Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Wie privatisierte Geheimdienste die Bürgerrechte aushebeln

Die weltweite Überwachung von Internetnutzern ist ein Milliardengeschäft für US-Konzerne. Die Aufträge sind geheim, öffentliche Kontrolle der Ausgaben ist kaum möglich. Deshalb ist die Spähindustrie so einträglich: Demokratische Kontrollen sind nicht gewünscht.

Es ist nur ein Satz, aber er offenbart die katastrophale Welt des Überwachungshorrors. Die "New York Times" veröffentlichte Ende November 2013 ein NSA-Dokument von 2012. Überschrieben mit "SIGINT Strategy" , findet sich darin die globale Strategie der Überwachungsapparate. Schon der erste Augenschein irritiert, das Papier beginnt mit Überschriften wie "Vision", "Mission" und "Values". Das entspricht exakt den üblichen Begriffen, mit denen Konzerne sich vermeintliche Unternehmensphilosophien überstülpen. Und dann kommt ausgerechnet im Abschnitt "Werte" der Satz, der erschüttert, beängstigt und so viel erklärt:

"Unsere Kunden und Stakeholder können sich darauf verlassen, dass wir termingerecht Produkte und Services von höchster Qualität liefern..."

Moment. Kunden? Produkte und Services liefern? Seit wann hat ein Geheimdienst Kunden und Produkte? Das deutet nicht nur auf die unterschätzte Dimension der Wirtschaftsspionage hin. Viel schlimmer.

Achtmal so viele Insassen nach Gefängnisprivatisierung

Insbesondere in angelsächsischen Ländern gibt es die Tradition, staatliche Aktivitäten als Profit Center zu begreifen. Oder sie gleich dazu zu machen, mit messbaren Folgen. Seit Beginn der aggressiven Privatisierung der US-Gefängnisindustrie  Anfang der siebziger Jahre hat sich die Zahl der Gefangenen  in den USA von rund 300.000 auf 2,4 Millionen verachtfacht. Ja. Verachtfacht. Sicherheitsindustrielle Privatisierung führt fast automatisch zur radikalen Aufblähung, doppelt auf Kosten der Zivilgesellschaft: Sie bezahlt mit ihren Steuergeldern die Einschränkung ihrer Freiheit.

Der Spähskandal ist auch die Folge einer entfesselten Überwachungsindustrie. Dass die NSA sich in ihrem verstörenden Strategiepapier als eine Art Unternehmen betrachtet, ist keine Stilfrage, sondern essentieller Teil des Problems. Wie tiefgehend die Verschmelzung von Behörden und Unternehmen ist, lässt sich an Edward Snowden selbst erkennen, der Zugriff auf delikateste Dokumente und Instrumente hatte. Und doch war er seit 2009 nicht mehr im Staatsdienst, sondern Angestellter von Privatfirmen wie Dell und Booz Allen Hamilton.

Die weitgehende Geheimhaltung des Milliardenmarktes der Bürgerüberwachung erschwert praktischerweise, dass demokratische Kontrollen ins Geschäft hineinfuhrwerken. Und wie die meisten anderen Branchen versucht die Spähindustrie, die Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Nur dass es hier nicht um Steuervergünstigungen für vorschriftskonform gebogene Bananen geht, sondern um die Legitimierung grundrechtsfeindlicher Märkte.

Goldenes Zeitalter der Überwachung

Die absurde Apparataufblähung basiert wohl auch auf einem für die IT-Industrie typischen Phänomen. Je komplexer Programme sind, desto schwieriger ist deren Beurteilung. Das kann dazu führen, dass dieselben Leute, die von einer Technologie profitieren, diese auch bewerten. Erst recht, wenn sie nur wenigen Spezialisten zugänglich gemacht werden darf. Deshalb erweisen sich Projekte selten als überflüssig, und Budgets sind immer zu klein. Steuergelder lassen sich ohne öffentliche Kontrolle ohnehin viel entspannter ausgeben. Daher braucht die Software ein Update, dazu kommt ein Wartungsvertrag, und für das neue Framework muss eine neue Abteilung gegründet werden. Ach, ein lästiges Gesetz müsste auch angepasst werden. Aber es lohnt sich! Und zwar sehr.

Parallel verschmieren die Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft. Weltweit, denn die Spähindustrie ist kein reines US-Phänomen. Damit richtet sich das Augenmerk auch auf deutsche Politiker, die begeistert mehr überwachen wollen. Oder besser: kostenintensiv überwachen lassen wollen durch eine kaum durchschaubare Melange aus Behörden und Unternehmen, zwischen denen reger Austausch besteht.

Grundrechtsbruch nützt der Überwachungindustrie

Der Spähskandal ist eine wirtschaftlich getriebene Attacke auf demokratische Grundrechte. Und diese Attacke hört nicht von allein auf. Der obenstehende Satz aus dem NSA-Papier hat nämlich einen zweiten Teil. Er lautet

"...weil wir nicht aufhören werden, Neues zu erfinden und uns zu verbessern und wir geben niemals auf!"

- zweifellos das beängstigendste Ausrufezeichen des 21. Jahrhunderts.

Ständige Verbesserung der Bürgerüberwachung von einem geheimen, ultramachtvollen, überwachungsindustriellen Komplex, der niemals aufgeben wird. Niemals!

In internen Dokumenten spricht die NSA vom "goldenen Zeitalter der Überwachung". Sie könnte nicht richtiger liegen. Dieses Gold ist aber keine Metapher. Es existiert wirklich und wird in bar ausgezahlt an Unternehmen, die von systematischen Grundrechtsbrüchen profitieren. Vielleicht ist es einfach eine Scheißidee, den Sicherheitsapparat eines Staates zu privatisieren.

tl;dr

Mitverantwortlich für den Prism-Skandal ist eine grundrechtsfeindliche Spähindustrie, begünstigt von überwachungsfanatischen Politikern.

Kennen Sie unsere Newsletter?
Foto: SPIEGEL ONLINE
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten