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Facebook-Daten: Wer spricht wann über was?

Foto: Wolfram Research

Stephen Wolfram über Facebook "Menschen sind vorhersagbarer als Elementarteilchen"

Stephen Wolfram schrieb mit 15 seinen ersten Fachartikel, schuf den Rechen-Werkzeugkasten Mathematica und die Antwortmaschine Wolfram Alpha. Jetzt hat das Genie seine Rechenwerkzeuge auf Facebook angesetzt. Das Ergebnis dürfte selbst Mark Zuckerberg interessieren.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben eben eine Auswertung von Daten veröffentlicht , die von Facebook stammen. Wie viele Nutzer haben dazu seit Mitte 2012 ihr Einverständnis gegeben ?

Wolfram: Ich habe keine genaue Zahl, aber es war über ein Million. Nun können wir Fragen beantworten wie: Wie variiert die Zahl der Facebook-Freunde mit dem Alter? Oder: Wenn jemand ein bestimmtes Alter hat, wie alt sind dann seine Freunde? Bei jungen Leuten konzentriert sich das stark um ihr eigenes Alter herum, bei älteren ist die Verteilung viel breiter. Die Verteilung des Alters der Freunde hängt vom eigenen Alter ab. Beim Beziehungsstatus ist es so: je höher das Alter, desto weniger Singles und desto mehr Verheiratete findet man. Wenn man das mit Einwohnermeldedaten abgleicht, passt das gut, bis auf ein paar Abweichungen: Es gibt Dreizehnjährige, die bei Facebook behaupten, verheiratet zu sein, was natürlich nur Spaß ist. Man kann auch Migrationsbewegungen nachvollziehen, weil die Leute bei Facebook angeben, wo sie geboren wurden und wo sie jetzt leben.

SPIEGEL ONLINE: Was verraten die Daten noch?

Wolfram: Zum Beispiel die Themen, über die Leute bei Facebook reden, abhängig von Geschlecht und Alter, etwa Filme oder Politik. Männer interessieren sich mehr für Politik und reden umso mehr darüber, je älter sie sind. Ältere Frauen scheinen weniger gern als Männer übers Reisen zu schreiben. Und alle reden mehr und mehr über das Wetter, je älter sie werden.

SPIEGEL ONLINE: Sie können erschließen, worüber die Nutzer reden?

Wolfram: Ja, weil wir eine Technologie zum Verständnis natürlicher Sprache haben. Wir trainieren eine Klassifikationssoftware für natürliche Sprache mit großen Textmengen. Diese Technologie haben wir noch nicht veröffentlicht. Wir dürfen vor dem Rest der Welt damit arbeiten. Wenn jemand zum Beispiel das Wort "Film" in einem Posting benutzt, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass er über Filme spricht.

SPIEGEL ONLINE: Könnten Sie auch den Titel eines brandneuen Films erkennen?

Wolfram: Das ist der Vorteil eines Systems für Spracherkennung: Wir kennen den Namen jedes Films. Das hilft bei der Entschlüsselung.

SPIEGEL ONLINE: Hat Facebook schon nach einer Lizenz für diese Technologie gefragt? Ihre Stichprobe ist nur etwa eine Million Menschen, Facebooks wäre eine Milliarde.

Wolfram: Das ist noch nicht wirklich in der Welt. Aber wir kennen natürlich die Leute bei Facebook, also... Wir werden sehen, was passiert. Das Gute ist: Nichts an diesen Daten ist für Facebook peinlich. Es ist einfach eine Momentaufnahme der Welt. Interessant ist: Für all diese Auswertungen haben wir etwa drei Personenwochen Arbeitszeit gebraucht. Sie sind nur ein Beispiel dafür, was wir mit Daten anstellen können.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von Facebooks Graph Search?

Wolfram: Wenn man Wissen über Berechenbarkeit mit dieser Art von persönlichen Analysedaten kombiniert, gibt es interessante Endpunkte. Was Facebook da tut, ist ein interessanter Anfang, sie haben einige interessante Ideen, was die Bedienung angeht. Wir werden sehen, was passiert, wenn wir in Zukunft unser Wissen über Berechenbarkeit mit solchen Daten verknüpfen. Sehr befriedigend war zu sehen, wie einfach das eigentlich ist. Es gibt Leute, die schon lange auf verschiedene Teile dieser Daten Zugriff haben, aber aus irgendwelchen Gründen haben ihre Werkzeuge es ihnen nicht leicht genug gemacht, die Daten so einfach zu erkunden, wie wir das konnten.

SPIEGEL ONLINE: Die Werbebranche würde sich zweifellos brennend für diese Art von Analyse interessieren.

Wolfram: Ja. Es gibt da einige interessante Möglichkeiten.

SPIEGEL ONLINE: Sie kommen von der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung, Sie haben als Teilchenphysiker angefangen. Interessieren Sie sich erstmals ernsthaft für Sozialwissenschaften, weil jetzt solche Datenmengen und Möglichkeiten vorliegen?

Wolfram: Mich interessieren die Naturwissenschaften und, davon ganz unabhängig, Menschen. Ich baue schon lange ein Unternehmen auf, und mich interessiert, wie es talentierten Menschen gelingt, Großes zu leisten. Ich beobachte Lebensläufe und habe darüber einige Theorien. Jetzt wird mir klar, dass sich bei diesem Projekt erstmals das überschneidet, was ich über Wissenschaft weiß, und das, was mich an Menschen interessiert, ihre Lebensläufe. Verlockend ist, dass man sehr präzise Kurven herausbekommt, wenn man sich Daten über das Verhalten von Menschen ansieht.

SPIEGEL ONLINE: Was heißt das?

Wolfram: Bei uns in der Firma kursierte vor einer Weile ein Witz: Unser Team von Web-Analytikern bestand zum Großteil aus Teilchenphysikern. Die sind daran gewöhnt, mit Neutrinos und so zu experimentieren, wobei man bestimmte Messraten bekommt und dann Kurven zeichnet über das Verhalten der Teilchen und so weiter. Die Datenraten in unserem Web-Analyse-System sind ungefähr die gleichen, die unsere Physiker aus ihren Teilchenphysik-Studien kannten. Die Zahl der Klicks entspricht etwa der von Teilchen, die einen Detektor durchqueren. Überraschend ist dabei: Die Kurven aus den Web-Analysen sind viel glatter als die, die wir aus der Teilchenphysik kennen. Menschen sind gewissermaßen vorhersagbarer als die Quantenmechanik von Elementarteilchen.

Das Interview führte Christian Stöcker
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