
S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Wider die Spartollwut


Wolfgang Schäuble
Foto: Michael Kappeler/ picture alliance / dpaAuf der Habenseite der Alten steht immerhin, dass sie den Jungen kein durch eigene Schuld zerbombtes Land hinterlassen haben wie davor. Dankeschön!
Ansonsten steht eine junge, zweifellos digitale Generation - die heute unter 30-Jährigen, im Marketingsprech "Millennials" - in diesem Land vor einem großen Problem. Eigentlich vor vielen verschiedenen Problemen, von Neonationalismus über Bildungsmisere bis Kinderarmut . Aber es lässt sich ein Gravitationspunkt ausmachen:
Sparwut. Spartollwut.
Die schwarze Null ist eine Religion, und Wolfgang Schäuble ist ihr Hohepriester. Die bittere Anmaßung dieser Religion ist, dass sie behauptet, doch nur das Beste für die kommenden Generationen zu wollen. Dabei legt sie aber nicht die Maßstäbe der Jungen an, sondern erklärt mit einem paternalistischen Federstrich landes-, nein, europaweit: Wir Alten wissen besser, was für euch Jungen gut ist.
Wie üblich wird diese Botschaft nicht in Worten, sondern in Taten überbracht. Und weil der größte Unterschied zwischen den Schäuble-Jüngern und den Jungen die Digitalität ist, wird diese Generationenanmaßung dort am sichtbarsten.
Sparheiland des ausgeglichenen Bundeshaushalts?
Schäuble arbeitet für seinen erhofften Platz in den Geschichtsbüchern als Sparheiland des ausgeglichenen Bundeshaushalts. Aber er wird eingehen in die Geschichts-Wikis als Verhinderer entscheidender Investitionen, als Verzögerer der vernetzten Zukunft, als jemand, der entgegen aller Evidenz nicht bereit war, die Welt mit digitaleren Augen zu sehen als den eigenen. Und das betrifft nicht nur ihn.
Die Schäuble'sche Weltsicht - Sparwut über alles - ist verstörend wenig umstritten in der bundesdeutschen Politiklandschaft. Es gibt Parteien, die eher für Austerität sind, sowie Parteien, die sehr heftig für Austerität sind. In der Außensicht äußern sich sowohl wirtschaftsliberale wie auch linke Stimmen irritiert. Selbst der IWF, nicht gerade der Hort neomarxistischer Fiskalpolitik, lässt Zweifel an der Austerität anklingen .
Im britischen "Guardian" erschien im Juni ein Artikel über die bröckelnde Infrastruktur in Deutschland - von unpünktlichen Zügen über kaputte Straßen bis zu verrottenden Brücken -, der einen klaren Grund ausmachte: "Schuld ist ein chronischer Mangel an Investitionen ... ebenso wie die deutsche Obsession für einen ausgeglichenen Haushalt." Die Autorin führt das nicht allein auf die Politik zurück, sondern vor allem auf die Haltung der Bevölkerung: "... die Idee, Schulden zu machen, scheint Gift für die meisten Wähler, die glauben, Schulden seien unmoralisch."
Eins und Null statt schwarze Null
Und da ist auch schon des Schäubles Kern, er ist nicht zufällig der Politiker mit auffallend hohen Zustimmungswerten: Der überalterten Bevölkerung der Bundesrepublik gefällt ein knorriger Finanzminister, dessen ständig vorgetragener monetärer Missmut ihnen als Zeichen unbedingt bewundernswerter Sparsamkeit gilt.
Die im Schnitt 128 Jahre alten Wähler und Sparwutbürger können und wollen nicht unterscheiden zwischen der privaten Definition von Schulden und der volkswirtschaftlichen Definition, die in Investitionen münden kann. "Wir wollen euch ein schuldenfreies Land hinterlassen", sagen die Alten, aber es hört sich an wie "Wir wollen nicht in eure digitale Zukunft investieren".
Dabei ließe sich ausgezeichnet diskutieren, ob eher eine wirtschaftsaktivierende oder eine sozialstaatliche Investitionslandschaft dem Wohlstand des Landes helfen würde. Ich persönlich halte eine Mischung für das Sinnvollste, aber darum geht es gar nicht.
Eine Alternative zu Schuldentilgungsfantasien
Es geht nämlich (noch) nicht um die Verteilung, sondern überhaupt erst mal um die Erkenntnis, dass von den Alten für die Jungen ein massiver, digital geprägter, staatlicher Investitionsplan geschaffen werden muss. Sofort und anstelle von altväterlichen, oft eitlen Schuldentilgungsfantasien. Mit der binären Essenz der digitalen Welt gesprochen: Eins und Null statt schwarze Null.
Die in der Bevölkerung und daher auch in der Politik verbreitete Haltung, Sparwut sei ein Dienst an den kommenden Generationen, war selten fataler als heute - weil die nächste Ebene des Wohlstands eine radikal vernetzte sein wird. Und genau dafür werden Investitionen gebraucht, das Land würde derzeit sogar weniger als keine Zinsen dafür bezahlen. Das ist umso bitterer, als die heute Alten ihren Erfolg selbst nicht zuletzt einem kreditbasierten Investitions- und Subventionsplan verdanken.
Wo also bleibt der digitale Marshallplan?
Wo bleibt der Plan, die Unternehmungen der Jungen aggressiv zu fördern? Wo bleibt der Plan, den absehbaren radikalen Veränderungen der Arbeitswelt durch eine Weiterentwicklung der Sozialsysteme Rechnung zu tragen? Wo bleibt der Plan, endlich das digitale Infrastrukturdebakel zu beseitigen? Deutschland steht praktisch vorm Internexit durch Nichthandeln.
Die zukunftsverspielende Haltung "Sparwut vor Investition"
Um in messbaren Zahlen zu sprechen: Fast alle nicht von der Telekom bezahlten Experten sind der Meinung, dass kein Weg an einem offensiven Glasfaserausbau (bis in die Haushalte) vorbeiführt. Die Realität: Deutschland ist 2016 erstmals über die Messbarkeitsgrenze von einem Prozent Verbreitung gekommen und liegt jetzt innerhalb der EU auf dem vorletzten Platz, was "Fiber to the home" angeht. Und niemand schreit deshalb.
Im Gegenteil konnte es sich die amtierende Große Koalition noch Ende 2013 leisten, aus dem Koalitionsvertrag eine ohnehin klein gedachte Milliarde Euro Subventionen für den Glasfaserausbau in letzter Minute herauszustreichen . Ganz im Geiste Schäubles.
Wenn man den ganzen Tag Fernsehen schaut, ist schließlich schwer verständlich, wofür man dieses schnelle Internet überhaupt braucht: Stellt euch nicht so an, E-Mail und Überweisungen gehen doch auch mit Edge, und YouTube überträgt ohnehin nur kindischen Unfug. Lest lieber mal ein gutes Buch.
"Wart ihr denn bescheuert?"
Und wenn es nur die Infrastruktur wäre. Denn Hand in Hand mit der zukunftsverspielenden Haltung "Sparwut vor Investition" läuft eine politische Entscheidung nach der anderen der digitalen Zukunft entgegen. Verwässerung der Netzneutralität , Netzsperren , der Ausbau des absurden und dysfunktionalen Leistungsschutzrechts - alles bittere Begleitbeispiele für EU-seitig vorangetriebene Projekte deutscher Politiker, die bereit sind, für Partikularinteressen die vernetzte Zukunft zu verkaufen. Und dabei ist die radikale, digitale Transformation der Arbeitswelt durch die Vernetzung noch gar nicht berücksichtigt.
Im Rückblick werden kommende Generationen fragen: "Und ihr habt ernsthaft kein zinslos finanziertes Gigabit-Internet, keine florierende Digitalwirtschaft, kein dem Wandel der Arbeit angemessenes Sozialsystem aufgebaut, als ihr es ohne größere Schmerzen hättet tun können? Wart ihr denn bescheuert?" Man wird mit "Ja" antworten müssen.
tl;dr
Eins und Null statt Schwarze Null: her mit dem digitalen Marshallplan!
