Hass auf Frauen im Netz Mit Liebe gegen den Mob

Sie drohen mit Vergewaltigung und lassen sich durch Meldesysteme nicht abschütteln: Im Netz kämpft ein oft gut organisierter Mob gegen Frauen. Die erproben neue Methoden der Gegenwehr.
Frauen mit Smartphone und Laptop auf der Konferenz DLD Women

Frauen mit Smartphone und Laptop auf der Konferenz DLD Women

Foto: Tobias Hase/ picture alliance / dpa

Männer fantasieren davon, sie zu vergewaltigen, sie zu demütigen, ihnen mit einem Hockey-Puck den Schädel einzuschlagen: In einem millionenfach geklickten Video lassen sich die amerikanischen Sportreporterinnen Sarah Spain und Julie DiCaro an sie adressierte Hassnachrichten aus dem Netz vorlesen. Wenn nicht unter dem Video geschrieben stünde, dass es echte Kommentare sind, könnten viele Zuschauer wohl kaum glauben, was sich Frauen unter Umständen alles anhören müssen, wenn sie im Netz ihre Meinung vertreten, ja überhaupt nur online präsent sind.

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Auch Michelle Ferrier aus den USA und Kübra Gümüsay aus Deutschland kennen solche Drohungen und Beleidigungen. Und beide wollen den Trollen, den Absendern dieses Hasses, nicht das Feld überlassen: Ferrier bietet mit ihrem Projekt "Trollbusters"  eine Online-Anlaufstelle für Frauen, die im Netz mit Hass überzogen werden.

Gümüsay hält am Dienstag auf der Netzkonferenz re:publica zusammen mit der Aktivistin und Publizistin Anne Wizorek einen Vortrag mit dem Titel "Organisierte Liebe" . Wie Ferrier fordern Gümüsay und Wizorek, dass das Netz mehr Unterstützung für Opfer von Online-Hetze leistet, statt sich hauptsächlich dem Troll zu widmen. Organisierter Flausch gegen organisierte Bösartigkeit.

"Wir brauchen ein Gegengewicht, um den Hass zu neutralisieren, den es im Netz gibt", sagt Gümüsay. "Das Internet ist ein Raum, in dem lautstark geschrien und gehasst wird. Deshalb dürfen wir positive Reaktionen und Lob nicht mehr nur durch Schweigen ausdrücken, sondern müssen ebenso laut loben und bestärken."

Entgegen dem Bild vom einsamen, anonymen Troll vor dem heimischen Bildschirm haben sowohl Gümüsay als auch Ferrier festgestellt: Ihre Angreifer rotten sich zusammen. "Es gibt eine regelrechte Mob-Mentalität", sagt Ferrier. "Die Angreifer sprechen sich in Foren auf Seiten wie Reddit, 4Chan oder Facebook ab und nehmen gezielt einzelne Frauen ins Visier."

Die Plattformen können Opfer nicht effektiv schützen

Nett sein und es zeigen, im Kollektiv: Das Konzept klingt zu simpel für so ein komplexes Problem. Natürlich beseitigt der Ansatz nicht alle Probleme, sagt auch Gümüsay. Sie ist Autorin und hält feministische Vorträge, das reicht schon, um Hass zu provozieren. Hinzu kommen rassistische Beleidigungen.

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Opfer solcher Attacken fühlen sich oft alleingelassen mit den Drohungen und Beleidigungen. "Genauso wie unsere Gegner ihren organisierten Hass als politisches Werkzeug begreifen, müssen wir durch organisierte Liebe dagegenhalten", sagt Gümüsay.

Bislang konzentrieren sich Twitter, Facebook und Co. stark auf den Troll: Er kann blockiert, seine Beiträge können markiert werden, Nutzer können andere Profile melden. Wer auf diese Mechanismen zurückgreift, muss häufig erst mal warten. Und bleibt letztlich allein mit seinem Problem.

Screenshot der Trollbusters-Webseite

Screenshot der Trollbusters-Webseite

Ferrier will das ändern: "Trollbusters bietet eine der wenigen Plattformen, die Technologie benutzen, um den Opfern zu helfen und Unterstützung für sie zu organisieren. Wir bauen eine Schutzmauer um sie." Auf der Trollbusters-Webseite können sich Frauen melden, die im Netz belästigt werden, oder sie können auf Online-Diskussionen aufmerksam machen, in denen Frauen oder Minderheiten angefeindet und bedroht werden.

Auf Twitter passieren die übelsten Attacken

Bei Trollbusters setzt sich dann ein virtuelles SOS-Team in Bewegung, das in die Diskussionen eingreift - mit positiven Nachrichten an das Opfer und Tipps, wie man seine Accounts sicher macht gegen Angriffe von außen. Außerdem kontaktiert Trollbusters die Betroffene und bietet direkt Hilfe an. Dass das Projekt noch in den Anfängen steckt, merkt man an den manchmal etwas ungelenken Textbotschaften und Bildern auf Twitter .

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"Wir wollen nicht, dass Frauen als Stimmen aus dem Netz verschwinden, dass sie verstummen. Also unterstützen wir sie und lassen sie wissen, dass wir da sind und ein Auge auf die Angreifer haben", sagt Ferrier. Trollbusters konzentriert sich auf Twitter, dort finden Ferrier zufolge die übelsten Attacken statt.

Frauen sind am häufigsten Opfer

Tatsächlich sind Frauen besonders häufig von Online-Belästigung betroffen. Als der britische "Guardian" jüngst 70 Millionen Kommentare auswertete, war das Ergebnis : Unter den zehn am meisten geschmähten Schreibern der Seite waren acht Frauen. Die zwei Männer waren schwarz.

Ferrier hat schon Erfahrung mit Belästigung gemacht, bevor es das Internet gab. Als erste schwarze Kolumnistin bei einer US-Zeitung schoss sich ein Stalker auf sie ein. Sie gab ihren Job auf, ging zurück an die Universität. Mittlerweile ist Ferrier stellvertretende Dekanin am Scripps College der Ohio University. Als die sogenannte Gamergate-Kontroverse aufkam, fühlte sich Ferrier sofort wieder an die Beleidigungen und Bedrohungen von früher erinnert.

Sie beschloss, dem Hass diesmal nicht auszuweichen, und programmierte bei einem Hackathon im Januar 2015 die erste Version der Trollbusters-Webseite. Außerdem gibt es mittlerweile Software, die für Trollbusters automatisiert Feeds durchsucht und versucht, Diskussionen in Netzwerken ausfindig zu machen, bei denen die Trollbusters sich einschalten können.

"Es gibt so viele Beleidigungen im Netz, aber wir versuchen, uns mit den bösartigsten Fällen zu beschäftigen", sagt Ferrier. Morddrohungen. Androhungen von Vergewaltigungen. Üble Beleidigungen. "Das gab es alles natürlich schon vor Social Media", sagt Ferrier. "Aber durch das Internet ist die Schikane viel zielgerichteter, viel hartnäckiger und viel aggressiver geworden."

Der Mob in Aktion

Als Ferrier auf dem Tech-Festival SXSW in Austin dieses Jahr ihr Projekt vorstellte, war ihr Twitter-Account während ihres Vortrags nicht erreichbar. Der Mob hatte sich abgesprochen und die Technologie, die Nutzer vor Hass schützen soll, gegen Ferrier eingesetzt.

Denn bei Twitter können Nutzer Accounts melden, wenn von ihnen zum Beispiel Beleidigungen ausgehen. Wird ein Account von genügend Nutzern zeitgleich beanstandet, kann er automatisch offline genommen werden, egal ob die Vorwürfe stimmen oder nicht. Deshalb erwischte es auch die Trollbusters. Ferrier musste auf der Konferenz einen Twitter-Mitarbeiter ansprechen und ihm die Situation schildern, dann erst kam ihr Account auf Intervention des Mitarbeiters wieder online.

Auch Gümüsay hat schon in Foren mitverfolgt, wie sich Nutzer absprechen, um ihre Aktionen gegen Rassismus zu sabotieren. "Ich bekomme aber nicht mehr so viele Mails wie früher. Die Angreifer sind dazu übergegangen, Redaktionen, für die ich arbeite, mit Mails zu fluten und so zu verunsichern." Auch solche konzertierten Aktionen hätten nur ein Ziel, sagt Gümüsay: Menschen im Netz mundtot zu machen.

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