Terror in Südfrankreich Wie Fahnder den mutmaßlichen Mörder aufspürten
War es die IP-Adresse, half die Vorratsdatenspeicherung, oder waren die Hinweise von Händlern entscheidend? Derzeit kursieren mehrere Versionen der Geschichte, wie Ermittler den Hauptverdächtigen als mutmaßlichen Mörder von Toulouse identifizierten.
Als sicher gilt, dass der Name Mohammed Merah auf einer Liste möglicher Dschihadisten des französischen Inlandsgeheimdienstes DCRI stand. "Le Monde", "Le Figaro" und "Le Point" berichten dies übereinstimmend unter Berufung auf Quellen aus dem Sicherheitsapparat. Bei den Ermittlungen in der Mordserie habe der Inlandsgeheimdienst DCRI den Fahndern eine Liste mit Namen von Personen aus der Umgebung der Tatorte übermittelt, die beispielsweise wegen Kontakten zu ultrakonservativen Salafisten oder Reisen nach Afghanistan und Pakistan als verdächtig galten.
Laut "Le Monde" umfasste diese Liste zehn Namen. Warum die Ermittler sich dann auf Mohammed Merah konzentrierten? "Le Monde" und "Figaro" berichten übereinstimmend, dass Fahnder die Namensliste vom Inlandsgeheimdienst mit Internet-Nutzungsdaten abgeglichen hätten. Einer der ermordeten Soldaten hatte vor seinem Tod ein Motorrad bei einem Online-Anzeigenportal zum Verkauf angeboten. Offenbar nahm der Mörder Kontakt zu ihm auf und bat um ein Treffen. Dort fiel der erste tödliche Schuss mit der 11,43-Millimeter-Waffe. Laut "Le Figaro" ging aus der Anzeige hervor, dass es sich bei dem Verkäufer um einen Soldaten handelte.
Die Anzeige soll von 580 Nutzern aufgerufen worden sein, Ermittler sollen laut "Le Monde" die Anfragen aus der Umgebung der Tatorte herausgefiltert und dann zu diesen IP-Adressen die Namen der Anschlussinhaber besorgt haben.
Unter den Namen der ermittelten Anschlussinhaber war auch der eines Verwandten des mutmaßlichen Mörders. Laut "Le Figaro" war es seine Mutter, laut "Le Monde" ein Bruder.
Die IP-Adresse der Abrufer hat das Kleinanzeigenportal gespeichert. Es ist leicht zu ermitteln, zu welchen Internetprovidern bestimmte IP-Adressen gehören. Und Provider sind in Frankreich aufgrund eines Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet. Sie müssen ein Jahr lang speichern, welche Kunden zu welchem Zeitpunkt welche IP-Adresse nutzten. Auf diese sogenannten Vorratsdaten dürften in Frankreich Ermittler zugreifen, um Straftaten zu verfolgen und Terroranschläge zu verhindern.
Motorroller-Händler liefert Hinweis auf den Verdächtigen
Wie wichtig die Identifizierung der Nutzer der IP-Adresse im Fall des mutmaßlichen Mörders von Toulouse war, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Denn mindestens eine weitere Spur führte die Fahnder ebenfalls zu Mohammed Merah: Ermittler befragten Händler in der Region, die Motorroller des Modells Yamaha T-Max verkaufen. Einen solchen Roller soll der mutmaßliche Täter benutzt haben.
Ein Händler berichtet von drei Brüdern, die im Besitz eines solchen Modells gewesen sein sollen. Einer der Namen der drei tauchte auf der Liste des Inlandsgeheimdienstes auf, berichtet "Le Monde". Andere Händler sollen von einem Verdächtigen berichtet haben, der sich nach Möglichkeiten zur Deaktivierung des Diebstahl-Überwachungssystems erkundigte.
Streit um Vorratsdatenspeicherung
Es ist wichtig, ganz genau zu erfahren, welche Informationen die Ermittler wie nutzen. Denn ist gut möglich, dass ihr Vorgehen nun in der Debatte über die Vorratsdatenspeicherung als Argument angeführt wird - selbst wenn unklar ist, ob die Ermittler nicht auch auf anderem Weg den Verdächtigen eingekreist hätten oder haben. Derzeit ist nicht einmal klar, ob der mutmaßliche Mörder von Toulouse wirklich aufgrund der Zuordnung der IP-Adresse zu seinem Namen aufgespürt wurde oder ob nicht doch die Hinweise der Motorroller-Händler ebenso hilfreich waren.
Deutschland hat bis heute die EU-Richtlinie (2006/24/EG) zur Vorratsdatenspeicherung nicht in nationalem Recht umgesetzt. Die in Deutschland Ende 2007 eingeführte Vorratsdatenspeicherung wurde vom Bundesverfassungsgericht im März 2010 kassiert. Grundsätzlich verboten wurde die weitgehende Erfassung der Telekommunikationsverbindungen allerdings nicht.
Die Bundesregierung konnte sich bisher jedoch nicht auf eine Neuregelung einigen. Das FDP-geführte Justizministerium blockiert eine Wiederauflage der unter Juristen und Bürgerrechtlern umstrittenen Überwachung. Gegen die Vorratsdatenspeicherung protestierten in der Folge mehrmals Zehntausende Menschen in Berlin und anderen Städten.
Nun droht die EU-Kommission Deutschland offenbar mit einer Klage, sollte nicht bis Ende April eine Umsetzung der Richtlinie in Kraft treten.