Star-Bloggerin Huffington "Wir rütteln die Mainstream-Medien auf"
SPIEGEL ONLINE: Frau Huffington, revolutioniert das Internet gerade den politischen Diskurs in den USA?
Huffington: Definitiv. Barack Obama und Hillary Clinton haben online bekanntgegeben, dass sie sich um das Präsidentenamt bewerben wollen. Clinton hat im Netz eine dreitägige Frage-und-Antwort-Sitzung veranstaltet. Wir selbst arbeiten momentan an den ersten Online-Debatten zur Präsidentenwahl - erst für die Vorwahlen, dann für die Wahl selbst. Blogger und die ganze Online-Community zeigen den Mainstream-Medien im Augenblick, wo es langgeht. Die konzentrieren sich zu stark auf Umfragen und die aktuellen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kandidaten statt auf die wirklich wichtigen Themen. Der Online-Community wird die Aufgabe zufallen, auf interessantere Art über die Wahl 2008 zu berichten.
SPIEGEL ONLINE: Sind die politischen Blogs in den USA so gut, weil die Mainstream-Medien an ihrer Aufgabe scheitern?
Huffington: Die Mainstream-Medien formulieren immer nur Gemeinplätze, sie sehen alles durch einen Rechts-gegen-links-Filter. Es ist absurd, den Krieg im Irak durch diesen Filter zu betrachten die Mainstream-Medien machen es trotzdem. Senator Sam Brownback zum Beispiel ist ein renommierter Republikaner, und er ist gegen den Eskalationsplan des Präsidenten für den Irak. Trotzdem reden die meisten US-Journalisten weiter von "Druck von links". Den Bloggern fällt unter anderem die Rolle zu, die Mainstream-Medien aufzurütteln: Hört endlich auf, so reflexhaft zu berichten! Das Gleiche gilt für Themen wie die Gesundheitspolitik oder den "Krieg gegen Drogen".
SPIEGEL ONLINE: Barack Obama ist für Blogger im Moment augenschenlich interessanter als Hilllary Clinton, es wird mehr über ihn geschrieben warum? Und wie inwieweit beeinflusst das die Allgemeinheit?
Huffington: Vorwahlen wurden immer vor allem von jenen beeinflusst, die sich politisch am stärksten engagieren Blogs sind da nur ein weiteres Element. Für die meisten Blogger ist Authentizität ein wichtiges Kriterium. Sie reagieren allergisch auf übervorsichtige Politiker. Das ist Hillary Clintons Problem mit der Blogosphäre: Sie ist so berechnend, dass man es förmlich riechen kann. Jeder Gedanke wurde von ihr und ihren Ratgebern auf vielfache Weise durchgegangen. Das ist so künstlich!
SPIEGEL ONLINE: Bei der Wahl 2004 gaben Sie und andere im Internet wirklich alles, um Bushs Wiederwahl zu verhindern. Am Ende gewann er trotzdem.
Huffington: Da war unser Kandidat Teil des Problems. John Kerry kam nicht authentisch herüber. Hillary Clinton hat exakt dasselbe Problem.
SPIEGEL ONLINE: Im November 2006 gewannen die Demokraten die Kongresswahlen. Wie wichtig waren Blogs dafür?
Huffington: Sie haben eine Menge dazu beigetragen, auch weil sie das Thema Irak so stark betont haben. Die Wahlen wurden vor allem durch dieses Thema entschieden - was die Führung der Demokraten so gar nicht erwartet hatte. Wähler und Blogger waren ihr da voraus. Jack Murtha hat als erster einflussreicher Kandidat der Demokraten den Irak zum zentralen Thema erklärt, und wir von der "Huffington Post" haben ihn unterstützt. Er hat ein Blog für uns geführt, wir haben von den Nachrichten zu seinem Blog verlinkt. So haben wir ihm geholfen, seine Botschaft an den Mann zu bringen: dass der Konflikt im Irak sich zu einem Bürgerkrieg entwickelt hat, dass die USA da nichts mehr verloren haben. Zu diesem Zeitpunkt war das kein Standpunkt, den die Parteispitze der Demokraten vertrat.
SPIEGEL ONLINE: Das Beispiel zeigt, wie die "Huffington Post" funktioniert: Sie veröffentlicht Nachrichten, eine Menge Gastautoren schreiben für sie - würden Sie das wirklich noch Blog nennen?
Huffington: Es ist eine Kombination aus Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenseite und kollektivem Blog. Wir haben rund 800 Blogger. Die "Huffington Post" ist auf dem Weg, sich zu einer Internet-Zeitung zu entwickeln. Das ist unser Ziel.
SPIEGEL ONLINE: Sie wollen zum Mainstream-Medium werden?
Huffington: Nein, wir wollen eine Internet-Zeitung schaffen: Nachrichten 2.0. Das hat mit Mainstream-Medien nichts zu tun.
SPIEGEL ONLINE: Brauchen Sie dann nicht auch einen redaktionellen Ablauf wie die traditionellen Medien?
Huffington: Nicht wie bei einer klassischen Zeitung. Wir werden immer Hunderte Blogger haben, die schreiben, was sie wollen - sofern sie über ein Passwort verfügen. Ihnen das Passwort zu geben, ist eine redaktionelle Entscheidung. Danach können sie frei bloggen. Ich bekomme diese Texte zur selben Zeit zu sehen wie Sie als Leser.
SPIEGEL ONLINE: Und Sie redigieren diese Texte nicht?
Huffington: Nein. Wenn ein Redakteur oder Kommentator sachliche Fehler entdeckt, dann weisen wir darauf hin. Es gibt bei uns eine strikte Regel, dass alles innerhalb von 24 Stunden berichtigt sein muss, sonst entziehen wir dem Blogger sein Passwort. So sieht bei uns die Überprüfung von Fakten aus. Aber redigiert wird nichts.
SPIEGEL ONLINE: Vor ein paar Monaten behauptete ein Video-Blogger, das Weiße Haus habe das Plakat "Mission accomplished" ("Einsatz vollendet") aus dem Video von George W. Bushs berühmter Rede auf dem Flugzeugträger herausgeschnitten. Diese Behauptung war falsch. Trotzdem wurde sie von der "Huffington Post" aufgenommen und ist dort noch immer ohne eindeutigen Hinweis zu sehen - obwohl Kommentatoren darauf hingewiesen haben, dass es sich um eine Fälschung handelt.
Huffington: Das werde ich überprüfen. So etwas sollte nicht passieren. Das hätte entfernt werden müssen, und falls wir das nicht getan haben sollten, hätten wir einen Fehler begangen. Der diensthabende Redakteur hätte das umgehend überprüfen müssen, nachdem Kommentare auf eine Fälschung hingewiesen haben.
SPIEGEL ONLINE: Wie wird man Blogger bei der "Huffington Post"?
Huffington: Einige sind bekannt. Oder gute Schreiber. Einige sind wichtige politische Akteure - wie die Demokraten-Anführer Nancy Pelosi und Harry Reid. Einige sind jung und unbekannt, aber wir halten sie für interessant. Einige laden wir ein, andere bewerben sich mit Texten. Wir übernehmen auch interessante Veröffentlichungen von anderen Websites, wir erlauben cross-posting. Und wir wollen mehr Beiträge aus Europa. Deshalb haben wir einen BBC-Redakteur angeworben, der hier eine Menge Verbindungen hat.
SPIEGEL ONLINE: Craig Newmark, der Gründer von Craigslist, sieht durch die Krise der traditionellen Medien einen Mangel an investigativer Berichterstattung und Recherche. Stimmen Sie zu?
Huffington: Es wird im Internet künftig viel mehr eigenständige Berichterstattung geben, auch von uns. Wir haben Melinda Henneberger, die für die "New York Times" und "Newsweek" gearbeitet hat, als unsere Politik-Redakteurin eingestellt. Wir tun das, weil die traditionellen Medien bei investigativer Berichterstattung kürzen. Und weil es reichlich Bedarf danach gibt - besonders wenn die Regierung ihren Einfluss in so vielen Bereichen überzieht.
Die Fragen stellte Christian Stöcker