Prozess in Bonn Der Mann, der Hacker "Hell" sein könnte

In Bonn steht ein Mann vor Gericht, der hinter den Hacker-Angriffen auf den russischen Oppositionsführer Nawalny stecken könnte. Dabei wurden Daten entwendet, mit denen der unbequeme Kreml-Gegner kaltgestellt wurde. Ist Sergey M. also "Hell"?

Das Gebäude des Bonner Amtsgerichts liegt am Rand der Innenstadt, ein schmuckes Gebäude aus grauem Stein. Die Richter sind zuständig für Bonn und einige kleinere Gemeinden im Umland, die Alfter heißen oder Wachtberg. Doch der Prozess, der hier am Mittwoch begann, wird auch 2000 Kilometer nordöstlich noch aufmerksam verfolgt: in Russlands Hauptstadt Moskau.

Ein Mann Anfang 40 hat sich vor dem Gericht zu verantworten, der russische Einwanderer Sergey M. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass er unter dem Pseudonym "Hell" Angriffe auf russische Oppositionelle geführt hat.

Der Blog von "Hell" lässt keinen Zweifel an seinen politischen Ansichten. Er hat dort ein Video veröffentlicht, in dem die ukrainische Regierung für Kriegsverbrechen in der Ostukraine verantwortlich gemacht wird.

Der Putin-Gegner und russische Oppositionsführer Alexej Nawalny dagegen wird auf der Seite als "National-Schwuchtel" geschmäht, als "Päderast und Dieb". "Torquemada - Virtuelle Inquisition" hat der Hacker seinen Blog überschrieben. Tomás de Torquemada war spanischer Großinquisitor im 15. Jahrhundert.

Die Inquisition machte im Mittelalter mit Billigung der Machthaber Hatz auf vermeintliche Ketzer und Hexen. "Hell" setzte - ganz im Sinne des Kreml - vor allem Putins Kritikern zu. Über Jahre knackte er E-Mail-Postfächer und Twitter-Konten. Zu seinen Opfern zählen Aktivisten und Menschenrechtler, aber auch der bekannte Schriftsteller Boris Akunin, einer der Anführer der Massendemonstrationen von 2011 und 2012.

Doppelter Einbruch ins E-Mail-Postfach

"Hell" prahlte mit seinen Taten in Kreml-treuen Medien. Der Tageszeitung "Iswestija" gab er ein Interview und schrieb eine Kolumne auf der Webseite der Russischen Gesellschaftskammer, einem zivilgesellschaftlichen Beratungsgremium des Kreml.

In das Gmail-Postfach von Alexej Nawalny brach er gleich zwei Mal ein, kopierte Tausende E-Mails und stellte sie ins Internet. Der Politiker glaubt deshalb, dass der Hacker in Wahrheit nicht auf eigene Initiative aktiv wurde, sondern im Auftrag des Kreml oder des Inlandsgeheimdienstes FSB.

Anklage aufgrund gehackter E-Mails

Zum zweiten Mal wurden Nawalnys E-Mails im Mai 2012 gehackt. Kurz zuvor waren sein Computer und Telefon von Polizisten beschlagnahmt worden. Die Behörden hatten Nawalnys Wohnung durchsucht, nachdem er Anfang Mai 2012 eine Demonstration gegen Putins Rückkehr in den Kreml angeführt hatte. Der Protest eskalierte in Straßenschlachten mit der Polizei.

Wenig später erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Nawalny, wegen angeblicher Unterschlagungen bei Holzverkäufen in der Provinz Kirow. Als "Beweise" zog die Anklage E-Mails heran, die "Hell" zuvor gehackt und ins Netz gestellt hatte. Das Gericht verurteilte Nawalny zu fünf Jahren Haft, die nachträglich zur Bewährung ausgesetzt wurden. Wegen dieser Vorstrafe darf Nawalny bei Wahlen nicht antreten.

Sergey M. streitet alles ab

Im Internet brüstete sich der Hacker, dass ihn niemand ausfindig machen könne: "Man sucht mich schon seit Jahren", sagte er in einem Interview mit Konstantin Rykow, einem ehemaligen Abgeordneten der Kreml-Partei "Einiges Russland". Rykow tritt auch als Kreml-treuer Scharfmacher im Internet auf.

Die Staatsanwaltschaft Bonn muss nun beweisen, dass "Hell" doch zu fassen ist. Sergey M. bestreitet vehement, der berüchtigte Hacker zu sein. Er kenne auch niemanden, der unter diesem Namen agiere. Nach Angaben seines Internet-Providers sollen die Attacken aber nachweislich von seinem Rechner ausgeführt worden sein.

Sergey M. war schon in den Neunzigerjahren mit seinen Eltern nach Deutschland ausgewandert, in Bonn hatte Nawalny Anzeige gegen ihn erstattet. In dem Verfahren firmiert der russische Oppositionsführer als Nebenkläger. Das Amtsgericht Bonn hatte Nawalny für Mittwoch als Zeugen vorgeladen. Der Politiker musste allerdings in Moskau bleiben: Die Behörden hinderten ihn, unter Verweis auf die Vorstrafe, die er auch "Hell" zu verdanken hat, an seiner Ausreise.

Der nächste Verhandlungstag ist in Bonn für den 8. Juli angesetzt. M. drohen bis zu drei Jahre Haft.

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