Aus für SETI@Home Alien-Suche eingestellt, jetzt ist das Virus dran

Ist da draußen jemand? - SETI@Home
Foto: eikman/ SETI@HomeDie Neunzigerjahre waren gute Zeiten für Alien-Fans. Im Fernsehen lief "Akte X", Astronomen entdeckten die ersten Exoplaneten , und dank einer Erfindung namens World Wide Web konnten sich Enthusiasten online austauschen. Und dann kam SETI@Home : Die 1999 erschienene Software ermöglichte es, dass jeder mit einem Internetanschluss einen kleinen Teil der Leistung seines eigenen Computers abgeben konnte, um Wissenschaftler bei der Suche nach außerirdischem Leben zu unterstützen.
Damit ist jetzt Schluss: Am 31. März wird SETI@Home nach fast 21 Jahren eingestellt.
Die Nachricht löste gerade bei älteren Internetnutzern eine gewisse Wehmut aus. Denn SETI@Home war eines der ersten großen Mitmachprojekte im Internet, ein Vorreiter in Sachen digitaler Bürgerwissenschaft. Und das zu einer Zeit, als in Haushalten die Modems piepsten und Google noch ein kleines Start-up mit einem lustig klingenden Namen war.
Eine Gruppe aus Informatikern und Astronomen mit Verbindungen zum Space Science Laboratory (SSL) im kalifornischen Berkeley hatte Mitte der Neunziger die Idee: Bei der Suche nach außerirdischem Leben (Search for Extraterrestrial Intelligence, kurz SETI) mithilfe von Radiosignalen fallen sehr viele Daten an. Um das Rauschen von jenen Signalen zu trennen, die möglicherweise Informationen enthalten, müssen diese Daten analysiert werden. Das könnte man mit leistungsfähigen Servern machen - oder die Arbeit auf viele einzelne Computer verteilen und somit Zeit und Kosten sparen. Zigtausend gewöhnliche Desktop-PCs ergeben schließlich auch einen Supercomputer. Distributed Computing beziehungsweise Volunteer Computing heißt dieser Ansatz.
SETI@Home nimmt Weltall-Aufnahmen des Arecibo-Radioteleskops in Puerto Rico, teilt diese in einzelne Arbeitseinheiten auf und verteilt sie anschließend per Internet an die Nutzerinnen. Auf deren Computern untersucht die Software, ob sich in der Einheit ein Signal befindet, das vom Grundrauschen abweicht. Ist die Analyse fertig, werden die Ergebnisse zurück an das Space Science Laboratory geschickt, und die Teilnehmer erhalten die nächste Einheit zur Bearbeitung.
Inspiriert von "Star Trek"
Klingt simpel, doch zu Beginn des Projekts gab es gleich mehrere Hürden zu meistern, sagt der Informatiker David P. Anderson. Er gehört zu den Gründern von SETI@Home und kümmert sich um die Entwicklung der Software. Zum einen mussten die Rohdaten des Teleskops erst einmal verarbeitet werden. "Das Teleskop ist mitten im Dschungel, und dort gibt es bis heute keine schnelle Internetverbindung", sagt Anderson. Deshalb speicherte das Team die Daten zunächst auf Digital Linear Tape mit je 35 Gigabyte und schickte sie regelmäßig per Post von Puerto Rico nach Berkeley.
Zum anderen musste die Software entwickelt werden. Distributed Computing war zwar kein neues Konzept mehr, aber SETI@Home musste auf den unterschiedlichsten Computern laufen und durfte weder zu viel Rechenleistung noch Bandbreite wegnehmen. Deshalb hat die Software zunächst nur dann gearbeitet, wenn der Bildschirmschoner anging, der Computer also Leerlauf hatte. Auch wenn das inzwischen nicht mehr der Fall ist, ist dieser Bildschirmschoner das "Gesicht" von SETI@Home geblieben: In Retro-Pixeloptik kann man zusehen, wie das Programm im Hintergrund die Radiosignale Einheit für Einheit untersucht. Die ursprüngliche Grafik hat Anderson persönlich gestaltet. Er sei aber kein Designer, sondern habe sich einfach von den Bildschirmen in den Raumschiffen von "Star Trek: The Next Generation" inspirieren lassen.
Nach dem Start im Mai 1999 stellten allein in der ersten Woche 200.000 Menschen dem Projekt etwas Rechenleistung zur Verfügung. Drei Jahre später waren es fast vier Millionen. Das Interesse überforderte sowohl die Initiatoren als auch die Technik. "Wir hatten am Anfang genau zwei Computer, auf denen das System lief: Auf einem lag die Datenbank, der andere war für die Clients zuständig", sagt Anderson. Weil sie zunächst nur mit maximal 50.000 Nutzerinnen gerechnet hatten, sei die Kapazität entsprechend schnell ausgeschöpft gewesen. "Das erste Jahr haben wir eigentlich nur damit verbracht, die Server auszubauen."
Vor allem an einen Tag erinnert sich der Informatiker bis heute: "Jeden Morgen konnten wir sehen, wie viel Rechenzeit alle angeschlossenen Computer geschafft haben. An diesem einen Tag, noch recht am Anfang, waren das 1000 Jahre. Das heißt: Ein einzelner PC hätte damals 1000 Jahre für die Arbeit benötigt, die SETI@Home in 24 Stunden geschafft hat. Es war fantastisch."
Community für "Space Buffs" und "Hardware Hacker"
SETI@Home hat einerseits die popkulturell Interessierten abgeholt, die die Suche nach Außerirdischen faszinierend fanden. Aber eben auch die Nerds, die stolz ihre privaten Computer in den Dienst der Wissenschaft stellten und vielleicht hofften, damit tatsächlich Aliens zu finden. "Bis heute bekomme ich regelmäßig E-Mails mit Screenshots, die mutmaßlich Alien-Signale zeigen", sagt Anderson, "aber es ist dann doch immer nur Rauschen." Bis heute hat das Projekt kein Signal gefunden, das auf außerirdisches Leben hindeuten würde.
Um die Nutzer an das Projekt zu binden, gab und gibt es bis heute auf der Website Bestenlisten und Abzeichen für User, die die meisten Einheiten analysiert haben. Mehrere User schlossen sich zu Teams zusammen , die wiederum im Wettbewerb miteinander standen (und dabei manchmal versuchten, die Software zu überlisten). Auf der Website konnte jeder ein persönliches Profil erstellen und sich in den Foren austauschen . So war SETI@Home in gewisser Weise auch ein soziales Netzwerk, das sich Gamification-Mechanismen bediente.
Wie es in einer 2019 im französischen Fachmagazin "Réseaux" erschienenen Untersuchung heißt, trug das maßgeblich dazu bei, dass die Teilnehmenden, darunter "Space Buffs" und "Hardware Hacker", sich stärker mit dem Projekt identifizieren konnten. Der Anspruch sei es gewesen, "ein passives TV-Publikum für die Förderung der Wissenschaft zu begeistern", schreiben die Forschenden.
Die Bürgerwissenschaft im Netz geht weiter
In den vergangenen Jahren nahm die Anzahl der angeschlossenen Rechner langsam ab. Derzeit gibt es noch rund 90.000 aktive User . Die schwindende Nutzerzahl habe aber nichts mit der Entscheidung zu tun, das Projekt auf Nutzerseite einzustellen, sagt David Anderson. Es sei nun einfach an der Zeit, die riesigen Datenmengen, die über all die Jahre angefallen seien, abschließend zu untersuchen und die Erkenntnisse in einer Studie zusammenzufassen.
"Für wissenschaftliche Zwecke hätten wir schon vor fünf oder zehn Jahren aufhören können", sagt Anderson. "Wir sind irgendwann an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht mehr wussten, wie wir die gesammelten Daten im Backend analysieren sollten." Inzwischen arbeite er vor allem daran, die Algorithmen zu verbessern. Und weil das viel Zeit frisst, sei es an der Zeit, andere Prioritäten zu setzen. Offiziell sprechen die Verantwortlichen von "Winterschlaf"; sie schließen nicht aus, dass es in Zukunft ein neues SETI-Projekt zum Mitmachen geben wird. Laut Anderson gebe es aber noch keine konkreten Pläne.
Die Bürgerwissenschaft im Netz mithilfe von Volunteer Computing geht trotzdem weiter. Die Software BOINC, die Anderson ursprünglich für SETI@Home entwickelt hat, wird längst für andere Projekte verwendet, in denen viel vereinte Rechenpower gefragt ist. Für MilkyWay@Home etwa, das ein 3D-Modell der Milchstraße erstellen will. Oder für LHC@Home , das die Prozesse im Teilchenbeschleuniger am Cern simuliert.
Und auch Folding@Home sowie Rosetta@Home , die sich mit der Proteinfaltung in der Krankheitsforschung beschäftigen, freuen sich in diesen Tagen über neue Freiwillige: Beide Projekte möchten nämlich aktuell Wissenschaftlern dabei helfen , die Struktur des Coronavirus Sars-CoV-2 zu untersuchen. Das mag nicht ganz so spannend sein wie die Suche nach Aliens. Aber dafür sind die Erfolgsaussichten um einiges höher.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, SETI stehe für Search for Extraterrestrial Life. Wir haben das korrigiert, die Abkürzung steht für Search for Extraterrestrial Intelligence.