Social Networks Balzhilfe mit Intimwissen

Haben Social Networks unser Kontaktverhalten verändert? Kommunikationswissenschaftler der Uni Münster haben mit dieser Fragestellung das Netz StudiVZ unter die Lupe genommen. Was sie fanden: 80 Prozent nutzen das Netzwerk, um andere Profile auszukundschaften - meistens heimlich.
Von Cornelia Lütkemeier

"Der Typ auf der Party letzten Samstag war wirklich süß!": So klingt mitunter die Antwort auf die Frage an eine gute Freundin, wie denn ihr Wochenende so verlaufen sei. Ein neueres Phänomen ist hingegen, dass sie aus dem Stand seine drei Lieblingsfilme, Hobbys, Musikgeschmack, politische Einstellung und Freunde aufzuzählen vermag. Und das, obwohl sie sich auf der Party nur drei Minuten mit dem Mann unterhalten hat.

Neu ist auch, dass ich zwei Stunden später exakt weiß, wie ihr Angebeteter aussieht. Und zwar in allen Lebenslagen. Das StudiVZ macht's möglich. "Dass du aber bloß anonym auf seine Seite gehst", ermahnt mich die Freundin, nachdem sie mir seinen Namen aufgeschrieben hat, "das wäre echt peinlich, wenn der sieht, dass alle meine Bekannten sein Profil ausgecheckt haben!" Mit dieser Scheu - und ihrer Neugier - ist sie offensichtlich nicht allein.

Rund zwei Drittel aller StudiVZ-User haben ihr Profil so eingestellt, dass sie beim Auskundschaften anderer Personen nicht gesehen werden. Und das tun sie oft: 80 Prozent nutzen die Community nach eigenen Angaben, um sich heimlich einen genaueren Eindruck von neuen Bekannten zu machen. 34 Prozent wollen es auch in späteren persönlichen Gesprächen nicht zugeben, dass sie eine Seite angesehen haben.

Den Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der Universität Münster verwundert das starke Interesse an den Profilen nicht: "In den neunziger Jahren glaubte man noch, dass sich im Cyberspace eine völlig neue Welt entfalte, ganz losgelöst vom wahren Leben. Bei StudiVZ oder Xing besteht ein enger Kontakt zur Realität. Man kann nicht mehr in eine ganz neue Rolle schlüpfen."

Sechs Studierende der Universität Münster haben unter der Leitung Neubergers erstmals eine wissenschaftliche Umfrage zum StudiVZ durchgeführt. Mithilfe eines Online-Fragebogens wollten sie von insgesamt 1519 Personen wissen, wozu die Mitglieder die Community nutzen und ob das Netzwerk unser Kontaktverhalten verändert hat.

Ihre Ergebnisse: Andere Kommunikationsformen wie E-Mails, Telefonate oder Treffen werden durch das Netzwerk nicht verdrängt. Dafür findet das Netzwerk bei den meisten Nutzern eifrige Verwendung in der Vorbereitung von realen Kontakten: 80 Prozent schnüffeln damit persönliche Daten potenzieller Kontakte aus. Was man früher mühselig ergoogeln musste, liefern die Profilseiten der Social Networks heute quasi frei Haus.

Was im Netzwerk Freund heißt, ist eher ein Bekannter

Große Unterschiede ergaben sich hier vor allem im Unterschied von engen und losen Kontakten. Bei der Pflege intensiver Freundschaften spiele das StudiVZ eher eine Nebenrolle.

Hier rangiere nach wie vor das persönliche Treffen an erster Stelle, das Netzwerk komme nach SMS, Telefonieren und E-Mail lediglich auf Platz fünf. "Kein Wunder", so Neuberger, "denn ein persönliches Gespräch bietet mit Mimik und Gestik viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten." Die Schreckens-Vision, das gemütliche Treffen im Café werde bald durch ein letztlich einsames Date vor dem Computer ersetzt, ist also unbegründet.

Eine wichtigere Position nimmt die Community hingegen für die Pflege entfernter Kontakte ein. Um mit etwa mit alten Schulfreunden in Verbindung zu bleiben, schreiben die Nutzer anstelle von E-Mails und SMS nun mehr Nachrichten im StudiVZ.

Neue Kontakte entstehen über das Netzwerk kaum: So sagten 64 Prozent der befragten Nutzer, sie hätten allein durch das StudiVZ noch keine neuen Freunde gewonnen. Lediglich 5 Prozent erklärten, bereits viele oder sehr viele neue Leute kennengelernt zu haben. Am ehesten nehmen männliche Singles Kontakt mit anderen Usern auf.

Innerhalb von nur fünf Monaten war die Zahl der StudiVZ-Mitglieder im Jahr 2006 von 50.000 auf über eine Million gewachsen. Wie die Community derart schnell so viele Anhänger gewinnen konnte, hat eine zweite Gruppe von 15 Studenten unter der Leitung des Kommunikationswissenschaftlers Volker Gehrau untersucht. Sie befragten insgesamt 598 Studierende danach, wie sie auf das Netz aufmerksam geworden waren und warum sie sich für oder gegen einen Beitritt entschieden hatten.

Es sei bemerkenswert, dass 76 Prozent der Befragten durch persönliche Gespräche auf die Community aufmerksam geworden seien, so Volker Gehrau. Normalerweise erfahre man von einem neuen Angebot zuerst über die Medien. Gerade einmal 5 Prozent der Befragten haben so vom StudiVZ erfahren. Offensichtlich nahm die Berichterstattung kaum Einfluss auf die persönliche Entscheidung, ob man in das Netzwerk eintreten wolle.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten