Rebellenseite Kavkaz Das Geheimdienstohr direkt am Draht

Kavkaz.org, gerade wieder als Nachrichtenbörse für und über tschetschenische Mudschahidin ins Licht der Öffentlichkeit geraten, ist eine Website aus Washington - und dürfte zu den meistbelauschten Seiten der Welt gehören.

Wenige Tage nach den Anschlägen des 11. September 2001 begann eine Schließungswelle der besonderen Art: Vor allem in den Vereinigten Staaten begannen die Behörden damit, Websites dicht zu machen, die mit Islamismus, Mudschahidin, al-Qaida und verwandten Themen zu tun hatten. So gründlich gingen sie vor, dass islamische Interessenvertretungen in den USA reichlich Grund fanden, gegen die Schließung so mancher Harmlosigkeit zu protestieren.

Andere Websites wiederum fielen scheinbar durch das zeitweilig eng geknüpfte Fahndungsnetz. Dazu gehört Kavkaz, seit über zwei Jahren die Primärquelle für Nachrichten aus Perspektive der tschetschenischen Mudschahidin. Die sind zwar weit weg, aber Kavkaz virtuell ganz nah: Wer wühlt, der findet schnell die Verbindung zu Mawladi Adogov, der zu den Geburtshelfern der "unabhängigen Nachrichtenseite" gehören soll. Heute nennt sich der Mann stolz "Informationsminister der tschetschenischen Exilregierung" - und ist möglicherweise niemand anderes als Movladi Udug, der die Website Kavkaz betreibt.

Vor Ort in den USA betreut und füttert der den Webserver - ein Exil- Bosnier, von dem nur eine Adresse in Orlando bekannt ist, während seine Telefonnummer in Tschetschenien weiter verbreitet zu sein scheint als in seiner neuen Wahlheimat. Offenbar per Handy befüttert im Augenblick auch Mowsad Barajew den fleißigen Webmaster, mit dem er bereits seit 1999 einen regen Kontakt pflegt: Barajew, Anführer der Kidnapper von Moskau, gehört seit langem zu Udugs meistzitierten Quellen.

An der Echtheit der Kavkaz-Seite ist also kaum zu zweifeln. Bleibt die Frage, wie das möglich ist: Dass ein so radikal ausgerichtetes Propaganda-Outlet in Amerika nach dem 11. September überhaupt weiter operieren darf, dürfte so manchen wundern, wenn nicht gar auf die Palme bringen.

Doch dafür gibt es wohl gute Gründe.

Eine Tracerouting, die Verfolgung des Datenweges, den Bits und Bytes zwischen Nutzer und Kavkaz nehmen, hat eine interessante Geschichte zu erzählen: Aller Datenverkehr läuft über Chicago, bevor er umweglos nach Washington geleitet wird. Involviert scheinen nur zwei amerikanische Firmen, von denen beide wohl ebenfalls über ziemlich direkte Drähte verfügen - zu den amerikanischen Geheimdiensten.

Spurenlesen: Kavkaz und die Infosammler

Alle von Europa ausgehenden Anfragen nach Kavkaz.org laufen über den Backbone in New York - so weit, so gut. Von dort geht es direkt und umweglos weiter nach Chicago, wo der Nachrichtendienst National Security Agency NSA - weltweit der wohl emsigste elektronische Schnüffler - seit 1995 seine "Electronic Crimes Task Force" unterhält.

Was nichts beweist: AboveNet, die Firma, über die der Datenverkehr ab New York läuft, hat keine offensichtlichen Regierungsverbindungen. Im Gegensatz allerdings zu Metropolitan Fiber Networks, von denen AboveNet vor Jahresfrist aufgekauft wurde. MFN gehört zu den größten IT-Infrastruktur-Firmen Amerikas.

Chef des Unternehmens ist seit Februar 2002 Harry D. Gatanas, ein Mann mit besten Kontakten.

Der ehemalige hochrangige US-Army-Offizier brachte es in der Armee zum Chef-Waffeneinkäufer, bevor er im Geheimdienst NSA zwei Jahre lang eine ähnliche Rolle übernahm: Wieder als Chefeinkäufer baute er die Programme Trailblazer und Groundbreaker auf. In deren Verlauf begann die NSA, einerseits ein Überwachungsprogramm für nicht-kritische Infrastrukturen aufzubauen und andererseits Firmen, die auf Tele- und Datenkommunikation spezialisiert sind, aufzukaufen. Direkt im Anschluss wechselte Gatanas zu MFN.

Nach Chicago wechselt der Datenstrom zu Kavkaz im Peering-Verfahren zum Dienstleister Cogent Communication. Der hat seinen Sitz in Washington und hostet auch die Kavkaz-Seite. Das zeigt zumindest ein hohes Maß an Toleranz von Seiten der Cogent-Geldgeber: Zu denen gehören die beiden Firmen Metacarta und mittelbar In-Q-Tel.

Metacarta: Dienstleister in Sachen Identifizierung

Metacarta, wie die New England Electronic Crimes Task Force der NSA eine Firma mit Sitz in Boston, hat sich auf eine ganz besondere Internet-Dienstleistung spezialisiert: Das Unternehmen "fingert" gern, identifiziert und lokalisiert User und Dokumente. Dabei kommt ein überaus pfiffiger Ansatz zum Einsatz: Die Spezialität von Metacarta ist es, Orten (und Themen) Dokumente aus Internet und privaten Netzwerken zuzuordnen.

Zwar gibt das Unternehmen an, dass diese Technik dazu geschaffen worden sei, dem wachsenden Wust der Informationsüberflutung in Regierungsbehörden Herr zu werden. Unter dem leiden dann aber anscheinend und auffälligerweise fast ausschließlich Militär und Geheimdienste: Sie sind die Hauptkunden des unter anderem aus DARPA-Geldern des Verteidigungsministeriums finanzierten Unternehmens im Ordnungs-Dienst des Vaterlandes. Die Geheimdienstler haben die Metacarta-Software ein wenig verbogen: Sie nutzen die Technik, um die Bewegungen von Individuen zu verfolgen.

Hosen runter: In-Q-Tel spielt mit offenen Karten

Zum Kinderspiel wird die Suche nach den Wurzeln eines anderen Metacarta-Geldgebers und Kunden: "In-Q-Tel ist ein privates, nicht profitorientiertes Unternehmen", wird man auf der Homepage der Firma empfangen, "finanziert von der CIA". Mehr noch: In-Q-Tel ist sogar eine CIA-Gründung, wie man bei Amerikas bekanntestem Geheimdienst ganz ungeheim nachlesen kann .

All das ist kein Beweis, aber eine ungewöhnlich dichte Indizienkette: Welchen Weg der Datenstrom vom User zu Kavkaz und zurück auch nimmt, in den Vereinigten Staaten läuft er ausschließlich über die Kabel und Server von Firmen mit besten Kontakten zu Geheimdiensten. Diese Firmen sind zudem verbunden mit Dienstleistern, die sich auf Lokalisierung von Usern und Dokumenten in digitalen Netzen spezialisiert haben. Der Rest ist eine nicht beweisbare Spekulation, für die man aber wohl kaum einsteinsche Geistesqualitäten mitbringen muss: Bei Kavkaz liest der Freund/Feind mit - in beiden Richtungen.

Erst an diesem Punkt angekommen macht es überhaupt Sinn, dass eine offensichtlich radikal verortete Website im heutigen Amerika unbehelligt auf einem Server in Washington gehostet werden kann. Das wäre unter dem Strich fast ein Deal zu gegenseitigem Vorteil: Die Geheimdienste hätten Gelegenheit, durch Einblick in Datenverkehr und Logfiles abzugreifen, wer sich alles für die Mudschahidin-Bewegung interessiert. Und auch für Kavkaz hat das Ganze höchst positive Aspekte: So erreicht die Website nicht nur das interessierte Publikum, sondern auch die primäre Zielgruppe - über einen direkten Draht zu den politischen Entscheidern.

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