Shopping-Blogs Beutezüge vor die Kamera

Lamiya Slimani: Die Musikstudentin verkauft als "The Dorient" Werbung
Elle Fowler kommt gerade aus dem Supermarkt. Sie war einkaufen, eine Dose Nudelsuppe, eine Packung Naan-Brot, Haferflocken. Nun sitzt sie vor ihrer Videokamera, die Papiertüte auf den Knien, und hält ein Produkt nach dem anderen vor die Linse. Sie tippt mit rotlackierten Fingernägeln auf Packungen und erklärt, wo sie etwas gekauft hat und warum . "Haul"-Videos werden solche Prahl-Clips genannt, seit etwa zwei Jahren tauchen auf YouTube immer mehr davon auf: Menschen, die ihre Einkäufe filmen. Und andere sehen sich das an. Was als Ego-Pflege vor der Webcam begann, wird zunehmend zum Geschäftsmodell - was die Glaubwürdigkeit der Shopping-Videos in Gefahr bringt.
Elle ist blond und 22, als "AllThatGlitters21" so etwas wie ein Star auf YouTube, knapp 500.000 Menschen haben ihren Kanal abonniert, bei ihrer Schwester sind es sogar noch mehr . Alle paar Tage veröffentlichen sie Clips voller Glitzerkram: Videos über eben erstandene Seifen, das neue Halstuch - und seit neuestem eben auch über Lebensmittel. Die beiden sind Unternehmerinnen geworden, haben viele Fans - und inzwischen auch eine Menge Feinde . Nicht zuletzt, weil schon im vergangenen Jahr der Vorwurf aufkam, die Schwestern ließen sich für positive Besprechungen bezahlen.
Doch dem Trend zum ausgestellten Einkauf tut das keinen Abbruch. Deutsche "YouTube-Gurus", wie sie sich nennen, ziehen längst nach. "Das ist DSDS auf einer ganz neuen Ebene", sagt Andreas Haderlein, Medien- und Handelsmarketingexperte beim Zukunftsinstitut. Lange seien Frauen von E-Commerce-Strategen nicht als Zielgruppe wahrgenommen worden, mittlerweile komme man um die Social-Shopperinnen nicht mehr herum. Es gehe nicht mehr um Kaufen oder Verkaufen, erklärt Haderlein, sondern um "verkaufen lassen".
Explosionsartiges Wachstum von Suchanfragen
"Social Shopping" ist fest in Frauenhand. Laut dem Branchenverband Bitkom gehören 30 Millionen Deutsche über 14 mindestens einem Social Network an, die Deutschen kaufen und verkaufen online weit mehr als der Durchschnittseuropäer. Themen, die online in den vergangenen Jahren geradezu explosionsartig häufiger gesucht werden: Klamotten und Kosmetika.
"Peer to Peer"-Trend heißt im Marketingdeutsch jetzt die Online-Kommunikation über den eigenen Konsum: Da sind zum einen Seiten wie " Polyvore ", " Stylefruits " oder " Pinterest ", auf denen vor allem Nutzerinnen öffentliche Profile pflegen, liebevoll Outfits oder Zimmerdekos zusammenstellen. Jedes Produktfoto ist direkt verlinkt zur Bezugsquelle, die Online-Shops freuen sich. Auf die Spitze getrieben hat das Prinzip das US-Portal "Fashionstake" mit dem Werbespruch: "Lasst uns Mode demokratisieren."
Nur die Artikel, die die meisten Stimmen der Community bekommen, werden dort überhaupt in den Online-Shop aufgenommen. Und dann gibt es auf der anderen Seite die Shopping-Clubs, zu denen man nur via Einladung gelangt; das karstadtige Brands4Friends - seit Dezember Teil des Ebay-Imperiums -, das edlere französische Vente Privée, Limango oder die Zalando Lounge. Eigentlich nur "Newsletter mit Pseudo-Geheimclub-Gehabe", sagt Haderlein. In der Tat endet der "Social Networking"-Gedanke meist damit, dass man nur über Freunde in den Club kommt. Authentizitätsfaktor gleich null, öffentliche Nutzerprofile, auf denen die Käufer ihre neuesten Errungenschaften zeigen können, gibt es nicht. Die Social-Media-Aktivitäten beschränken sich auf die obligatorische Facebook-Seite und einen YouTube-Kanal mit überschaubaren Zuschauerzahlen: Vente Privée mit seinen angeblich fünf Millionen kaufenden Mitgliedern in Europa hat gerade einmal 34 Abonnenten.
Die deutschen Shopperinnen holen auf
Die Haulerinnen zeigen, wie es geht, auch hierzulande, ganz professionell: Die wichtigsten haben zwischen 25.000 und knapp 50.000 Abonnenten. Sie halten die neue Bluse für 39,95 Euro in die Kamera wie die Musikstudentin Lamiya Slimani oder zeigen ihre Handrücken mit aufgemalten Lidschatten-Proben wie Christina Ann alias ChrissyCosmetic .
Das Imperium von Elle und ihrer Schwester Blair , die eine eigene Agentin haben, einen Online-Shop und für einzelne Produktvorstellungen standardmäßig bezahlt werden, sucht hier zwar noch seinesgleichen. Doch manche änderte infolge ihres YouTube-Erfolges schon ihr Leben: Ebru Zander etwa hängte ihren Zahnarzthelferinnenjob im Herbst an den Nagel, arbeitet nun als freie Visagistin, berichtete für "L'Oréal" von der Berlinale - und wurde Ende Februar beim Deutschen Web-Videopreis von der Jury als "Persönlichkeit des Jahres" ausgezeichnet.
In den USA ist "full disclosure" Pflicht
Manche schaffen es immerhin, mit ihrem Hobby ein kleines Zubrot zu verdienen: Die eine oder andere deutsche Mode-Videobloggerin betreibt inzwischen auch einen Online-Kosmetikshop, einige wurden von YouTube wegen ihrer Abonnentenzahl zu Partnern auserkoren, werden an den Werbeeinnahmen beteiligt, machen Kosmetikfirmen auf sich aufmerksam. So kooperiert L'Oréal Paris nach eigenen Angaben seit Anfang 2010 mit YouTuberinnen und Bloggerinnen, jüngst lud man eine Handvoll zur Berlinale ein. Gerade Beautyfirmen heuern nun Social-Media-Experten an, weiß man doch inzwischen, wie wichtig gefühlte Authentizität fürs Markenimage sein kann: Douglas legte jüngst den Plan auf Eis, eine US-Drogeriemarke hier als Nobellinie einzuführen; die Proteste aus dem Netz waren zu laut .
"Diese Haul-Videos sind viel attraktiver als Shopping TV", sagt Haderlein. Das findet auch die YouTuberin Christina Ann alias "ChrissyCosmetic": "Private Meinungen wirken nun einmal ehrlicher als Werbesendungen", das sei sympathischer, eben deshalb sei sie vor zwei Jahren bei jenen Clips hängengeblieben - um dann selbst welche zu drehen.
Dass es ein schmaler Grat ist zwischen Authentizität und Werbung, ist Rebecca Floeter bewusst. Sie dreht seit zwei Jahren Make-up-Videos . Mittlerweile hat sie an die zehn Sponsoren, die ihr regelmäßig Produkte zuschicken. Aber: "Ich lasse mir nicht diktieren, was ich damit mache", sagt sie. Wenn ihr etwas nicht gefällt, zeigt sie es gar nicht erst, "jedes Mal, wenn ich etwas in die Kamera halte, ist das schließlich auch schon Werbung." Und: "Unsere Zuschauer nervt das in letzter Zeit zunehmend, wir müssen aufpassen, unsere Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren." Manche machen das explizit zum Thema , einige, wie auch Rebecca Floeter, sagen jetzt immer dazu, was sie kostenlos zugeschickt bekommen. In den USA ist das schon seit dem vergangenen Jahr Pflicht.
Geld von den Firmen erhalte sie nur, sagt Floeter, wenn sie auf ein Event hinweise, eine Verlosung ankündige; viel sei es nicht, "immer unter 100 Euro". Sie weiß, dass ihre US-Kolleginnen das x-fache davon bekommen, vermutet, dass die Stars der Branche für die meisten Videos bezahlt werden,und längst davon leben. Ihr Vertrauen schwindet: "Ich kenne mich genug mit Kosmetika aus, ich weiß, was nichts taugt."