Sascha Lobo

Zukunft der Sozialdemokraten Zurück zur Technologie-Bewältigungspartei

Die SPD stürzt von einer Krise in die nächste. Vielleicht sollte sie sich auf eine ihrer Grundideen besinnen: die Folgen der Maschine gesellschaftlich zu bewältigen.
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Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Der SPD ist es gelungen, sich in einen Weg hineinzumanövrieren, der an beiden Enden aus Sackgassen besteht. Ob die Große Koalition zustande kommt oder detoniert - die SPD wird ein interessantes Politkunststück vorführen: Sie stürzt aus der Krise in die Krise.

Dieser Zustand der Partei lässt sich sicher auf unterschiedliche Arten erklären. Interessanter scheint mir, über ihre politische Zukunft nachzudenken. Dafür biete ich hier die Perspektive der Digitalisierung an. Denn die Partei wurde als Reaktion auf die Industrialisierung gegründet, um die Folgen der Maschine gesellschaftlich zu bewältigen. Man könnte die SPD als Technologie-Bewältigungspartei betrachten, ohne ihr allzu großes Unrecht zu tun. Maschinen sind heute digital, vernetzt und social, und es erscheint dringlicher als je zuvor zu unseren Lebzeiten, die Folgen dieser Entwicklung gesellschaftlich zu bewältigen.

Im Gründungsdokument der deutschen Sozialdemokratie  steht: "…[...]entweder sich vorwärts zu entwickeln und das Fortschrittsniveau zu übersteigen oder aber immer tiefer in dem Sumpf von Bedeutungs- und Machtlosigkeit zu versinken, in welchem sie bereits knietief angelangt ist". Ferdinand Lassalle hat das 1863 geschrieben. Es handelt sich zwar eigentlich um einen Rat für den Umgang mit der Fortschrittspartei. Aber die meisten Ratschläge und Beratungen kann man auch begreifen als: "Sei mehr wie ich!" (Diese Kolumne natürlich auch.) Der Satz lässt sich deshalb perfekt auf die SPD übertragen.

Sieger sehen anders aus, selbst sterbende Sieger

Das zweite Dokument, das für die heutige SPD essenziell ist: Ihr Godesberger Programm , das wichtigste Nachkriegsprogramm, das bezeichnenderweise auch stark technologiegeprägt ist, nämlich durch das Spannungsfeld zwischen Atomkraft und Atombombe. Es liest sich wie eine Blaupause der alten Bundesrepublik. Man könnte deshalb die Schlussfolgerung ziehen, die SPD habe sich "zu Tode gesiegt". Das halte ich aber für falsch, schon weil Sieger sehr anders aussehen, selbst sterbende Sieger.

Im Godesberger Programm sind drei Worte typografisch deutlich herausgehoben (gesperrt): Widerspruch, Hoffnung, Menschen. Inhaltlich entscheidend ist das mittlere. Eigentlich ist das die Essenz sozialdemokratischer Politik: die Hoffnung, dass es besser wird.

Die Krise der SPD besteht aus der herbeiverwalteten Hoffnungsarmut sozialdemokratischer Politik. Die Partei vermittelt keine große, einfach erklärbare und fühlbare Hoffnung, weil sie offenbar nicht weiß, welche Hoffnung worauf das sein sollte. Das würde auch erklären, warum die Ablehnung gegen die SPD so überaus emotional ist - enttäuschte Hoffnung ist die verschmähte Liebe der Politik. Die Hoffnungskrise der SPD hat meiner Ansicht nach einen technischen, einen politischen und einen emotionalen Aspekt.

  • Technisch
    Die SPD sollte doch die Partei der Arbeit sein - aber das Arbeitsbild der SPD stammt auch 2018 noch aus dem 20. Jahrhundert. Es ist nicht auf eine Weiterentwicklung des Arbeitsbegriffs ausgerichtet, sondern auf eine Eingemeindung der Digitalisierung in den alten Arbeitsbegriff. Das Netz wirkt auf Arbeit gleichzeitig im besten und im schlechtesten Sinne flexibilisierend, und eine ganze Generation hat den Glauben an eine ausreichende "Rente" nach der Arbeit verloren. Die SPD empfiehlt dagegen Tarifverträge und glaubt, das Problem bestehe in sachgrundlosen Befristungen. In einer Zeit, in der nicht viele Leute wissen, ob es ihren Job in zehn Jahren noch so gibt. Und ihre Chefs auch nicht.
  • Politisch
    Lassalle schrieb "vorwärts entwickeln", und "Fortschrittsniveau übersteigen", aber die SPD verharrt seit Jahren im Kampf um Details. Wenn man dazu Sigmar Gabriels schlimmen Aufsatz im SPIEGEL liest, erkennt man, woran das liegt: Ein mächtiger Teil der SPD ist der Meinung, jetzt sei halt mal gut mit Fortschritt. Jetzt ginge es um die Bewahrung der Errungenschaften. Aber wenn man wirklich so denkt, gibt es außer halbgarer Sozialnostalgie keinen Grund, nicht CDU zu wählen.
  • Emotional
    Die SPD formuliert einfach nicht klar, worauf man hoffen könnte. Zu Anfang des Schulz-Wahlkampfs blitzte hier kurz "Europa" auf, auch deshalb könnte die Zustimmung auf 30 Prozent gestiegen sein. Leider ist aber jedes große Gefühl außer Selbstbestätigung einer anderen Regung gewichen. Denn das zentrale Handlungsmotiv der SPD-Führung ist seit Jahren "Vernunft". Aber Vernunft ohne glänzende, glitzernde, gleißende Hoffnung, also ohne Vision - ist doch nur Pragmatismus. Und damit lässt sich gegen die Päpstin des patenten Plätscher-Pragmatismus wenig ausrichten. Wenn Wort und Tat der SPD stets "Wir sind übrigens auch total vernünftig" signalisieren, bekommt sie die Wähler, die so drauf sind. Und nur die.

In fast alle heutigen Krisen spielt ein digitales Element hinein

In fast alle heutigen - tatsächlichen und empfundenen - Krisen spielt ein digitales Element hinein. Globalisierung: inzwischen eine Vernetzungsfrage. Migration: auf den zweiten Blick überraschend digital geprägt . Abstiegsängste: haben oft mit dem Gefühl zu tun, man stehe vor einem schnellen, radikalen Wandel. Rechtsruck und Autoritarismus: werden von rechten Gegenöffentlichkeiten im Netz vorangetrieben. Verlorenes Vertrauen in Institutionen, klassische Medien oder die ganze Politik? Hängen auch mit der Dynamik der digitalen Öffentlichkeiten zusammen. Soziale Gerechtigkeit? Man kann die Frage stellen, ob es überhaupt noch nondigitalen Kapitalismus gibt.

Der gegenwärtige Wandel hat schon vor dem Internet begonnen, aber er wird vom Netz beeinflusst, intensiviert, beschleunigt. Schon deshalb schließt sich ein "zurück" als Lösung aus, aber auch wegen: Lassalle. Digitalisierung bedeutet für die SPD den Zwang, sich "vorwärts zu entwickeln" um ihren Wertekern herum , also Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Der schlechteste Weg wäre dabei, die unterschiedlichen Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Manche glauben zwar, dass sich die SPD für Hartz IV entschuldigen müsste, um wieder in der Wählergunst zu steigen. Das halte ich für zu kurz gedacht, denn Deutschland ist ein konservatives Land. Die meisten Leute finden die Hartz-Gesetzgebung nicht völlig falsch, weil Arbeit in Deutschland eine Religion ist. Deshalb ist "ein bisschen Druck" auf "nicht Arbeitende" absolut im Sinne der Mehrheit. Wer in Hartz IV wirklich einen Grund sieht, die SPD nicht zu wählen, ist längst bei der Linken und kommt so schnell nicht zurück.

Eine Vision, auf die die Leute Bock haben

Die wirksamste Methode aber, um bürgerliche Wähler zu gewinnen, ohne allzu konservative Politik zu machen, ist Hoffnung. Und zwar Hoffnung auf eine großartige Zukunft, unabhängig davon, ob es den einzelnen Wählern gerade eher gut geht oder eher schlecht. Eine Vision, auf die die Leute Bock haben, nicht weil, sondern obwohl sie von der SPD ist. Deshalb ist es zweitrangig, ob die SPD die Große Koalition eingehen wird oder nicht; mit ihrer gegenwärtigen Vergangenheitsfixierung wird sie es spielend schaffen, in beiden Fällen Wähler zu verlieren.

Die dringend benötigte, zugkräftige Vision - die Linke nicht verschreckt, aber Konservativen ausreichend attraktiv erscheint - könnte nur die Vision einer stabilen digitalen Gesellschaft in einer europäischen, liberalen Demokratie sein. Es wäre eine progressive Vision, die digitalen Fortschritt nicht primär als Regulierungsfrage, Bedrohung oder bloß als weiteres Instrument im Werkzeugkoffer betrachtet, sondern als Chance. Es würde in dieser Vision formuliert, wie im digitalen 21. Jahrhundert Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität konkret aussehen und wie sie für alle erreicht werden könnten.

Kurz - wie man in einer hyperkomplexen, durchdigitalisierten Welt dieses elende Gefühl der Ohnmacht über das eigene Leben, des Ausgeliefertseins wieder abschütteln kann. Aber die SPD wird nicht gegen irgendwas gewählt, sondern für etwas - und das müsste sie jetzt langsam mal abliefern.

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