Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Friedrich im Land der Phantasie

Innenminister Friedrich verschließt sich in der NSA-Affäre vor der Realität: In seinen Augen werden Beweise zu bloßen Behauptungen. Es ist unmöglich, mit so jemandem ernsthaft politisch zu diskutieren.

Das TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück war ein verfilmtes Wahlplakat: Es wirkte weitgehend wie betreutes Monologisieren - und hatte doch einen Erkenntnisgewinn.

Peer Steinbrück wurde mit der unüberraschenden, aber nicht ungeschickten Frage konfrontiert, ob Politiker genug verdienten. Seine sachte angepatzte Antwort : "Glauben Sie im Ernst, dass ich darauf je in meinem Leben noch mal eingehe? Niemals!" Das sollte vermutlich eine Art Scherz sein, aber erinnerte daran, dass es in der Politik von Vorteil sein kann, bestimmte Themen zu ignorieren. Die Frage ist nur, um welchen Preis.

Die jüngste Eskalation der Spähaffäre müsste selbst diejenigen erschüttern, die eine Totalüberwachung für superfamos halten. In der ZDF-Sendung "Illner Intensiv" vom 28. August 2013  kündigte Bundesinnenminister Friedrich endgültig den seinerseits ohnehin brüchigen Pakt mit der Realität auf:

  • "Es ist Kommunikation aus Afghanistan, die unsere Soldaten dort schützen soll, die analysiert wird, Taliban-Angriffe [...] das ist das, was aus dieser Folie, die Herr Snowden vorgelegt hat, übriggeblieben ist."

Nachdem der BND bereits zugab, dass er allein im Dezember 417 Millionen Verbindungsdaten übermittelte , scheint eine Reihe Taliban mit Verwandten in Deutschland ein wirklich massives Telefonsuchtproblem zu haben. Oder es handelt sich auch um andere Verbindungen, und Friedrich sagt die Unwahrheit. Völlig abgesehen davon, dass Snowden sehr, sehr viel mehr als eine Folie vorgelegt hat. Und inzwischen eine Reihe anderer Quellen vorliegen.

  • "Wenn es Wirtschaftsspionage gegeben hätte von Seiten befreundeter westlicher Dienste, wäre das völlig inakzeptabel, und dann wäre auf jeden Fall eine Linie überschritten. Aber es gibt dafür keinerlei Belege."

Schon im Jahr 2000  schrieb der ehemalige Chef des CIA, James Woolsey, den Artikel "Ja, wir haben euch ausgehorcht" und gab ausdrücklich zu, Unternehmen ausgeforscht zu haben: "Richtig, meine kontinentalen Freunde, wir haben euch ausspioniert, weil ihr mit Bestechung arbeitet." Es hat also Wirtschaftsspionage gegeben, und Woolsey gibt zu, dass es sich um eine fortdauernde Angelegenheit handelt.

Die Debatte hat laut Angela Merkel beendet zu sein. Informationen, die dieser Wunschwirklichkeit entgegenstehen, werden schlicht nicht angenommen. Vor diesem Hintergrund muss der Satz Friedrichs betrachtet werden: "Ich gehe davon aus, dass amerikanische Stellen uns nicht ausspionieren." Dabei steht - unwidersprochen von der NSA - Deutschland auf der Liste der Spionageziele mit EU-weit höchster Priorität .

Da ist es egal, dass kurz zuvor bekannt wurde, dass das Uno-Hauptquartier ausspioniert wurde. Und nach Friedrichs Auftritt, dass die amerikanischen Dienste französische Diplomaten, die Regierungschefin Brasiliens und einen Präsidentschaftskandidaten Mexikos abhörten. Und nicht nur mitgelesen wurde, sondern auch geschrieben: Die NSA baut eine Art Bot-Netz auf, indem weltweit Computer manipuliert werden.

Was wären in Friedrichs Augen Beweise?

Informationen vom "Guardian", der "Washington Post", vom SPIEGEL und vielen anderen wischt Hans-Peter Friedrich weg: "Es gibt Behauptungen, die aufgestellt werden, die nicht belegt sind und nicht bewiesen sind, und das ist nicht in Ordnung." Was wären in Friedrichs Augen Beweise? Weder die scheibchenweise auflaufenden Eingeständnisse der Dienste selbst noch investigativjournalistische Ergebnisse akzeptiert er. Vermutlich würde es ihm nicht einmal ausreichen, falls Obama persönlich erwischt würde, wie er im Büro des Uno-Generalsekretärs eine Wanze am Diskettenlaufwerk festschraubt.

Auf einmal wirkt Ronald Pofallas Lavieren beinahe verantwortungsvoll, denn der hatte zur Spähaffäre absurd gewundene Formulierungen benutzt. Gerade das an sich erbärmliche Winden erfordert aber ein Minimalunwohlsein damit, die platte Unwahrheit zu sagen. Es ist eine Leistung, in der Spähaffäre Pofalla im Kontrast besser aussehen zu lassen.

Bei "Illner Intensiv" legte Friedrich schließlich einen letzten Kippschalter um und sich zu Snowdens Leaks fest: "Es ist alles überprüft." Ein abschließende Handbewegung folgt. "Es werden normale Bürger in diesem Land nicht ausspioniert, weder von unseren Diensten noch von amerikanischen Geheimdiensten." Was meint Friedrich mit "diesem Land"? Phantasialand? Eben noch wurden Geheimdokumente, deren Echtheit sogar Obama nicht bezweifelte, zu Behauptungen von Medien. Jetzt, allein durch das Verstreichen von Sendezeit, ist schon das Gegenteil bewiesen von dem, was in den Papieren steht. Und das Gegenteil von dem, was Parteichef Horst Seehofer sagt, der explizit "noch nichts ausreichend geklärt" sieht.

Wie kann man mit so jemandem ernsthaft politisch diskutieren? Einer Person, die offenbar jeden Medienbericht aus noch so seriöser Quelle als Behauptung abtut? Die Antwort: Es ist unmöglich. Der Innenminister hat seine eigene politische Realität geschaffen, eine Friedrich-Blase, in der er allein die Regeln bestimmt und die Existenz von Beweisen. Das ist der Abschied von jeder demokratischen Diskussionsmöglichkeit, das implizite Ende der Kontrollfunktion der Medien und damit das Ende jeder persönlichen Verantwortung. Friedrich gibt eine Darstellung der drei Affen - nichts hören, nichts sehen, nichts sagen - gleichzeitig in Personalunion. Das ist Realitätsverleugnung als politisches Konzept.

Im Verlauf des TV-Duells gab Angela Merkel zur Spähaffäre zu, dass "Vertrauen verlorengegangen" sei. Eigentlich merkwürdig, es ist doch gar nichts passiert.

tl;dr

Innenminister Friedrich erklärt, sämtliche Medienberichte zur Spähaffäre seien a) unbewiesen oder b) falsch. Keine Pointe.

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