschmutzer bietet. Derzeit unter anderem "Wanted": Susan Sarandon, George Clooney, Barbara Streisand, Julia Roberts und natürlich Sean Penn.

Die als "liberal" geltenden Hollywood-Größen sind Vollblut-Patrioten ein Dorn im Auge. Rund 60.000 Internet-Nutzer unterzeichneten bisher die Online-Petition "Citizens against Celebrity Pundits ", die den renitenten Schauspielern am liebsten das Maul stopfen würde. Die in trocken-sachlichem Design daherkommende Seite pflegt eine direkte Sprache: Die Online-Demonstration gegen einen drohenden Irak-Krieg vom letzten Mittwoch wird da zur "virtuellen Attacke auf Amerika", jeder Prominente, der es wagt, Kritik zu äußern, wird zum "Leftist" stilisiert.

So intolerant das alles wirkt - man sollte germanystinks.com und Co. nicht überzubewerten: Ja, da gibt es noch die Kampagne "Boykottiert das feige Frankreich " und die Website "Axis of Weasels " - doch das war es auch schon fast. Die Betreiber der Seiten verbleiben im Anonymen, und im Web haben es ihre Ideen offenbar schwer, Fuß zu fassen. Selbst ihre Linkverzeichnisse schaffen es kaum, Quellen mit ähnlichen Perspektiven zusammen zu tragen.

Die Gegenseite zeigt Flagge

Das sieht auf der Gegenseite ganz anders aus: Wer sich bei der Kampagne "Not in our Name " umsieht, findet nicht nur ein "FAQ" zu Enstehung und Inhalten, sondern auch eine Übersicht mit den Namen der Initiatoren. Auch diese Petition kann auf rund 55.000 Unterzeichner verweisen, und der zeitweilige Zusammenbruch der Telekommunikationsmedien im Weißen Haus und im Senat in der letzten Woche hat bereits Web-Protestgeschichte geschrieben. Auch das "Artist Network " hat keinerlei Probleme, auf positive Berichte, Solidaradressen und verwandte Quellen zu verweisen.

Germanystinks.com reduziert derlei zu einer Web-Skurrilität. Ohne Effekt bleibt das Gedankengut der stramm patriotischen Amerikaner jedoch nicht: Dem sächsischen Lederwaren-Zulieferer Lederett flatterte als erstem deutschen Unternehmen eine ganz offen politisch begründete Vertragskündigung ins Haus. "Wir waren sehr zufrieden mit der Qualität, dem Service und den Preisen", hieß es darin wörtlich. Grund für den Abbruch der Handelsbeziehungen sei "die fehlende Unterstützung der USA durch die Bundesrepublik Deutschland".

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