
Start-up-Storys Die Körpermesser kommen
Berlin - Der Weg ins UPcload-Hauptquartier führt in einen tristen Hinterhof der Humboldt Universität zu Berlin über einen klapprigen Aufzug in den sechsten Stock, über einen gelbgestrichenen Gang zu einer Treppe in den siebten Stock durch eine Glastür in einen weiteren verlassenen Gang, an dessen einem Ende ein Leiterchen auf das Flachdach des Universitätsgebäudes führt.
Am anderen Ende dieses Ganges machen sich Asaf Moses und Sebastian Schulze gerade hungrig über Hummus, Hähnchen und Salat her. Für Snackpausen ist nicht mehr viel Zeit. Im Flur drängeln sich Schüler und Studenten, die in einer Untersuchung zeigen sollen, wie schlecht sie ihre eigene Körpergröße kennen.
In Kürze werden die beiden studierten Wirtschaftswissenschaftler Moses und Schulze ihren Internetdienst UPcload freischalten, der Menschen zentimetergenau per Webcam vermisst und diese Daten mit Kleidershops im Internet teilt. Geht alles gut, könnten die beiden Jungunternehmer der Textilbranche zu einem Internet-Boom verhelfen.
Die Studie soll den UPcload-Gründern Argumente an die Hand geben, mit der sie die Textilindustrie für ihre Sache begeistern können: "Wir wollen anhand von 500 Testpersonen nachweisen, dass Menschen ihre eigenen Körpermaße nicht kennen." Für Moses und Schulze ein Hauptgrund, warum Menschen kaum Kleidung übers Internet bestellen.
Die UPcload-Idee: Maßnehmen per Webcam
UPcload funktioniert überraschend gut, davon überzeugte sich SPIEGEL ONLINE im Vorabtest: Website aufrufen, Webcam anschalten, acht Fotos machen lassen, fertig. Der ganze Vorgang dauert nur drei Minuten, funktioniert in jedem Wohnzimmer und trotzdem sind die Ergebnisse zentimetergenau.
UPcload-Gründer Moses kann seinen Stolz kaum verbergen: "Unser Ziel war immer, so gut wie ein Schneider mit Maßband zu sein", erklärt Moses. "Meistens sind wir sogar besser." Ihr Experiment mit 500 Testpersonen, einem Ganzkörperscanner und einem echten Schneider bestätigte - Ziel erreicht.
Den Trick schafft UPcload durch einen einfachen Kniff: Beim Einscannen vor der Webcam hält sich der Nutzer eine Compact Disc vor den Bauch, aus deren normierten (und im Kamerabild immer gleichen) Durchmesser eine Bilderkennungs-Software zusammen mit etwas Statistik-Magie die genauen Körpermaße ableiten und auf Plausibilität prüfen kann.
"Technisch ist UPcload ein voller Erfolg", sagt Gründer Moses. "Jetzt müssen wir nur noch die Web-Shops und Textilhersteller ins Boot holen." Denn UPcload ist als Produkt nur sinnvoll, wenn Web-Shops nicht nur individuelle Körpermaße importieren, sondern auch mit den Fertigungsmaßen der Kleidungshersteller abgleichen können.
"Nur sieben Prozent aller Kleidung wird übers Netz verkauft"
Moses und Schulze sind zuversichtlich, dass die Hersteller mitziehen: Bücher etwa würden mittlerweile in großem Stil über das Internet verkauft, "aber nur 7 Prozent aller Kleidungsstücke", erklärt Sebastian Schulze. "Fast die Hälfte aller online gekauften Kleidungsstücke werden wieder an den Händler zurückgeschickt." Die Branche weiß, dass sie etwas dagegen unternehmen muss, und UPcload könnte eine Lösung sein. Der Web-Shop integriert ein paar UPcload-Schaltflächen, der Textilhersteller rückt Fertigungsmaße heraus.
Natürlich denken Moses, Schulze und Co längst über weitere Nutzungsmöglichkeiten ihrer Daten nach: Im Rahmen von Fitness- und Diätprogrammen, als Vorlage für maßgeschneiderte Computerspiel-Helden und natürlich zur Marktforschung. Die bislang umfangreichste Körpergrößen-Studie vermaß mit Hilfe eines Körperscanners bislang über 13.000 Menschen - UPcload könnte Millionen Daten mit ausreichender Genauigkeit erfassen. Für Modehersteller eigentlich eine traumhafte Vorstellung. Auch wenn mancher allzu körperbewusste Internetnutzer die Vorstellung womöglich beunruhigend finden könnte, seine Maße einer Datenbank anzuvertrauen.
Zumindest bei Gründer- und Wirtschaftsinitiativen kommt das UPcload-Konzept bereits hervorragend an: Die jungen Unternehmer werden mit Preisen überhäuft, darunter einer des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesverbands des deutschen Versandhandels.
Entwickelt wird in Israel
Doch so geradlinig die UPcload-Idee und -Entwicklung auch erscheinen mögen: in Wirklichkeit war Asaf Moses und Sebastian Schulzes bisheriger Weg so verschlungen wie der zu ihrem Büro in Berlin Mitte.
"Am Anfang war es schwierig, schlafen zu gehen", erinnert sich Moses. "Obwohl du weißt, wie schlecht es gerade läuft, musst du an den Erfolg glauben und deinen Mitarbeitern und Geschäftspartnern Optimismus vermitteln."
Die bürokratischen Hürden, die Geldgeber/Ideen-Jonglage, das ständige im Dunkeln stochern trieben die Junggründer an ihre Grenzen. "Wir hatten viel Geld unserer Kunden - aber wir wussten in Wirklichkeit nicht, ob unsere Idee funktioniert. Das war eine schreckliche Situation." Zumal Moses und Schulze ja selbst keine Entwickler, sondern nur Wirtschaftswissenschaftler sind - das eigentliche Know-how, die technische Umsetzung der Idee, wird von einem Programmierteam aus Israel geleistet.
Gründerförderung gab es vor allem von der Humboldt Innovation, einer Förderfirma der Humboldt Universität: Geld, kostenlose Büroräume und vor allem Anleitung im Bürokratie-Labyrinth. "Wir haben uns getrieben gefühlt: Wir müssen was machen, aber wissen nicht, was", fasst Schulze die Situation vor einem Jahr zusammen. "In Deutschland sagt einem ja niemand, wie man ein Unternehmen gründet"
Dabei könnten Stadt und Land so sehr von mehr Gründern profitieren: "Berlin gewinnt durch Menschen wie uns so viel Know-How in kurzer Zeit", glaubt Moses. "Ich bin überzeugt, dass das Geld, das Deutschland in uns investiert hat, vielfach zurückgegeben wird von uns."
Und wie profitieren die Gründer ganz konkret von Berlin? Antwort: "Wo kriegt man auf dem Land schon 500 Testpersonen und einen 3D-Körperscanner her?"