Statistik-Probleme Die Vermessung der Twitterwelt
"Teenager nutzen Twitter nicht." Als Schülerpraktikant der US-Bank Morgan-Stanley sollte der 15-Jährige Matthey Robson aufschreiben, was seine Freunde im Netz treiben. Morgan Stanley veröffentlichte den Aufsatz, konnte sich vor Anfragen von "Dutzenden und Dutzenden Vermögensverwaltern und Geschäftsführern" nicht mehr retten. Die wollten wissen: Was hat es mit dem Twitter-Hype auf sich, was treiben Jugendliche denn nun im Internet?
Die Schrift des jungen Robson rüttelte aber auch am Selbstbewusstsein all jener, die irgendwie vom Twitter-Hype profitieren wollen: Blog-Autoren, die Online-Presse, die Internet-Beratungsagenturen. Für sie hatte es Twitter geschafft, als ein Flugzeug spektakulär im Hudson River notwasserte und ein Zeuge binnen Minuten die ersten Fotos der geglückten Landung via Twitter veröffentlichte. Ebenso als die Krise im Iran eine Welle der Solidarität in dem Mikroblogging-Dienst nach sich zog und als die Nachricht von Michael Jacksons Tod erst Nachrichtenseiten, dann Twitter selbst in die Knie zwang.
Aber wie verbreitet, wie bekannt, wie relevant für Durchschnittssurfer ist Twitter tatsächlich?
Um das zu sagen, mangelt es an verlässlichen Daten zur Internet-Nutzung und Internet-Demografie. Wie schwierig es ist, an die zu kommen, zeigen die Versuche von PR-Agenturen, New-Media-Beratern und etablierten Marktforschungsinstituten, die gefühlte Wichtigkeit von Twitter mit Zahlen zu untermauern.
Statistik: Irgendwer findet Twitter "cool"
Zum Beispiel die W3B-Umfrage der Marktforschungsagentur Fittkau & Maaß: Nur drei Prozent der deutschen Surfer nutzen demnach mindestens einmal pro Woche Mikroblog-Dienste wie Twitter, nur sechs Prozent schauen einmal pro Monat in die öffentlichen Kurznachrichten . Ihrer Meinung zufolge ist Twitter gerade bei den Jungen "cool" .
Doch aus dieser Studie Schlüsse über die Gesamtbevölkerung zu ziehen, hält Jan Schmidt, Kommunikationswissenschaftler vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg, für problematisch.
Datenbasis der W3B-Studie ist die Selbstauskunft von Teilnehmern, die über zahlreiche Websites für die Untersuchung rekrutiert werden: Leute, die wahrscheinlich überdurchschnittlich aktiv im Internet sind. Damit sind die W3B-Ergebnisse zwar aufschlussreich und interessant, können aber strenggenommen nur einen Einblick in das Online-Leben der internetaffinen Studienteilnehmer bieten. Schmidt: "Für eine verlässliche Aussage über die deutsche Bevölkerung ist diese Stichprobe nicht geeignet."
Definitionsproblem: Mikroblogging
Das bestätigt auch Holger Maaß, Geschäftsführer von Fittkau & Maaß: "Die W3B-Studie ist als Studie über die Internet-Nutzerschaft angelegt, nicht über die Gesamtbevölkerung." Die W3B-Studie sei aber besonders geeignet, auch sehr kleine Nutzergruppen, etwa die von Twitter, zu beobachten. "Die W3B-Ergebnisse zum Thema Twitter basieren auf insgesamt 2.476 befragten Mikroblog-Nutzern." Twitter ist noch lange kein Massenphänomen.
Bleibt das Begriffe-Problem: Was ist dieses Mikroblogging überhaupt? Gehören dazu auch die Statusmeldungen bei Facebook und Xing, die Profilupdates bei MySpace und StudiVZ, die Shoutboxen und Sinnsprüche im Instant-Messenger-Profil? Jan Schmidt: "Wahrscheinlich sind viele Internet-Nutzer Mikroblogger, ohne es zu wissen."
Wie geht es besser?
Valide Daten sind teuer
Schmidt: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten, an repräsentative Stichproben der Internet-Bevölkerung zu gelangen: die klassische Telefonbefragung oder ein Online-Panel, das typische Internet-Nutzer repräsentiert." Allein: Solche Online-Panels sind teuer und aufwendig, sie müssen über Jahre hinweg gepflegt und immer wieder erneuert werden. Für Holger Maaß nicht nur ein wirtschaftliches Problem: "Um in Deutschland 100 regelmäßige Twitter-Nutzer telefonisch zu befragen, müsste man rund 3000 Internet-Nutzer anrufen." Ein Aufwand, den sich nur wenige Marktforschungsinstitute wie Nielsen und Comscore leisten.
Deren Einschätzungen zur Verbreitung von Twitter und Co. in den Vereinigten Staaten fällt vergleichsweise vorsichtig aus: Immer mehr Menschen greifen auf die Twitter-Website zu . Wie viele aber als aktive Nutzer hängenbleiben, ist ungewiss. Den Großteil der Twitter.com-Surfer machen mit 41 Prozent die 35-49-Jährigen aus, wahrscheinlich gelangweilte Büroangestellte. Kinder und Jugendliche kommen in der Statistik kaum vor, Zahlen über junge Erwachsene will Nielsen lieber nicht veröffentlichen, dafür sei die Datenlage zu schlecht .
Solche Zahlen eigenen sich nur, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wer Twitter momentan nutzt. Klar ist aber auch: Die Twitterlandschaft ändert sich rapide. Jan Schmidt glaubt trotzdem, dass solche Dienst auch langfristig eher etwas für Erwachsene sind: "Was wollen Jugendliche im Internet? Das gleiche wie auch anderswo: Herausfinden, wer sie sind, wo sie in der Welt stehen." Das können sie viel besser in sozialen Netzwerken wie SchülerVZ oder Lokalisten, die ihr soziales Netz aus Schule, Nachbarschaft Verein wiederspiegeln.
Daten dazu hat Schmidt für seine Untersuchung " Jugendliche im Web 2.0 " zusammengetragen. Ins selbe Horn stößt die " How Teens Use Media "-Studie von Nielsen: Wenn Teenager im Netz sind, dann suchen sie persönlichen Kontakt zu Gleichaltrigen - die sie auch kennen. Was eine Zeitung, ein Unternehmen, ein Politiker gerade twittert, ist ihnen reichlich egal.
Zu diesem Schluss kam Praktikant Robson durch bloße Beobachtung. Und so zeigt sich Schmidt auch versöhnlich mit den aktuellen Versuchen, das Phänomen Twitter statistisch zu erfassen: "Ein bisschen was zu wissen ist besser, als nichts zu wissen."