
RockMelt: (Nicht) der erste Social-Browser
RockMelt Der Browser für die Facebook-Ära?
Auf den schon jetzt hart umkämpften Markt der Browser, auf dem sich mit Internet Explorer, Firefox, Chrome, Opera und Safari schon jetzt fünf Dickschiffe nebst drei Dutzend Klein-Konkurrenten drängen, will nun auch RockMelt , eine Gründung ehemaliger Netscape-Entwickler, finanziert von ehemaligen Netscape-Kollegen. Das Gros des Geldes kommt von Marc Andreessen, einst eine Web-Legende, nach etlichen geschäftlichen Flops aber eine ziemlich entzauberte. Immerhin: Seine Venture-Capital-Firma hat die Puste, eine Jahre verschlingende Produktentwicklung nebst einer nun anlaufenden Werbekampagne zu finanzieren.
Was dabei herauskommt? Ein "Browser für das Facebook-Zeitalter", wie die "New York Times" urteilt. Denn das soll RockMelts Alleinstellungsmerkmal sein: Eine lückenlose Einbindung von Social-Media-Anwendungen. Dazu wurde RockMelt neben der bei Browsern üblichen Navigation am Seitenkopf um zwei Navigationsleisten rechts und links erweitert: Rechts öffnen sich auf Mouse-over-Anforderung Fenster mit Statusmeldungen und Nachrichten aus den Social-Networks, in denen der Nutzer Mitglied ist, links öffnen sich entsprechende Seiten.
RockMelt ist Chrome im Tarnanzug
Nicht, dass das neu wäre. Den selben Ansatz verfolgt bereits seit 2005 mit durchwachsenem Erfolg der bisher auf Firefox basierende Flock-Browser . Ab der nächsten Version, die bald kommen soll, wird Flock auf Basis von Googles Chromium funktionieren - und dann RockMelt wohl ziemlich ähnlich sehen. Denn auch der folgt nicht nur der Ästhetik des Chrome-Browsers - RockMelt ist ebenfalls Chromium-basiert. Die beiden Social-Browser sind Zwillinge, die man unterschiedlich frisiert und ausstaffiert hat.
Mehr wissen wir aus eigener Anschauung bisher nicht, denn an der soeben begonnenen Betaphase teilzunehmen, ist nicht so einfach: Der geschlossene Beta-Test ist bisher nur für Bürger der Vereinigten Staaten freigegeben, teilt RockMelt mit. Mitunter scheint aber auch bei Web-Nutzern außerhalb der USA eine Freigabe zu erfolgen. Das macht die Sache zu einer Lotterie, bei der ohne die Beta-Test-Einladung von RockMelt allerdings nichts läuft.
Um die zu bekommen, zahlt man auf jeden Fall vorab und ohne zu wissen, was man dafür bekommt (geschweige denn, was damit passiert) eine Art Eintrittsgeld: Man gibt seinen Facebook-Account frei, autorisiert das Einholen aller Daten, die man bei Facebook öffentlich teilt. Eine ziemliche Dreistigkeit, die zumindest als Masche, Daten zu ernten, schon prächtig funktionieren würde.
Doch Schwamm drüber: Wer sich auf einen Social-Browser einlässt, will das ja nicht anders. Der Grundgedanke spielt den Geschäftsstrategien von Facebook in die Hände: Facebook Connect schickt sich auch hier an, als Clearingstelle für die Verwaltung digitaler Identitäten genutzt zu werden - Mr. Zuckerberg wird es freuen.
So kann man getrost davon ausgehen, dass das Modell des Social-Browsers Unterstützung erfahren wird. Ob die Nutzer darauf warten, ist nicht die Frage, ganze Branchen tun dies auf jeden Fall. Facebook hat soeben seine erweiterten Geschäftsmodelle vorgestellt, die darauf beruhen, durch den freien Fluss von Nutzerdaten über diverse Schnittstellen hin zu Partnern werblich wie vermarktend richtig Geld zu bewegen. Ein Browser, bei dem nicht mehr "Pivacy" und Datenschutz im Mittelpunkt des Interesses stehen, sondern das absolute Gegenteil davon, kann da nur recht kommen.
RockMelt wird eine Lobby finden
Vielleicht gibt es ja nur noch zwei Wege, auf dem Browsermarkt wirklich etwas zu bewegen: Entweder, man hat wie MSIE, Chrome oder Safari ein mächtiges Unternehmen hinter sich. Oder man hat eine mächtige Lobby, so wie Firefox seine Community - und vielleicht bald RockMelt mit den Social Networks?
Das könnte dann funktionieren, wenn RockMelt es schafft, einen freieren Datenfluss in alle Richtungen zu gewährleisten, als der vornehmlich Nutzer-Bequemlichkeiten betonende Flock (auch, wenn das weitgehend dasselbe ist). Das RockMelt-Modell wird auf dem Grundprinzip beruhen, alle notwendigen Daten in der so genannten Cloud zu speichern. Cloud klingt immer Klasse, weil fluffig und harmlos. Übersetzt heißt das: Man überlässt seine Daten einem Dienstleister, der die irgendwo auf einem Server, dessen Daten man von überall her abrufen kann, speichert und sie dort verwaltet.
Was genau mit diesen Daten passiert, ist in der Regel nur den Datenschutzbestimmungen eines Unternehmens zu entnehmen. In RockMelts Fall geschieht das ganz transparent: Unumwunden informiert das Unternehmen seine künftigen Nutzer unter anderem, dass es "Informationen über Dich und wie Du RockMelt nutzt" sammelt. Wer das nicht will, könne im "Incognito"-Modus surfen, um eine Protokollierung zu unterbinden. Immerhin sollen die gesammelten Informationen nur der Verbesserung des Produktes dienen und nicht dem Marketing, versichert RockMelt .
Hose runter: "Datenschutz" ist ein Deal
Der Rest ist Vertrauenssache, in Deutschland aber wohl nicht unbedingt legal: Was die Datenschutzbestimmungen von RockMelt so alles verraten ("Wenn Du mit uns kommunizierst oder den Browser nutzt, mag es sein, dass wir Daten sammeln, über die man Dich identifizieren kann") dürfte hierzulande für Diskussionsstoff sorgen. Die grundsätzliche Haltung des Dokuments erinnert an Googles "sei nicht böse", steckt aber voller Zündstoff: Um Datenlöschungen wird sich RockMelt auf Verlangen bemühen, steht da schwarz auf weiß, "soweit das möglich ist". Allerdings seien die Möglichkeiten begrenzt, da nicht alle Daten personalisiert seien und man womöglich nicht alle Daten werde finden können.
Zumindest liegen sie vor Löschung sicher als User-Portfolio irgendwo auf angemieteten Servern der Firma Amazon: RockMelt wird ein Browser, in den man sich zum Beginn jeder Session einloggen kann, egal wo man ist. Die persönlichen Daten, Logins, Bookmarks und andere gespeicherte Daten werden über das Web abgeglichen.
Das alles klingt traumhaft für Passwort-traumatisierte Social-Web-Nutzer - und wie der ultimative Albtraum für deutsche Datenschützer. Mit diesem Modell wäre RockMelt eine Art enthemmter Browser, über den die Daten in alle Richtungen freier fließen. Vieles davon dient der Bequemlichkeit, erhöht aber das Missbrauchspotential gehörig. Eine permanente Speicherung von privaten Daten und Passwörtern auf einem privaten Rechner mag mancher ja noch hinnehmen, aber auf Miet-Servern bei Amazon? Rechtfertigt der Zugewinn an Mobilität (zudem nur relevant, wenn der Zugriff über einen fremden Rechner geschieht) wirklich die externe Speicherung der Nutzerdaten?
Der deutsche Gesetzgeber hat mit so etwas ein wachsendes Problem, das auf die meist amerikanischen Entwickler anachronistisch wirkt. Und es stimmt ja: Wer im Social Web aktiv sein will, muss schmerzfrei sein in Sachen Datenschutz, sonst läuft die Sache nicht so, wie der User das will. Ein gehöriges Maß an Selbstentblößung ist schon im Social-Media-Gedanken angelegt - die meisten Intim-Details verplappert man dort schließlich freiwillig selbst. Was nicht bedeuten soll, dass man den Nutzer nicht hier und da vor sich selbst schützen sollte.
Ob man das allerdings noch kann, ist wieder eine andere Frage: Egal, ob RockMelt es schafft oder nicht auf dem Markt, steht der Browser auf jeden Fall für einen kommenden Trend.