

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Shut happens

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben mit ihrem "government shutdown", der budgetären Handlungsunfähigkeit, eindrucksvoll gezeigt, dass die digitale Welt abhängt von einem Staat, in dem völlig irrationale Kräfte radikal ihre Macht ausspielen. Dieses große, großartige Land hat das 20. Jahrhundert kulturell, technologisch und politisch geprägt wie kein anderes. Die Atombombe wurde dort erfunden, das Internet und die genialische Kulturtechnik, wirklich alles mit Käse zu überbacken. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts taumeln die USA politisch einem unklaren Schicksal entgegen.
Eine fanatische Front korrupter Politproleten, die Tea Party, hält die republikanische Partei im Würgegriff und in der Folge die Etats des Landes. Barack Obama auf der anderen, demokratischen Seite ist die präsidentgewordene Enttäuschung. Angesichts der nobelpreisverzierten Vorschusslorbeeren stürzte Obama aus großer politischer Fallhöhe herab.
Vor diesem Hintergrund müssen die Konsequenzen aus der fundamentalen Krise der digitalen Gesellschaft betrachtet werden, die unter dem Namen Spähaffäre bekannt oder vielmehr jetzt schon fast wieder vergessen ist. Daraus müssten sich Konsequenzen ergeben. Eigentlich. Es stellt sich zunächst die Frage, wer diese Konsequenzen ziehen soll.
Es bleibt nur die vielgeschmähte EU
Merkels CDU leugnete auf erschütternde Weise das Offensichtliche, sie fällt diesbezüglich als ernstzunehmende Instanz vorläufig aus. Vor der Wahl hatte die sich SPD über den Überwachungsskandal empört. Nach der Wahl werden mutige bis tolldreiste Forderungen gestellt - die Spähaffäre aber kommt nicht mehr vor. Wenn sich das nicht ändern sollte, entlarvt die SPD ihre aufklärerischen Reden nachträglich als wertloses Wahlkampfgetöse.
Der größte denkbare Akteur wären die Vereinten Nationen, und tatsächlich gäbe es diese Möglichkeit. Aber dass sich die Uno-Schwergewichte USA, Russland und China auf weniger Überwachung einigen, könnte zeitlich ein knappes Rennen mit der Explosion der Sonne in zweieinhalb Milliarden Jahren werden. Übrig bleibt, geradezu alternativlos: die vielgeschmähte EU.
Über diese Maßnahmen muss nachgedacht werden
Europa muss überlegen, wie die Freiheit einer digitalen Gesellschaft gewährleistet werden kann, wenn die Vereinigten Staaten sie nicht mehr im europäischen Sinn verfolgen können oder wollen. Barack Obama machte vor einiger Zeit eine flapsige Bemerkung: "Teil des Problems ist, dass ich aus der Presse von den Anschuldigungen der NSA erfahre und dann dahingehen muss, um zu erfahren, was da dran ist." Es ist inständig zu hoffen, dass dieser Satz eine Art verunglückter Scherz sein möge, denn wenn er stimmte, hat der Präsident die Kontrolle über die Apparate längst verloren. Was noch etwas unangenehmer wäre als die Rücksichtslosigkeit der schon vorhandenen obamaschen Totalüberwachung.
Wenn man von der These ausgeht, dass die besorgniserregenden Fehlentwicklungen bei europäischen Geheimdiensten mittelfristig einfacher in den Griff zu bekommen sind als die monströsen Apparate der USA, könnte die Lösung heißen: Aufbau einer europäischen Infrastruktur für die Informationsgesellschaft.
Das ist alles andere als leicht, denn der Pfad dorthin ist gesäumt von plattem, antiamerikanischem Nationalismus auf der einen Seite und technischem Großunfug auf der anderen Seite. Über folgende administrative Maßnahmen muss deshalb bei der EU und ergänzend auf nationaler Ebene nachgedacht werden:
- die angestrebte Datenschutzgesetzgebung zu erweitern um eine nicht durch US-Geheimgerichte zu brechende Verpflichtung für Netzkonzerne zur Transparenz für Nutzer,
- die Schaffung einer explizit netzfreundlichen Gesetzeslage, was für die Bundesregierung bereits durch eine simple 180-Grad-Wende zu erreichen wäre,
- radikale Hinwendung zu offenen, transparenten und damit kontrollierbaren technischen Standards, insbesondere in Sicherheitsfragen.
Das kann aber nur die Basis sein. Noch viel schwieriger zu forcieren, aber mittelfristig notwendig ist die Entstehung europäischer Netzunternehmen. Die Überlegenheit der US-amerikanischen Netzunternehmen ist aus Nutzerperspektive mehr als berechtigt, niemand wird gezwungen, Google oder Amazon zu benutzen, es gibt Alternativen. Sie sind bloß meistens schlechter und oft zu Recht unbekannter. Eine produktive Unternehmenskultur der digitalen Vernetzung aber ließe sich in Europa nur langsam aufbauen, dafür bräuchte es:
- Ausbau und Steuerung der Infrastruktur, um Abhängigkeiten zu reduzieren,
- offensive Förderungen der Internetwirtschaft - und insbesondere auch von weitgehend aus Europa verschwundenen Hardware-Unternehmen.
Am Anfang von allem aber stünde die Entwicklung eines europäischen Digitalbewusstseins, eine Art zweite Epoche der Aufklärung, Geschmacksrichtung Internet. Es braucht eine echte, selbstbewusste und auch hoffnungsfrohe Europäische Digitalcharta, die von der Kultur über die Grundrechte bis zur Technologie ein europäisches Werteverständnis für die kommende Digitale Gesellschaft formuliert. Denn offensichtlich unterscheidet sich schon das, was Barack Obama unter digitaler Gesellschaft versteht, diametral von der europäischen Sicht.
Man möchte sich nicht ausmalen, was ein US-Präsident der Tea Party sich einfallen ließe. Oder vielleicht möchte man es sich doch ausmalen, um herauszufinden, ob sich der gegenwärtige Alptraum einer vollüberwachten Netzgesellschaft überhaupt noch steigern ließe. Spoiler: Ja.
tl;dr
Europas Trantütigkeit beim Aufbau der digitalen Gesellschaft muss ins Gegenteil verkehrt werden. Grund: Amerikas Abgründe.
