Selbstzensur in China Google wird böse

"Seid nicht böse" lautet das Firmenmotto von Google - und genau das bekommt die Firma nun rechts und links um die Ohren gehauen. Dass der Suchmaschinen-Riese die staatliche Zensur in China mitträgt, verzeiht man ihm noch weniger als der Konkurrenz - die samt und sonders längst dabei ist.

Seit Google an der Börse ist, produziert das Unternehmen unermüdlich Nachrichten. "Good news" sollen den Aktienkurs weiter antreiben. Doch selten sorgte die Suchmaschine für so gewaltige Schlagzeilen wie heute: Da gab Google bekannt, dass die Firma nun auch mit einer chinesischen Internetadresse vertreten sein würde. Bisher waren chinesische Suchanfragen an Google stets über die Vereinigten Staaten gelaufen - unzumutbar langsam und unzuverlässig, denn nie wusste man, ob der Suchende seine Antwort bekommen würde.

Was wohl weniger an der physischen Entfernung lag, als an der mentalen sowie politischen: Was man im "Westen" den Bürgern an Informationsfreiheit gönnt, wird im Reich der Mitte erst einmal gefiltert. Im Lande dürfen sich dann nur Firmen engagieren, die diese Filterei mittragen, sprich: den Informationsfluss gemäß den Richtlinien der chinesischen Regierung zensieren.

Und genau so sahen die Schlagzeilen dann auch aus, die Google am Mittwoch erntete: "Google knebelt sich in China selbst" ("Herald Tribune") war zu lesen, "Google zensiert Inhalte in China" (CBC), "Google startet zensierte Suche" ("USA Today"), "Google wird zum weiteren Ziegel in Chinas großer Firewall" ("The Age"), "Google sagt Okay zu Chinas Zensur" (UPI), "Google zensiert nun in China" (Searchengine Watch) oder "Google beugt sich Chinas Druck" ("San Francisco Chronicle"). Hunderte von Artikeln miesester Presse, wie sie das Unternehmen noch nicht erlebt hat.

Google reagierte schnell und vor Ort.

In China verlas ein Google-Sprecher - dramatisch darauf hinweisend, dass er zum Schutze der eigenen Person und der knapp 50 chinesischen Google-Angestellten anonym bleiben müsse und so oder so nur ein schriftliches Statement verlese - eine Erklärung, die den Schritt zum "Mitmachen" als Dienst am chinesischen Surfer deutet.

"Während die Entfernung von Suchergebnissen nicht mit den Zielen von Google zu vereinbaren ist", hieß es da, "verträgt es sich noch weniger mit unserem Auftrag, keine Informationen zur Verfügung zu stellen (oder eine so stark eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit, dass dies auf die Nicht-Zurverfügstellung von Informationen hinausläuft). Google.cn wird den Internetnutzern in China bedeutende Vorteile bieten."

Glaubwürdigkeitsverlust

Genau das aber bezweifeln Kritiker. Zensierte Suchmaschinen stellt den Chinesen bereits die Garde der Google-Konkurrenten zur Verfügung - und auch MSN oder Yahoo gerieten deshalb in den letzten Jahren in die Kritik. Ihnen aber fiel es leichter, ihr Tun zu rechtfertigen als der Firma Google, die doch immer anders sein wollte als die anderen: "Seid nicht böse" heißt das Firmenmotto. Dass Google den direkteren Zugang zum am schnellsten wachsenden, bald größten Internet-Markt der Welt nur sucht, damit den Nutzern dort nichts entgeht, ist nicht glaubhaft - vor allem, wenn der Preis dafür Zensur heißt, durch die den dortigen Surfern eben all das entgeht, was ihnen die Google-Konkurrenten auch nicht bieten.

Yahoo hatte es da, trotz heftigster Kritik, vor einigen Monaten leichter: Das Unternehmen argumentierte, die Zensur und Kooperation mit den Polizeibehörden sei eine Notwendigkeit, wenn man in China seine Geschäfte machen wolle. Spiele man nicht mit, werde man eben vor die Tür gesetzt.

Das ist zwar durch und durch unmoralisch, aber dafür ehrlich und transparent, wenn man so will. Während Google laviert und nach Begründungen sucht, outen sich die Konkurrenten schlicht als gierig. Völlig unabhängig von der Google-Nachricht verwies noch am Dienstag Yahoo-Finanzchefin Susan Decker darauf, dass Yahoos künftige Marktposition vor allem von seiner Positionierung im "asiatischen Markt" abhängen werde.

Für Google ist all das ein erhebliches Imageproblem. Gerade noch gefeiert wegen seines Widerstandes gegen die US-Regierung, die über den Suchdienst Daten erfassen wollte, während die liebe Konkurrenz auch hier willfährig mitspielte, steht Google nun selbst am Pranger. Reporter ohne Grenzen beklagte die "Schande" und verwies darauf, dass ein solcher Schritt der chinesischen Regierung die Zensur des Web erleichtern würde.

Gut und gierig?

Als ob das nicht sowieso geschehen würde: Auch die Zugriffe auf Google in den USA waren zensiert, nur eben von staatlicher Seite. Jetzt übernehme Google die Aufgabe eben selbst, meint dazu SearchEnginewatch. Da es keine klaren Vorgaben darüber gibt, was erlaubt ist und was nicht, wolle Google seine Freiräume und Beschränkungen in der Praxis ausloten, erwartet SearchEnginewatch. Und verweist darauf, das Google Suchergebnisse auch in anderen Teilen der Welt zensiere - angeblich auf Bitten der dortigen Regierungen. Das Paradebeispiel sei hier die Zensur von Neonazi- und Antisemitenseiten in Deutschland und Frankreich, was ebenfalls der freien Meinungsbildung widerspreche. Wenn man wollte, so SearchEnginewatch, könne man die Nachricht, dass Google nun aktiv an der Zensur teilnehme, also "aufblasen".

Aber Google will "nicht böse sein" und verknüpft sein Firmenimage selbst mit einer moralischen Kategorie. Kann man beides wirklich auf eine Stufe stellen? Einerseits die Entfernung von Naziseiten oder Kinderporno-Angeboten vom Index einer Suchmaschine - und andererseit die Abschottung von Millionen Menschen von jeglicher Information zu Themen wie "Demokratie" oder "Menschenrechte"? Verträgt sich das mit: "Seid nicht böse?"

Google wollte anders sein und wurde mit diesem Anspruch bisher auch ernstgenommen. Damit aber verträgt sich ein Vertrag nicht, der Google nicht nur zur Selbstzensur verpflichtet, sondern auch dazu, in China keine Instrumente zur freien Meinungsäußerung zur Verfügung zu stellen. Blogs, E-Mail-Dienste, Forenzugänge und ähnliches wird es von Google in China deshalb nicht geben. Auch wenn sich die Manager im Google-HQ noch immer einreden, sie seien nicht böse - mit ihrem Kotau vor den chinesischen Machthabern haben sie heute viel von der Sympathie verspielt, mit der sich die Suchmaschine in wenigen Jahren zur wichtigsten Marke im Web entwickelt hatte.

Die Maßstäbe, an denen die Google-Macher heute gemessen werden, haben sie selbst gesetzt.

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