RIAA gegen P2P Die Hatz auf den Nutzer beginnt
"Das sollte niemanden überraschen", sagte eine RIAA-Sprecherin spät am Mittwoch, "wir tun nur, was wir angekündigt haben, als wir bekannt gaben, dass wir Beweise für anstehende Gerichtsverfahren sammeln". Konkret heißt das, dass die RIAA, mächtige Lobby der US-Musikindustrie, damit begonnen hat, von Internet-Serviceprovidern die Herausgabe von Namen und Adressen zu verlangen.
Im Visier der Industrie sind derzeit "mehrere Hundert" besonders emsige P2P-Nutzer. Deren relative Anonymität im P2P-Netzwerk endet in dem Augenblick, in dem der Serviceprovider die ihm vorliegenden Kundendaten herausgibt: Die Provider wissen immer zumindest einen bestimmten Nutzer einem bestimmten Telefonanschluss oder Netzzugang zuzuordnen.
Zur Herausgabe der Daten sind sie in den Vereinigten Staaten nach dem Digital Millennium Copyright Act verpflichtet, wenn der begründete Verdacht vorliegt, dass ein User die Urheberrechte verletzt hat. Diesen Nachweis in einem P2P-Netzwerk zu führen, ist ein Kinderspiel: Die Fahnder beobachten nur das Tauschverhalten, was ein User anbietet, was er downloaded, und registrieren seine IP-Adresse. Auch, wenn die dynamisch vergeben ist (wie im By-Call-Verfahren) ist die Verbindung zwischen User und IP-Nummer für eine Weile registriert und archiviert. Das gilt im Übrigen auch in der gesamten Europäischen Union.
Mit dem Beginn einer ersten Prozessserie dürfte nun binnen Wochen zu rechnen sein. Die RIAA beabsichtigt, mit zunächst einigen hundert spektakulären Klagen P2P-User von der weiteren Nutzung der Börsen abzuschrecken. Im Gespräch sind Anklagen über Schadenssummen von bis zu 150.000 Dollar pro angebotenen Song. Manche User bieten beispielsweise über KaZaA gleich Tausende von Dateien an.
Nicht ganz ernst zu nehmen
Ein erster Prozess über die unrealistische Summe von 150 Milliarden Dollar endete im Frühsommer mit einem außergerichtlichen Vergleich: Vier Studenten erklärten sich zur Zahlung von jeweils rund 15.000 Dollar bereit. Aus Sicht P2P-aktiver Studenten eine astronomische Summe, aus Sicht der Musikindustrie eine versöhnliche Geste, die dokumentieren soll: Wir wollen nicht Rache, sondern Recht.
Auch die erste Welle der am 26. Juni angekündigten "blauen Briefe" richtet sich wieder vornehmlich an Universitäten. So soll die RIAA in den letzten Tagen die Herausgabe der Namen von rund 150 Studenten verlangt haben. Da die meisten US-Unis mittlerweile Hausregeln gegen P2P-Nutzung eingeführt haben, könnte schon die Offenlegung der Namen der Beschuldigten zu deren Verweis von den Unis führen.
Finanzanalysten halten die zu erwartende Klagewelle für relevant - allerdings nicht in erster Linie für die über den Weg der RIAA klagenden Unternehmen. Viel unmittelbarer als für die großen Labels könnte sich die angekündigte Prozesslawine positiv für Unternehmen auswirken, die sich mit legalen, kommerziellen Tauschbörsen im Web engagieren. Eric Hellweg von CNN sieht als potenzielle Gewinner den Apple-Shop iTunes sowie das Real-Angebot Rapsody: "Wenn diese Unternehmen clever sind, werden sie bemerken, dass diese Anklagen ihre bisher größte Chance darstellen, neue zahlende Mitglieder zu gewinnen".
Chancen? Gefahren? Prozac ins Trinkwasser?
Ähnlich platt und einfach, aber ganz anders sieht das auch die Gegenseite. Sie verlangt eine Änderung der rechtlichen Bestimmungen; schließlich hätten die User längst per Mausklick darüber abgestimmt: "Es gibt mehr Menschen in den USA", meint etwa Fred von Lohmann, Anwalt der Electronic Frontier Foundation EFF, "die P2P-Börsen nutzen, als Präsident Bush Wähler hatte".
Das allein ist natürlich kein Argument gegen die Vorgehensweise der Industrie. Doch selbst innerhalb der Branche ist so manchem mulmig zumute: Lange galt es als eherner Leitsatz, dass man - Recht hin, Gesetz her - im Kampf gegen P2P die eigene potenzielle Kundschaft nicht weiter gegen sich aufbringen sollte. Bei der hat sich längst das Image einer bitterbösen Gier-Industrie verfestigt.
Doch die kämpft weltweit mit Umsatzrückgängen, investiert immer weniger und entlässt Angestellte: Die Krise ist echt.
P2P-Befürworter argumentieren jedoch, dass diese nicht allein durch die Tauschbörsen verursacht, sondern durch eine Vielzahl von Faktoren, an denen die Industrie nicht unschuldig sei. Ihnen spricht Grokster-Chef Wayne Rosso aus der Seele: "Schütte bei der RIAA doch mal jemand Prozac ins Trinkwasser. Diese Typen haben die Kontrolle über sich verloren!"
Zumindest aber die Selbstbeherrschung: Im Konflikt P2P gegen Industrie steht irgendwie jeder permanent mit dem Rücken zur Wand. In einer zweiten Prozesswelle wären Klagen gegen willkürlich herausgepickte P2P-Nutzer denkbar. Spätestens dieser Schuss jedoch könnte nach hinten losgehen. Das sieht sogar der CNN-Finanzkolumnist Eric Hellweg so: "Studenten an den Wickel zu gehen ist eine Sache; jemandes Mama eine 15-Millionen-Dollar-Klage anzuhängen, weil sie versucht hat, ihrem Strickkreis die Barry-Manilow-Sammlung zugänglich zu machen, eine ganz andere".
Frank Patalong