SPD-Wahlkampf im Web Die Roten sind jetzt blau
Viel früher als andere erspürten die Berater des damaligen japanischen Premierministers Junichiro Koizumi bereits im Sommer 2001, wie sich ein Politiker in der Welt des 21. Jahrhunderts präsentieren sollte: Online und zur Interaktion bereit. Dass Koizumi als angeblich erster Spitzenpolitiker ein eigenes Blog führte und auch noch fast täglich zu befüttern schien sowie seiner Wählerschaft mit twitterhaften Wasserstandsmeldungen das Gefühl gab, informiert zu sein, setzte Maßstäbe.
Dass Koizumi selbst, wie sich nach wenigen Wochen herausstellte, über die Inhalte seines Blogs weit weniger gut informiert war als seine Leser, leider ebenfalls: In einem aus seiner Perspektive lustigen, für seine Berater eher peinlichen Interview gestand der ach so moderne, interaktive Staatenlenker, dass er noch nicht einmal die Lenkung einer Computermaus beherrschte. Dumm gelaufen.
Blog "Löwenherz" war ein Produkt der Partei-PR-Strategen, so wie später diverse Blogs anderer Politiker. Auch in Deutschland behandelten und behandeln die Parteien das Web meist nicht anders als andere Instrumentarien, ihre Ansichten an den Wähler zu bringen. Eine Web-Seite ist für sie so eine Art klickbares Flugblatt. Noch ist aus der Perspektive der Politik ein Auftritt in einer nächtlichen TV-Polit-Plauderrunde, die aber Millionen potentieller, an seniler Bettflucht leidender Wähler erreicht, mehr wert als eine coole Facebook-Seite. Fernsehen kennen sie, die Parteistrategen, das Internet meist noch immer nicht: Gerade die Entscheider surfen nicht, sie lassen surfen.
Doch die Dinge ändern sich. Auch in der SPD-Zentrale sitzen clevere Köpfe, die sich Gedanken darüber gemacht haben, wie sich per Web die taumelnde alte Volkspartei in den Wahlkämpfen des kommenden Jahres stützen ließe. Nach wie vor sind die Werte, die die Meinungs- und Wahlforscher in Sachen SPD erheben, ziemlich katastrophal.
In solchen Situationen tönen Polit-Strategen gern, man müsse sich neu erfinden. Im Web zeigen die Roten seit Donnerstag, 13.00 Uhr, wie das aussehen könnte: Blau.
Schichtdessert mit krassen Farbabsätzen
Fünf Minuten vor eins konnte man beim Besuch auf SPD.de noch glauben, man habe sich zur Linken verirrt: Rot war die vorherrschende Farbe. Seitdem präsentiert sich die Seite wie ein Schichtdessert mit krassen Farbabsätzen: Bis zu fünf Varianten bläulicher Färbungen in verschiedenen Intensitäten segmentieren die Seiten, die Texte stehen auf weißem Hintergrund, Navigationselemente prangen prominent am oberen Seitenrand und in Kästen zur Rechten. Wo immer möglich, gibt es Videos oder Bilder.
Ist das gut? Wie man's nimmt: Auch, wenn es einem ästhetisch nicht zusagt, ist es durchaus funktional. Fast jede Seite reduziert das Gezeigte auf das notwendige Minimum. Bleiwüsten gibt es keine. Themen werden nicht parallel präsentiert, sondern optional: Die Partei setzt darauf, dass der Besucher auch den Willen zum Stöbern mitbringt. Wer das nicht will, mag sich für die klassischer strukturierte alternative Startseite entscheiden - keiner muss also mitmachen, wenn er nicht will.
Aber das ist ja immer so im Internet. Für die SPD ist Mitmachen aber auch der Kernbegriff hinter dem neuen Web-Auftritt. In der Pressemitteilung zum Stapellauf klingt das so: "Mit dem neuen Seitendesign entwickelt sich spd.de zum Vorreiter nutzerfreundlicher Politikangebote im Internet. Die SPD integriert hier die bestehenden Kommunikationskanäle und Anwendungen des Web 2.0 und legt gleichzeitig den Grundstein für die dynamische Erweiterung der Startseite um neue Formate im 'Social Web'."
Ab jetzt wird konsequent gesiezt
Zu Deutsch: Die neue Seite verpackt und ordnet die bisherigen Angebote neu und ist so gestaltet, dass man sie im Laufe der Zeit um weitere Funktionen erweitern kann.
Das stimmt. Mehr aber auch nicht.
Denn tatsächlich verfügt die Seite inhaltlich über nichts, was nicht vorher auch schon da war. Der Ton ist allerdings anders: Dass mehr redaktionelle Sorgfalt in der Seite steckt, zeigt sich schon darin, dass nun konsequent gesiezt wird: Vorher gab es mal ein Du, mal ein Sie, je nachdem, wo man gerade war. Ein Hinweis auf die erhoffte größere Breitenreichweite: Untereinander duzen sich die Genossen schließlich.
Wirklich interaktiv wird es erst im "Social Network" meineSPD, in dem die Partei die Willigen bündelt. Dort findet man dann auch Möglichkeiten zur Interaktion, die über das als "Service" bezeichnete Angebot hinausgehen, auf eigene Kosten Flugblätter auszudrucken. Hier kann man Profile anlegen, Bloggen, sich austauschen - allerdings nur als registriertes Mitglied. Vollen Zugang zu allen Features erhält zudem nur derjenige, der sich als Parteimitglied ausweisen kann.
Kann es das also sein? Ist das deutscher Web-Wahlkampf 2009?
Bloß kein Tacheles reden
Es simuliert die Möglichkeiten des Web-Wahlkampfes zumindest schon einmal in Ansätzen. Dass etwa der hessische SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel bei Facebook aktuell 502 Freunde hat und in seinem "meineSPD"-Profil 802 registrierte Unterstützer, steht natürlich in direktem Zusammenhang: Bereits seit dem 27.11.2008 ist die "Mission" mit der höchsten Priorität bei meineSPD: "Vernetzt Euch mit Thorsten Schäfer-Gümbel!"
Doch das können nur Insider - und genau das ist die große Schwäche des alten wie neuen SPD-Auftrittes: Er bietet keinerlei offene Schnittstellen zur Interaktion oder Kommunikation für Leute, die sich noch nicht mit der Partei identifizieren. Das ist der riesige qualitative Unterschied zwischen dem, was in den letzten US-Wahlkämpfen im Web passiert ist und hier noch immer nicht geschieht: Die informellen Kontaktpunkte im Web werden einfach nicht ausreichend locker genutzt.
Es fehlt der Dialog über Themen, auch wirklich schnell und spontan, wenn das gefragt ist. Es fehlen die inhaltlichen Anstöße, die Diskussionen überhaupt erst wecken. Ist ja auch klar: Wie alle ihre Konkurrenten will auch die SPD mit ihren potentiellen Wählern im Web nicht Tacheles reden, sondern über sich.
Wer die Bildergalerie absurft, findet darum zahlreiche Hochglanzbilder der Parteigranden, mit und ohne Autogramm - aber kein einziges Motiv aus dem Parteileben der Basis. Wer sich die Inhalte ansieht, findet offiziöse Stellungnahmen der Partei en masse - aber keinen inhaltlichen Beitrag zu irgendeiner Debatte, mit der sich eine lebendige Diskussion würzen ließe.
Bekannte Inhalte - frisch verpackt
Zur Abstimmung gegeben werden stattdessen vorzugsweise Themen, für die sich alle begeistern können: Wenn es etwa um verschiedene Ansätze der Bildungsförderung geht, dann unterscheiden die sich allenfalls im Grad der euphorischen Zustimmung - keine kontroverse Debatte, kein Ringen um Positionen und Inhalte. Auch das ist klar, denn die SPD braucht im Wahlkampf vor allem geschlossene Reihen und Zustimmung. Da wird die Abstimmung zum kleinen psychologischen Trick, wenn man erkennt, wie sehr man doch mit den Positionen der Partei und aller Teilnehmenden übereinstimmt.
Wer wirklich erfahren will, wofür sie eigentlich steht, die SPD, der soll sich auf dem "Politikmonitor", einer der Nebenseiten umsehen. Da sammelt die SPD ihre Meriten und Verdienste und stellt sie aus. Wen das alles überzeugt, der lässt sich unter "Mitmachen" dann bestimmt gern auch um eine Online-Spende bitten - Obama lässt grüßen.
Das Fazit des Ganzen? Nett gestaltet, klar strukturiert, farblich gewagt. Und inhaltlich? Nichts Neues, nur frisch verpackt. Vielleicht muss man eine Weile abwarten, wie sich das alles entwickelt, bis jetzt aber sind Deutschlands Parteien von einem offenen, nicht zuletzt über die Communitys des Web geführten Wahlkampf noch Lichtjahre entfernt.
Der Punkt, der bisher in keiner hiesigen Parteizentrale begriffen wurde: Ein wirklich erfolgreicher Polit-Auftritt im Web ist nicht abhängig von Design oder Features. Sondern von der Auffassung, mit der er serviert wird.