Spenden-Communitys Helfer weben das Weltretter-Web

Mit dem Mausklick zur kritischen Masse: Neue Weltretter-Communitys im Internet gehen gegen Welthunger, Armut und Klimawandel vor. Die Netzwerke versammeln Menschen, die Gutes tun wollen - aber selbst bestimmen wollen, wo und wann dies geschieht.

Drei Mönche in orangefarbenen Gewändern segnen ein Motorboot, ein kleines kambodschanisches Mädchen hüpft barfuß durchs Bild: Das Online-Video auf der Internet-Community "reset.to" zeigt den Stapellauf eines Lazarettbootes in Kambodscha, das medizinische Notversorgung zu den Bewohnern eines entlegenen Seegebiets bringen wird. Vor einem Grüppchen lokaler Helfer sagt Projektleiter Jon Morgan freudestrahlend: "Das hier ist nur ein kleiner Anfang einer sehr großen Idee."

Das Boot hat 3190,57 Euro gekostet. Finanziert wurde es von Bodo, Susa, Claus und Hanfried aus Hamburg und von Michael, Uta, Manfred, Britt und Sandra aus Berlin. Mit ihren Profilfotos auf Reset.to  bekennen sie sich als "Förderer" der sogenannten "Lake-Clinic" - und als Pioniere einer neuen Form sozialen Netzwerkens.

Rund 15 Weltretter-Communitys sind im vergangenen Jahr im deutschsprachigen Internet entstanden. Sie tragen programmatische Namen wie Weltretter , Betterplace oder Helpedia, sie wollen Netzwirken  und rufen wie Reset.to ihre Mitglieder auf: "Werde Weltretter! Informiere dich und werde selbst aktiv."

Wie bei Facebook und StudiVZ präsentieren sich auch auf "Reset" und " Betterplace " Menschen mit Fotos und eigenen Interessen. Web-2.0 nicht als Selbstzweck - sondern um Menschen zusammenbringen, die mit kleinen Schritten große Probleme wie Welthunger, Klimawandel und Armut angehen wollen.

Weltretten 2.0 funktioniert auf zweierlei Weise: Spendenportale wie "Betterplace" und "Netzwirken" umgehen große Hilfsorganisationen wie Unicef, leiten Spenden direkt an kleine Projekte weiter und geben diesen eine Plattform.

Zweitens bieten auf Seiten wie "Weltretter" oder "Fairdo" Menschen Ideen und Initiativen an und suchen dafür freiwillige Helfer. Schließlich gibt es Seiten wie "Reset", die beide Konzepte miteinander verbinden.

Viele kleine Schritte

"Viele Leute wollen etwas tun, wissen aber nicht, was", sagt "Reset"-Gründerin Uta Mühleis. "Deshalb ist es uns wichtig, einen leichten Zugang zu schaffen - sowohl für Menschen, die sich zum ersten Mal engagieren wollen als auch für jene, die sich tiefer reinhängen möchten."

Die Nutzer von "Reset" können je nach Zeit, Geld und Energie per Mausklick eine der vielen Petitionen, etwa gegen neue Kohlekraftwerke in Deutschland, unterschreiben, ihr Geld in regionalen Währungsinitiativen anlegen oder Nachbarn suchen, um einen Gemeinschaftsgarten zu gründen.

"Die Web2.0-Technologie macht es leichter, den Menschen eine Stimme zu geben", sagt auch Joana Breidenbach, Gründungsmitglied des Spendenportals "Betterplace": "Sie sind es leid, entmündigt zu werden und für Informationen und Gelder auf Nadelöhre angewiesen zu sein."

Die studierte Ethnologin will den deutschen Spendenmarkt aufmischen: "Es gibt so viele gute kleine Projekte, zu denen der Normalspender keinen Zugang hat. Das wollen wir ändern." Anders als "Reset", das nur ausgewählte Spendensucher präsentiert, bietet das Team von "Betterplace" eine unzensierte Plattform, auf der sich Hilfsorganisationen selbst vorstellen können.

Ob Stipendien für eine Computerschule in Indien oder der Schulbesuch für Slumkinder in Guatemala-Stadt - wichtig ist Breidenbach, dass der Spendenbedarf konkret und transparent ist: Für die Slum-Schule werden statt eines Pauschalbetrags hundertmal Schulgebühren, 50 Essenspakete und hundert Schuluniformen gesucht - eine davon gibt es schon für nur acht Euro. An einem grafischen Fortschrittsbalken können die Spender in Euro und Prozent sehen, wie viel vom Finanzierungsbedarf schon gedeckt ist - das soll zum Mitmachen motivieren.

Statt Spendensiegel soll ein "Web of Trust" für die korrekte Verwendung der Spendengelder sorgen: Menschen, die das Projekt aus eigener Erfahrung kennen, treten als Bürgepaten auf. Und im Blog des Hilfsprojekts könne der Spender im Idealfall anhand von Fotos und Videos sehen, dass seine Gelder für den gewünschten Zweck ausgegeben wurden, sagt Breidenbach.

"In der Öffentlichkeit gibt es einen großen Bedarf nach mehr Transparenz, den diese Plattformen bedienen", sagt Martin Vogelsang, Gründer der Internet-Plattform "Guidestar", die mit dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) kooperiert. Gerade kleine und mittlere Non-Profit-Organisationen können so von den Weltretter-Plattformen profitieren.

Das alles beschreibt allerdings eine andere Art der Transparenz, als diese im Spenden-Bereich bisher üblich war: Zeugenschaft statt Rechenschaftsbericht. Einige der Plattformen wie beispielsweise Betterplace geben explizit an, die Spenden zu 100 Prozent weiterzugeben und sich selbst auf anderen Wegen zu refinanzieren. Bei den meisten jedoch gibt es zwar Goodwill-Versicherungen, aber keinerlei konkrete Angaben, ob sich die Organisationen und Unternehmungen auch aus Anteilen der Spenden refinanzieren - und in welcher Höhe.

Bei den großen Benefiz-Organisationen sind solche Angaben dagegen Standard: Die finanziellen Rechenschaftsberichte sind öffentlich. Im schlimmsten Fall herrscht dort Transparenz darüber, wie viel Geld für Personalaufwand, Organisation, Werbung und Verwaltung draufgehen - ein oft kritisierter Punkt.

Die Zukunft der Weltretterportale

Für die neuen Bedürfnisse der Spender sprechen auch die steigenden Nutzerzahlen der Seiten. Nach nur einem Jahr Laufzeit haben sich bei "Betterplace" inzwischen rund 5000 Nutzer registriert, allein 1000 davon im letzten Monat. Insgesamt kamen bereits 250.000 Euro Spendengelder zusammen - im Schnitt spendeten die Nutzer 60 Euro. Es könnte der Anfang eines Wandels der deutschen Spenderszene sein: Schließlich geben die Deutschen laut Statistischem Bundesamt jedes Jahr rund vier Milliarden Euro für Spenden aus.

Auch Reset.to finanziert sich bislang über Spenden. Portale wie "Fairdo" oder "Weltretter" laufen dagegen über das Ehrenamt ihrer Helfer. "Betterplace" möchte sich über eine angegliederte Unternehmensberatung für Sozialsponsoring finanzieren - und auch "Netzwirken"-Gründer Jochen Holtrup setzt seine langjährigen Erfahrungen als Hotelmanager und Werber ein, um aus seiner Mission einen bezahlten Job zu machen. Ganz dem Zeitgeist entsprechend, agiert er als "sozialer Unternehmer" auch in eigener Sache.

Vorbilder aus den USA und England zeigen, dass die Weltretter-Communitys zumindest als Geschäftsmodell Erfolg haben können: Die größte soziale Plattform für Engagierte in den USA bindet inzwischen fast zehn Millionen Nutzer an sich. Sie erlauben es der Seite, sich über Werbung zu finanzieren. Eine andere Geldquelle für hiesige Portale könnten Firmen sein, die ihr Image aufpolieren wollen.

"Web 2.0 gibt den Menschen eine Stimme"

Momentan machten sich die Weltretter im Netz aber gegenseitig Konkurrenz, warnt Markus Beckedahl, Autor des Blogs "Netzpolitik". Er erwartet, dass nur die besten Weltretter-Communitys überleben. Tatsächlich fand schon die erste Fusion statt: Das Verzeichnis gemeinnütziger Organisationen, Helpedia, schloss sich jüngst mit dem Charity-Portal Elargio zusammen.

Doch noch stehen viele der Communitys ganz am Anfang. Ihr erstes Ziel sind möglichst viele Nutzer. Wenn eine kritische Masse erreicht wird, lassen sich in den flachen Hierarchien solcher Netzwerke nicht nur Gelder organisieren, sondern auch politische Kampagnen. Beispiel US-Wahlkampf: Über die Webseite my.barackobama konnten Obama-Anhänger Gleichgesinnte im eigenen Postleitzahl-Bereich suchen und sich mit ihnen zu Spendenpartys und Kampagnenarbeit verabreden - Obama wurde zum Präsidenten gewählt.

"Die Kampagne hat es geschafft, durch Umgehung der traditionellen Massenmedien direkt mit den Menschen in Kontakt zu kommen und sie zu mobilisieren. Das ist auch eine große Chance für Nonprofit-Organisationen in Deutschland", sagt Netzpolitik-Experte Beckedahl.

So könnten die Weltretter-Communitys auch einen Schub für die Zivilgesellschaft bringen: Die ist in Deutschland traditionell über Mitgliedschaften in Vereinen, Stiftungen und großen Organisationen wie Greenpeace organisiert.

Die Weltretter-Portale sprechen dagegen eher Individuen an: Junge Menschen, die schnell etwas Konkretes tun und direkt Ergebnisse sehen wollen. "Niemand wacht morgens auf und denkt: Heute will ich etwas Gutes tun", sagt "Betterplace"-Gründungsmitglied Joana Breidenbach: "Da muss ein gewisser Spaßfaktor dazukommen und etwas Motivierendes. Das ist total wichtig."

Zum Beispiel, indem die sozialen Dynamiken des Netzes genutzt werden: Wenn Menschen ihre Freunde als Helfer rekrutieren und selbst zum Botschafter eines Projekts werden. Oder ein bisschen ihrer Eitelkeit freien Lauf lassen, wenn sie sich mit "ihren" Spendenprojekten für alle sichtbar im Netz präsentieren. Aber wer will das schon kritisieren? Es ist ja schließlich für einen guten Zweck.

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