Schwarm-Kommunikation Öko-Revolution per Internet
"The Revolution will not be televised", rappte der afroamerikanische Dichter und Sänger Gil Scott Heron 1970. Der Satz, der bald zum geflügelten Wort wurde, soll bedeuten, dass Veränderungen live geschehen, in Echtzeit, ohne Chance auf Wiederholung. Und dass sie nicht von oben kommen, sondern von unten: Echte Revolutionen müssen vom sogenannten kleinen Mann getragen werden. Wenn der beginnt, anders zu denken, dann ändert sich etwas.
2009 könnte er noch etwas anderes bedeuten: The revolution will not be televised - it will be online.
Es gibt politische Kommentatoren, die sagen, der Siegeszug von Barack Obama wäre ohne seinen fulminanten Web-Wahlkampf nicht möglich gewesen. Die Verknüpfung von Web-Videos, Blog-Einträgen, Social Networks, Mikroblogging, Foto-Sites und eigenen Web-Auftritten: All das hat ein gewaltiges mediales Echo erzeugt, hat die Botschaft des Präsidenten zur Bewegung wachsen lassen, und Obama hat Millionen von Dollar für seine "Change"-Bewegung über das Netz akquiriert.
Zwar stottert Obamas Online-Maschine inzwischen etwas, und beim Krisenmanagement muss der neue Hoffnungsträger lernen, dass er mit den gleichen Widerständen und Hindernissen zu kämpfen hat wie die Präsidenten vor ihm. Trotzdem bleibt der Web-Wahlkampf eine eindrucksvolle Demonstration dafür, welche Meinungsmacht eine gut orchestrierte Nutzung der neuen Kommunikationskanäle entfalten kann.
Obamas Web-Wahlkampf befeuert damit die Visionen zahlreicher Kommunikationswissenschaftler, Vordenker und Weltverbesserer, die das Web als basisdemokratische Waffe begreifen, als eine Plattform, über die Bürger blitzartig Protestgruppen bilden, um geballt ihre Interessen zu vertreten.
Nächste demokratische Evolutionsstufe
Bislang beschränkten sich solche Schwarmformationen auf eher kleine Aktionen wie die sogenannten Flashmobs, die über das Netz verstörende Gruppenaktionen organisieren. Aktuell sorgt der geballte Protest der Facebook-Nutzer gegen eine Aushöhlung der Privatsphäre oder das neue Layout der Community für Aufmerksamkeit, der das Unternehmen dazu bewegte, bereits getätigte Änderungen neu zu überdenken.
Jetzt scheint das Bewusstsein über das revolutionäre Potential des Webs allmählich im Mainstream anzukommen. Ex-Präsidentschaftskandidat Al Gore und Google-Chef Eric Schmidt behaupten, dass das Internet reif für die nächste Evolutionsstufe sei. Sie halten es für möglich, dass das Netz in den kommenden Jahren seine erste globale Bewegung in Gang bringen wird, eine Öko-Bewegung, die unser Verhalten darüber, wie wir mit Energie umgehen, grundlegend verändern könnte.
Wie die Online-Öko-Revolution aussehen könnte und ob sie tatsächlich stattfinden wird, diskutierten in dieser Woche Web-Vordenker auf der Earth2Tech-Konferenz in San Francisco. Sie schreiben dem Web vor allem in zwei Punkten das Potential zu, unser Umweltdenken zu revolutionieren.
"Das Internet kann erstens unsichtbare Umweltsünden sichtbar machen", sagte Ron Dembo, Chef des Start-ups Zerofootprint , das Menschen dabei hilft, ihren eigenen Energieverbrauch zu messen, ihn zu optimieren und damit Geld zu sparen. "Zweitens wird es Umweltsünder aus der Einsamkeit in die Gruppe überführen." Energieverschwendung betreibe bislang jeder für sich selbst. Dembo glaubt, dass sich im Netz bald große Gruppen bilden werden - und damit eine Art kollektives Gewissen, das uns zwingen werde, unseren Umgang mit Energie kritischer zu reflektieren.
Tatsächlich entsteht gerade eine neue Start-up-Generation, die solcherlei Web-Anwendungen entwickelt. Es gibt Übersetzungstools wie One did it , die den täglichen Energieverbrauch eines Menschen in greifbarere Einheiten wie Cash oder Kilogramm umrechnen, Anwendungen wie Visiblenergy , mit denen man die heimischen Steckdosen via Handy an- und ausschalten kann, oder Anwendungen wie GoodGuide.com , die Nutzern im Supermarkt mitteilen kann, wie viel Kohlendioxid zur Herstellung des Fertiggerichts verbraucht wurde, das er gerade in den Einkaufswagen legen will. All diese Applikationen zielen darauf ab, Menschen dazu zu bewegen, das eigene Verhalten zu ändern.
Wie man Nutzer dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern
Inwieweit Menschen sich von einer Software tatsächlich vorschreiben lassen, was sie tun können und lassen müssen, hat Erin Carlson untersucht. Sie leitet "Yahoo for good", ein Non-Profit-Weltverbesserer-Portal, das der lila Suchmaschinenriese zusammen mit Cisco und AOL betreibt.
Kürzlich hat Carlson auf dem reichweitenstarken Web-Portal Yahoo.com mehrere tausend Nutzer zu ihrem eigenen Öko-Verhalten befragt. Zwar ist die Umfrage nicht repräsentativ, sie skizziert aber grob, dass Nutzer aus ganz verschiedenen Gründen bereit sind, ihr Energieverhalten zu ändern:
- Persönliche Betroffenheit: 23 Prozent der Befragten gaben demnach an, sich stark um einen energiesparenden Lebensstil zu bemühen. Diese Gruppe umfasst vor allem jüngere Nutzer - und überdurchschnittlich viele Mütter, die sich offenbar um die Zukunft ihrer Kinder Sorgen machen.
- Mode- oder Gruppenzwang: 24 Prozent der Befragten gaben an, Umweltschutz "hip" und "trendy" zu finden - und sich zu engagieren, weil es ihre Freunde auch tun. Mitglieder dieser Gruppe sind ebenfalls eher jung und haben einen diversifizierten ethnischen Hintergrund.
- Geld: 15 Prozent der Befragten, zumeist ältere Nutzer, gaben an, aus Kostengründen auf den eigenen Energieverbrauch zu achten.
Allgemeine Horrorszenarien zum Klimawandel beeindruckten die Befragten dagegen kaum. "Angst und moralische Vorwürfe bringen die Befragten tendentiell nicht dazu, ihr Verhalten zu ändern", sagt Carlsson.
Öko-Start-ups könnten also immer dann etwas bewirken, wenn sie Menschen Möglichkeiten eröffnen, mit Umweltschutz die eigene Lebensqualität zu steigern. "Die ideale Anwendung hätte eine Menüleiste, aus der jeder Nutzer die Hobbys und Vorlieben auswählen kann - und die ihm dann eine individuelle Öko-Strategie entwirft, die für die eigenen Bedürfnisse vorteilhaft ist", sagt Carlsson.
Umweltbewusstsein durch Gruppenzwang
Auch die Vernetzung von Menschen zu energiebewussten Communitys spiele eine tragende Rolle. "Erst der Vergleich mit anderen gibt uns die Gelegenheit, uns selbst einzuschätzen", sagt Alexis Madrigal, Greentech-Experte bei "Wired". "Und er schafft einen Anreiz, uns beständig selbst zu kontrollieren."
Jason Karas, Präsident von Carbonrally.com , betreibt eine solche Öko-Community. Seine Plattform macht Öko-Aktivismus zudem zum Wettbewerb. Nutzern werden kleine Aufgaben gestellt, mit denen sie ihren Energieverbrauch senken. Ihre Erfolge können sie mit denen anderer Nutzer vergleichen. Mehrere Nutzer können sich zu Gruppen zusammenschließen und gegen andere Gruppen antreten. Firmen bietet dieser Wettkampf eine Plattform für PR-Aktionen. "Eitelkeit und die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu bekommen, können treibende Faktoren zu einem umweltbewussteren Leben sein", sagt Karas.
Ob Öko-Dienste und soziale Netzwerke tatsächlich ausreichen, um ein flächendeckendes Umdenken in der Gesellschaft auszulösen? Madrigal zufolge müssten dazu vermutlich sehr große, weltumspannende Communitys entstehen, die aus sich selbst heraus so viel Öffentlichkeit generieren, dass sie auch Menschen außerhalb des Netzwerks beeinflussen.
Das gäbe Gil Scott Heron recht, der die Revolution von der Straße ausgehen sah und von der Veränderung der Geisteshaltung der Massen, nicht von den großen Leitfiguren, von Prominenten und Politikern. Wenn die Masse grün denkt, heißt das, ist die Öko-Revolution da. Vielleicht reicht es wirklich schon, dass Menschen im Internet ihre Öko-Botschaft verbreiten - und diese dann über Twitter und Facebook, über Zeitungen und Fernsehen zur Bewegung anschwillt. Vielleicht braucht sie noch nicht einmal einen Obama.