S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Der wahre Alptraum der Medien

Wenn Unternehmen geschickt sind, können sie auf einen Teil ihrer Werbeausgaben verzichten. Sie schaffen Spektakel und aktivieren soziale Netzwerke - die Journalisten kommen dann von selbst. Das allerdings wird zum Problem für rein anzeigenfinanzierte Medien.

Ein namenloser Controller eines Konzerns stellte vor einiger Zeit am Rande einer Podiumsdiskussion eine Frage von maximaler Sprengkraft: Warum sollte unser Unternehmen Anzeigen kaufen bei einem journalistischen Medium, das uns potentiell in der Luft zerreißen kann? Gesellschaftlich betrachtet gibt es viele gute Gründe dafür. In den Köpfen von Controllern allerdings flüstert jobbedingt oft eine kleine Maggie Thatcher "There is no such thing as society". Wirtschaftlich betrachtet gibt es ebenfalls gute Gründe für den Anzeigenkauf bei journalistischen Medien. Leider leuchten sie dem effizienzorientierten Controller immer seltener ein.

Die Zeitungskrise ist eigentlich eine Medienkrise, und die Medienkrise besteht in ihrem Kern aus einer Werbekrise. Wobei nach streng objektiver Betrachtung Werbekrise eigentlich das falsche Wort ist. Tatsächlich ist eine umfassende Verschiebung von Werbebudgets im Gange: Es wird ein immer geringerer Anteil der Werbegelder in journalistische Produkte geleitet, insbesondere in gedruckte. Giovanni di Lorenzo schrieb Ende November in der "Zeit" , dass es in Deutschland die "wohl besten Zeitungen der Welt gäbe", was sicher eine Frage der Perspektive ist. Faktisch belegbar dagegen ist sein anderer Halbsatz: Alle Printmedien sind im zweiten Halbjahr 2012 von einem dramatischen Anzeigenrückgang betroffen.

Anzeigenrückgang hört sich gott- oder gar marktgegeben an. Es bedeutet aber konkret: In den Media-Agenturen, wo über die Verteilung des weitaus größten Teils der Werbegelder entschieden wird, wird der Fluss der Geldströme aktiv umgelenkt. Media-Agenturen (und ihre Kunden, von denen das Geld stammt) nutzen zwar alle möglichen Messinstrumente und Analyse-Tools - ganz am Ende aber entscheiden trotzdem Menschen. Deshalb geschieht die Verteilung der Werbegelder nicht rein rational: auch dieser Markt besteht zu 50 Prozent aus Psychologie.

Es kann daher durchaus eine Wirkung haben, wenn sich die öffentliche Stimmung gegen Papiermedien wendet - wovon sich die Media-Entscheider beeinflussen lassen. Aus Sicht professioneller, journalistischer Medien wäre es allerdings fatal, das Papier ins Zentrum der Krise zu stellen. Ebensogut könnte man fragen, was man denn bitteschön mit dem Wohnungsbrand zwei Etagen tiefer zu schaffen hat. Es brennt nämlich auch bei redaktionellen Online-Medien und nicht zuletzt bei den Media-Agenturen selbst. Der Brand heißt Social Media, und das Haus heißt Werbung. Die sozialen Medien haben das Zeug, einen Teil der klassischen Werbung zu transformieren und einen anderen Teil zu vernichten. Samt der daranhängenden Geschäftsmodelle.

Der nachhaltige Verlust des Privilegs der Reichweite

Bisher schien Googles Anzeigenvermittlung Adsense wegen ihrer gnadenlos billigen Effizienz der Alptraum der werbeabhängigen Medien. Dabei sind Google-Anzeigen zwar effektiv, entfalten aber mit ihren blaugrün verlinkten Textbröckchen die Emotionalität einer Exceltabelle. Weil seit Jahren das Gefühl als Leitstern der Werbung betrachtet wird ("Ich liebe es!"), kann und wird das nicht alles sein. Jüngst hat Facebook seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen geändert  - und damit wird der Aufbau eines externen, mit Google Adsense vergleichbaren Werbenetzwerks wahrscheinlicher. Nur eben social und damit erheblich emotionaler. Der wahre Alptraum der werbeabhängigen Medien aber, offline wie online, ist der nachhaltige Verlust des Privilegs der Reichweite durch die sozialen Medien - ungünstig verbunden mit dem eigenen Hunger nach Geschichten.

Vorbotin des ersteren ist Lady Gaga, die Ende November 2012 einen Twitteraccount mit über 31 Millionen Followern führt. Wozu braucht sie mit dieser selbstkontrollierten Reichweite noch Medien, von teurer Werbung für ihre Produkte ganz zu schweigen? Wenn sie auf ihrer eigenen Seite ihre MP3s verkaufen würde, bräuchte sie nicht einmal Plattenfirmen, sondern nur noch Plattformen. Die Struktur der sozialen Medien macht es für große Marken wie Lady Gaga oder andere große Marken attraktiv, ihre Zielgruppe dort zu versammeln und diese ohne Mittler direkt zu erreichen. Gerade große Marken sind jedoch die Umsatzbringer der Werbewelt. Dieser Weg ist noch am Anfang, was die messbaren Ergebnisse angeht. Aber denkbar ist, dass sich ein guter Teil der Werbung als inszenierte Kommunikation in sozialen Netzwerken abbilden lässt.

Noch unmittelbarer aber wirkt der Hunger der werbefinanzierten Medien nach Geschichten. Felix Baumgartners Sprung aus einem Ballon, volldurchsponsert von Red Bull, soll etwa 50 Millionen Euro gekostet haben. Nach der unfassbar umfassenden Berichterstattung auf grob geschätzt sämtlichen werbefinanzierten Massenmedien des Planeten - wer könnte Red Bull verübeln, wenn sie fortan gar keine teuren Werbekampagnen mehr buchen? Und stattdessen mit groß inszenierten Ereignissen in genau den gleichen Massenmedien stattfinden, nur eben nicht als lästige, adgeblockte Werbung, sondern als Aufmacher mit Actionticker? Wäre es nicht sogar ohne weiteres vorstellbar, dass die besten Plätze im Wetterballon, mit dem Baumgarnter demnächst vom Mond herunterspringt, unter den Medien versteigert würden?

Ein bloßes Event als Gesellschaftsereignis mit Nachrichtenwert darstellen

Im Moment dürften sämtliche Konzerne der Welt mit ihren Agenturen überlegen, wie sie Red Bulls Geniestreich nachmachen können. Und die dort ausgegebenen Gelder vermindern die Werbebudgets. Zusätzlich vereinfacht die Funktionsweise der sozialen Medien enorm, ein bloßes Event als Gesellschaftsereignis mit Nachrichtenwert darzustellen: Wenn so viele Leute darüber twittern, muss man wohl darüber berichten. Aus Sicht der werbetreibenden Konzerne liegt die Zukunft der Werbung nicht nur neben Inhalten, sondern auch in Inhalten.

Im 20. Jahrhundert waren des exklusiven Zugangs zur Reichweite wegen die Unternehmen abhängig von redaktionellen Medien. Diese Abhängigkeit löst sich langsam auf und dreht sich sogar um. Und das in allen Mediensegmenten. Thomas Koch, Überexperte und Elder Schnurrbart der deutschen Media-Agenturen-Szene, sagt: "Corporate Publishing [also Unternehmensmagazine] ist das einzige Print-Segment, das richtig boomt". Im Privatfernsehen werden Sendungen häufig erst dann ernsthaft geplant, wenn ein Sponsor gefunden ist - der natürlich Mitsprache beim Sendungskonzept hat. Und im Netz herrscht ohnehin ein Überangebot an Werbeflächen, was außerhalb von wenigen, sehr großen Medienmarken einen substantiellen Preisverfall zur Folge hat. Und damit eine immer größere Abhängigkeit werbefinanzierter Medien.

Frank Schirrmacher denkt in der "FAS" über die Zukunft des Journalismus nach  und fragt dabei nach dem "gesellschaftlichen Preis der neuen Technologien". Weil die Finanzierung unabhängiger, journalistischer Medien durch Werbung erheblich schwieriger wird, finden sich die Antworten auf diese Frage um diese drei Felder herum:

  • bezahlte Inhalte, das ungeliebte Wunschkind der Netzverleger - wobei sich bezahlte und unbezahlte Inhalte verhalten wie Zucker und Salz: Es kann kaum ernsthaft um ein Entweder-Oder gehen;
  • Man wird anfangen müssen, über einen oder mehrere Journalismus-Fonds nachzudenken, die die Geburtsfehler der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (wie übergroße Abhängigkeit von der Politik) vermeiden;
  • und schließlich wird wenig an verbindlichen, transparenten und sanktionierten Regeln für unternehmensfinanzierten Journalismus vorbeiführen. Schon der inneren Maggie Thatcher aller gesellschaftsuninteressierten Controller wegen.

tl;dr

Soziale Medien und Inszenierungsintelligenz reduzieren Werbebudgets. Die Refinanzierung des Journalismus braucht also zusätzliche Instrumente.

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